21.12.2023

Zur hinreichenden Bestimmtheit eines Geltendmachungsbeschlusses nach § 147 Abs. 1 AktG

Ein herrschendes Unternehmen ist im faktischen Konzern in der Hauptversammlung der abhängigen Gesellschaft wegen eines Interessenkonflikts vom Stimmrecht ausgeschlossen, wenn über die Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen Organmitglieder der abhängigen Gesellschaft Beschluss gefasst wird und die vorgeworfene Pflichtverletzung auf Veranlassung und zugunsten des herrschenden Unternehmens begangen worden sein soll. Ein Geltendmachungsbeschluss nach § 147 Abs. 1 AktG ist dann hinreichend bestimmt, wenn er im Einzelnen umreißt, worin die Pflichtverletzung und der Tatbeitrag der Mitglieder des Vorstands oder des Aufsichtsrats bestehen soll, gegen die Ersatzansprüche der Gesellschaft geltend gemacht werden sollen. Es kommt nicht darauf an, ob die Anspruchsverfolgung Aussicht auf Erfolg hat.

BGH v. 28.11.2023 - II ZR 214/21
Der Sachverhalt:
Die Beklagte ist eine börsennotierte Aktiengesellschaft, deren Gegenstand u.a. der Betrieb von Hotels und gastronomischen Betrieben im In- und Ausland ist. Mehrheitsaktionärin der Beklagten mit einem Aktienanteil von 52,16 % war die L. S.A., die der in der Hotellerie und Touristikbranche tätigen L. -Gruppe angehörte. Zweitgrößte Aktionärin war mit einem Aktienanteil von 33,80 % die Klägerin. Die restlichen Aktien befanden sich in Streubesitz.

Die Beklagte erwarb im Jahr 2015 von der L. -Gruppe durch Tochtergesellschaften 100 % der Gesellschaftsanteile an der C. S.A. zum Kaufpreis von 34 Mio. €. Die Klägerin bezweifelt die Angemessenheit des Kaufpreises und ist der Auffassung, der Mehrheitsaktionärin der Beklagten sei verdeckt Vermögen der Beklagten zugewendet worden.

In der Hauptversammlung der Beklagten am 17.7.2015 wurde auf Antrag der Klägerin beschlossen, u.a. gegen die Mehrheitsaktionärin Ersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Erwerb der C. S.A. geltend zu machen. Zugleich wurde ein besonderer Vertreter zur Geltendmachung der Ersatzansprüche bestellt. In der Hauptversammlung der Beklagten vom 21.7.2016 wurde unter TOP 10 darüber abgestimmt, ob Ersatzansprüche der Beklagten aus diesem Erwerb ergänzend auch gegen Mitglieder ihres Aufsichtsrats und ihres Vorstands als Gesamtschuldner geltend gemacht werden sollen und hierzu ein besonderer Vertreter bestellt werden soll.

Der Beschlussantrag lautete auszugsweise:
Veranlasst durch die herrschende Mehrheitsaktionärin hat die Gesellschaft durch Tochtergesellschaften (vgl. Geschäftsbericht 2015, Seite 25) 100% der Anteile an der C. S.A. zum Kaufpreis von € 34 Mio. erworben. Dadurch wurde der herrschenden Mehrheitsaktionärin auf deren Veranlassung verdeckt Vermögen der Gesellschaft zugewendet. Der Kaufpreis war deutlich überhöht.

Mit den als gültig gezählten Stimmen der Mehrheitsaktionärin wurde der Beschlussantrag abgelehnt. Die Klägerin begehrt die Nichtigerklärung der zu TOP 10 gefassten Beschlussablehnung und im Wege der positiven Beschlussfeststellungsklage die Feststellung, dass der Beschluss zu TOP 10 gefasst worden ist.

Das LG wies die Klage ab. Auf die Berufung der Klägerin erklärte das OLG den zu TOP 10 gefassten ablehnenden Beschluss für nichtig und gab der Beschlussfeststellungsklage statt. Die Revision der Beklagten hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Das OLG hat zu Recht angenommen, dass die L. S.A. als Mehrheitsaktionärin bei der Abstimmung zu TOP 10 auf der Hauptversammlung der Beklagten vom 21.7.2016 über die Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen Organmitglieder der Beklagten und über die Bestellung eines besonderen Vertreters vom Stimmrecht ausgeschlossen war. Ein herrschendes Unternehmen ist im faktischen Konzern in der Hauptversammlung der abhängigen Gesellschaft wegen eines Interessenkonflikts vom Stimmrecht ausgeschlossen, wenn über die Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen Organmitglieder der abhängigen Gesellschaft Beschluss gefasst wird und die vorgeworfene Pflichtverletzung auf Veranlassung und zugunsten des herrschenden Unternehmens begangen worden sein soll.

Gem. § 136 Abs. 1 Satz 1 Fall 3 AktG kann niemand für sich oder für einen anderen das Stimmrecht ausüben, wenn darüber Beschluss gefasst wird, ob die Gesellschaft gegen ihn einen Anspruch geltend machen soll. Ausdrücklich erfasst das Gesetz damit nur das Stimmrecht des Aktionärs, gegen den die Geltendmachung von Ansprüchen beschlossen werden soll. Das schließt aber nicht aus, § 136 Abs. 1 Satz 1 AktG in vergleichbaren Fällen sinngemäß anzuwenden, wenn nämlich das Ausmaß des Interessenkonflikts für den Aktionär identisch ist, so dass eine auf das mitgliedschaftliche Interesse ausgerichtete Stimmabgabe nicht erwartet werden kann. Entsprechendes gilt nach der Rechtsprechung des BGH auch bei der Einzelentlastung von Vorstand und Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft. Dort trifft das Stimmverbot nur dasjenige Organmitglied, über dessen Entlastung abgestimmt wird, es sei denn, ein anderes Organmitglied ist in gleicher Weise betroffen, weil es an einem Vorgang beteiligt war, der dem Organmitglied, um dessen Entlastung es geht, als Pflichtverletzung vorzuwerfen ist.

In diesem Zusammenhang kommt der weitere im § 136 Abs. 1 Satz 1 AktG ebenfalls zum Ausdruck kommende Grundgedanke des Stimmverbots zum Tragen, dass nämlich ein Gesellschafter nicht Richter in eigener Sache sein darf. Ein (Mehrheits)Aktionär, um dessen unmittelbare Inanspruchnahme es geht, kann den dem Ersatzanspruch zugrundeliegenden Sachverhalt nicht unbefangen beurteilen. Das gilt ebenso im faktischen Konzern bei der Beschlussfassung über Ersatzansprüche gegen Organe der abhängigen Gesellschaft, wenn Beschlussgegenstand (auch) das Zusammenwirken des Mehrheitsaktionärs mit den Organen der abhängigen Gesellschaft zum Nachteil der Gesellschaft und die Veranlassung zum Abschluss eines für die Gesellschaft nachteiligen Rechtsgeschäfts zu seinen Gunsten ist. Danach hat das OLG hier mit Recht ein Stimmverbot der Mehrheitsaktionärin angenommen, da Beschlussgegenstand von TOP 10 auch durch sie veranlasste pflichtwidrige Handlungen der Organe der Beklagten beim Kauf der Anteile an der C. S.A. sind und der ihr erwachsende finanzielle Vorteil spiegelbildlich dem der beklagten Gesellschaft als Erwerberin erwachsenden Schaden entsprechen soll.

Ohne Rechtsfehler hat das OLG auf die positive Beschlussfeststellungsklage festgestellt, dass in der Hauptversammlung der Beklagten am 21.7.2016 die unter TOP 10 zur Abstimmung gestellten Beschlüsse gefasst worden sind. Der Beschluss zu TOP 10 ist hinreichend bestimmt. Ein Geltendmachungsbeschluss nach § 147 Abs. 1 AktG ist dann hinreichend bestimmt, wenn er im Einzelnen umreißt, worin die Pflichtverletzung und der Tatbeitrag der Mitglieder des Vorstands oder des Aufsichtsrats bestehen soll, gegen die Ersatzansprüche der Gesellschaft geltend gemacht werden sollen. Es kommt nicht darauf an, ob die Anspruchsverfolgung Aussicht auf Erfolg hat. Die zu § 46 Nr. 8 GmbHG entwickelten Anforderungen an die Tatsachengrundlage eines Geltendmachungsbeschlusses sind auf § 147 Abs. 1 Satz 1 AktG zu übertragen. Auch in der Aktiengesellschaft würde die Durchsetzung von Ersatzansprüchen sonst unzumutbar erschwert. Ein sachlicher Grund für eine davon abweichende Behandlung ist nicht ersichtlich.

Mehr zum Thema:

Kommentierung | AktG
§ 147 Geltendmachung von Ersatzansprüchen
Spindler in K. Schmidt/Lutter, Aktiengesetz, 4./5. Aufl.
08/2023

Kommentierung | AktG
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Spindler in K. Schmidt/Lutter, Aktiengesetz, 4./5. Aufl.
08/2023

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