06.01.2025

Zur Auslegung einer Fortführungsklausel im Gesellschaftsvertrag einer GbR

Der BGH hat sich vorliegend mit der Auslegung einer Fortführungsklausel im Gesellschaftsvertrag einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts befasst.

BGH v. 29.10.2024 - II ZR 222/21
Der Sachverhalt:
Der Kläger und der Streithelfer waren durch einen Sozietätsvertrag mit Wirkung ab dem 1.1.2008 in einer Rechtsanwaltsgesellschaft als GbR miteinander verbunden. Der Sozietätsvertrag vom 8.11.2007 enthält für den Fall des Ausscheidens eines Gesellschafters folgende Regelung:

"§ 18 Fortführung der Sozietät; Abfindung
(1) Im Falle des Ausscheidens eines Gesellschafters wird die Sozietät durch die anderen Gesellschafter fortgeführt, soweit mindestens zwei Gesellschafter verbleiben. Auch im Falle der Kündigung der Sozietät durch einen Gesellschafter können die übrigen Gesellschafter beschließen, die Sozietät fortzuführen. Der Anteil des ausscheidenden Gesellschafters wächst den übrigen Gesellschaftern entsprechend ihrer Beteiligung zu.
(2) [...]"


§ 5 Abs. 3 des Sozietätsvertrags sieht zur Bankvollmacht der Gesellschafter folgende Regelung vor:

"(3) Für das die Sozietät zu errichtende Bankkonto [sic] ist jeder Gesellschafter alleine zeichnungsberechtigt."

Am 14.11.2007 stellten der Kläger und der Streithelfer bei der Beklagten einen "Antrag auf Eröffnung einer Kundenbeziehung für Arbeitsgemeinschaften und sonstige Gesellschaften bürgerlichen Rechts". Als Gestaltungsform wurde ein Gemeinschaftskonto mit Einzelverfügungsberechtigung ("Oder-Konto") gewählt. Ziffer 2 des Eröffnungsantrags sieht folgende Regelung zur Vertretungsberechtigung vor:

"2. Vertretungsberechtigung
Die im Unterschriftsprobenblatt aufgeführten Personen (Vertretungsberechtigten) sind bevollmächtigt, die Gesellschaft bürgerlichen Rechts gegenüber der Bank zu vertreten.
[...]
b) Bestellung von vertretungsberechtigten Personen
[...] Jeder Gesellschafter ist berechtigt, die Vertretungsberechtigung der Bank gegenüber jederzeit zu widerrufen, der Vertretungsberechtigte kann dann von seiner Vertretungsberechtigung nur noch gemeinsam mit dem Widerrufenden Gebrauch machen.
[...]
Sofern der Gesellschaftsvertrag eine weitergehende Vertretungsberechtigung vorsieht, wird diese durch die vorstehenden Regelungen nicht eingeschränkt."


Ende September 2016 kündigte der Streithelfer die Sozietät zum 31.12.2017. Mit Schreiben vom 27.12.2017 widerrief er gegenüber der Beklagten die Alleinverfügungsberechtigung des Klägers hinsichtlich der bei der Beklagten geführten drei Sozietätskonten. Die Beklagte stellte daraufhin die Konten von Einzel- auf Gemeinschaftsverfügungsberechtigung um. Mit Schreiben vom 5.1.2018 forderte der Kläger die Beklagte unter Fristsetzung bis zum 10.1.2018 auf, die für die Gesellschaft eröffneten Konten als Einzelkonto auf ihn als Gesamtrechtsnachfolger umzuschreiben. Die Beklagte lehnte eine Umstellung auf eine Einzelverfügungsberechtigung ab.

Der Kläger beantragte, soweit im Revisionsverfahren von Interesse, festzustellen, dass die Beklagte zur Umschreibung der bei ihr geführten Konten auf den Kläger als Gesamtrechtsnachfolger verpflichtet und er alleinverfügungsberechtigt ist (Antrag a) sowie dass sich die Beklagte seit dem 10.1.2018 mit der Erfüllung ihrer Verpflichtung in Verzug befindet und zur Erstattung des Verzugsschadens verpflichtet ist (Antrag b). Hilfsweise beantragte der Kläger neben der Zahlung von 5.006 €, Einzelverfügungen des Klägers über die jeweiligen Kontoguthaben zuzulassen und der Beklagten zu untersagen, Einzelverfügungen des Streithelfers zu gestatten.

Das LG wies die Klage ab. Das KG gab ihr teilweise - in Hinblick auf Antrag a) - statt. Mit den vom Senat zugelassenen Revisionen verfolgt der Kläger vorrangig den Antrag b) auf Feststellung des Verzugs der Beklagten und der Streithelfer seinen Klageabweisungsantrag hinsichtlich des Antrags a) weiter. Die Beklagte erhob Anschlussrevision, soweit mit der Stattgabe des Antrags a) zu ihrem Nachteil entschieden worden ist. Auf die wechselseitigen Revisionen hob der BGH das Urteil des KG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.

Die Gründe:
Das KG hat zu Unrecht dem Antrag auf Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zur Umschreibung der bei ihr geführten Gesellschaftskonten auf den Kläger als Gesamtrechtsnachfolger mit der Begründung stattgegeben, das Gesellschaftsvermögen sei auf den Kläger als letztem verbleibenden Gesellschafter übergegangen. Die Auslegung des KG, dass der in § 18 Abs. 1 Satz 3 des Sozietätsvertrags (im Folgenden: GV) angeordnete Übergang des Anteils des ausscheidenden Gesellschafters auf die übrigen Gesellschafter keine Einschränkung dahingehend enthalte, dass dies nicht gelte, wenn nur einer "übrig" bleibe, verstößt gegen anerkannte Auslegungsregeln.

Zutreffend ist noch der rechtliche Ausgangspunkt des KG. Haben die Gesellschafter einer BGB-Gesellschaft im Gesellschaftsvertrag vereinbart, dass die Gesellschaft von den verbleibenden Gesellschaftern fortgesetzt wird, wenn ein Gesellschafter ausscheidet, wächst bei Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters, soweit im Gesellschaftsvertrag für diesen Fall nichts Abweichendes geregelt ist, dem letzten verbleibenden Gesellschafter das Gesellschaftsvermögen an, d.h. die Aktiva und Passiva gehen im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf ihn über, ohne dass es eines Übertragungsaktes oder einer Übernahmeerklärung bedarf. Die lediglich auf § 18 Abs. 1 Satz 3 GV abstellende Auslegung des KG verkennt jedoch den systematischen Zusammenhang der Fortsetzungsklausel und ist mit dem klaren und eindeutigen Wortlaut der Vertragsbestimmung unvereinbar.

Nach § 18 Abs. 1 Satz 1 GV wird im Falle des Ausscheidens eines Gesellschafters die Sozietät fortgeführt, "soweit mindestens zwei Gesellschafter verbleiben". Die Fortführung nach dem Ausscheiden eines Gesellschafters wird danach ausdrücklich von der Bedingung abhängig gemacht, dass eine Mehrzahl von Gesellschaftern verbleibt. Nach § 18 Abs. 1 Satz 2 GV sollen "auch im Falle der Kündigung der Sozietät durch einen Gesellschafter (...) die übrigen Gesellschafter beschließen (können), die Sozietät fortzuführen". Durch die Verwendung des Begriffs "auch" in § 18 Abs. 1 Satz 2 GV wird ein systematischer Bezug zu § 18 Abs. 1 Satz 1 GV hergestellt. Dies spricht dafür, dass die dort vorgesehene Einschränkung der Fortführung der Gesellschaft durch mindestens zwei Gesellschafter auch im Fall der Fortführung nach Kündigung gelten soll. Dieses Verständnis wird dadurch bekräftigt, dass § 18 Abs. 1 Satz 2 GV die Möglichkeit der Fortsetzung der Gesellschaft den "übrigen" und damit mehreren Gesellschaftern gewährt. Die in § 18 Abs. 1 Satz 3 GV vorgesehene Rechtsfolge, dass der Anteil des ausscheidenden Gesellschafters den übrigen Gesellschaftern entsprechend ihrer Beteiligung zuwächst, kann nicht isoliert betrachtet werden, sondern setzt eine Fortsetzung der Gesellschaft nach den Sätzen 1 oder 2 der Vereinbarung voraus, mithin eine Fortsetzung durch mehrere. Dies wird wiederum durch den Wortlaut des § 18 Abs. 1 Satz 3 GV bekräftigt.

Es entspricht indes ständiger Rechtsprechung, dass selbst ein vermeintlich klarer und eindeutiger Wortlaut der Erklärung keine Grenze für die Auslegung anhand der Gesamtumstände bildet. Zu den auslegungsrelevanten Gesamtumständen, die einen Rückschluss auf den Inhalt einer Erklärung ermöglichen, gehören insbesondere die Absprachen der Vertragsparteien im Rahmen der vertragsanbahnenden Verhandlungen. Ob Umstände vorliegen, die eine vom klaren und eindeutigen Wortlaut des § 18 Abs. 1 GV abweichende Auslegung dahin rechtfertigen, dass das Vermögen der Gesellschaft auf den Kläger übergegangen ist, ist bisher nicht festgestellt.

Die Revision des Klägers hat Erfolg und führt zur Aufhebung des Urteils auch insoweit, als das KG zum Nachteil des Klägers entschieden hat. Mit der Aufhebung der Feststellung, dass die Beklagte zur Umschreibung der bei ihr geführten Konten auf den Kläger als Gesamtrechtsnachfolger verpflichtet ist, verliert auch die Abweisung eines Anspruchs auf Feststellung, dass sich die Beklagte seit dem 10.1.2018 mit der Erfüllung ihrer Verpflichtung in Verzug befindet, ihre Grundlage. Ob sich die Beklagte in Verzug befindet kann nur dann beurteilt werden, wenn das Ob und der Inhalt des Anspruchs des Klägers gegen die Beklagte festgestellt sind, so dass die Klage auch nicht mit der vom KG gegebenen Begründung bereits jetzt abgewiesen werden kann, mithin kein Fall des § 561 ZPO vorliegt.

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