20.11.2015

Abmahnungen in Serie können rechtsmissbräuchlich sein

Eine umfangreiche Abmahntätigkeit, die sich vollkommen verselbstständigt hat, so dass sie in keinerlei vernünftigem Verhältnis mehr zur eigentlichen gewerblichen Tätigkeit des Abmahnenden steht, kann rechtsmissbräuchlich sein. Wird aufgrund einer solchen rechtsmissbräuchlichen Abmahnung eines Wettbewerbsverstoßes ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gestellt, so ist dieser ebenso rechtsmissbräuchlich und als unzulässig zurückzuweisen.

OLG Hamm 15.9.2015, 4 U 105/15
Der Sachverhalt:
Im Juni/Juli 2015 erwirkte die Verfügungsklägerin, eine Konsumartikelhändlerin, die u.a. Briefkästen im Zwischenhandel vertreibt, gegen einen Hersteller von Briefkästen vor dem LG eine einstweilige Verfügung, die dem Hersteller den Vertrieb von Briefkästen mit den wettbewerbswidrig verwandten Produktkennzeichnungen ʺumweltfreundlich produziertʺ und ʺgeprüfte Qualitätʺ untersagt. Einen Tag nach der mündlichen Verhandlung in diesem Verfahren führte die Verfügungsklägerin sog. ʺMarktsichtungenʺ durch, um weitere Verkäufer der Briefkästen zu ermitteln, die diese ebenfalls mit den wettbewerbswidrigen Produktkennzeichnungen vertrieben.

Sie machte ca. 50 Unternehmen ausfindig und beauftragte den für sie bereits im oben genannten Prozess tätigen Anwalt, auch diese Unternehmen abzumahnen. Nach Erhalt eines Vorschusses begann der Anwalt mit dem Versand der Abmahnungen. Eine von diesen erhielt die vorliegend verfügungsbeklagte Handelsgesellschaft, die die in Frage stehenden Briefkästen über eine Internetplattform zum Verkauf anbot. Binnen weniger Tage versandte der Anwalt der Verfügungsklägerin an insgesamt 43 Händler Abmahnungen, erst danach gingen erste Unterwerfungserklärungen der abgemahnten Händler ein. Innerhalb der ersten sechs Wochen wurden insgesamt 71 Abmahnungen ausgesprochen, zwischenzeitlich ist ihre Zahl auf über 200 gestiegen.

Das LG gab dem gegen die Verfügungsbeklagte gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung statt. Auf die Berufung der Verfügungsbeklagten änderte das OLG das Urteil des LG ab und wies den Antrag als unzulässig zurück. Das Urteil ist rechtskräftig.

Die Gründe:
Das Verfolgen eines wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruchs ist rechtsmissbräuchlich i.S.d. UWG, wenn es unter Berücksichtigung der gesamten Umstände vorwiegend dazu dient, gegen den Zuwiderhandelnden einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder Kosten der Rechtsverfolgung entstehen zu lassen. Davon ist vorliegend auszugehen. Die umfangreiche Abmahntätigkeit der Verfügungsklägerin stand in keinem vernünftigen Verhältnis zu ihrer eigentlichen gewerblichen Tätigkeit.

Beim Versand der ersten 43 Abmahnungen, u.a. auch an die Verfügungsbeklagte, ist die Verfügungsklägerin ein erhebliches Kostenrisiko eingegangen. Bei den binnen sieben Tagen versandten Abmahnungen war vernünftigerweise nicht mit dem zwischenzeitlichen Eingang einer nennenswerten Anzahl strafbewehrter Unterlassungserklärungen zu rechnen. Durch ihr Vorgehen hätten der Verfügungsklägerin hohe Kosten entstehen können. Für die 43 Abmahnungen sind bereits Anwaltskosten von über 42.000 € entstanden. Wan man darüber hinaus berücksichtigt, dass ein nicht unerheblicher Teil der eingeleiteten Abmahnvorgänge in gerichtliche Auseinandersetzungen mündet, erhöht sich das Kostenrisiko noch.

Insgesamt würden Anwalts- und Gerichtskosten von über 250.000 € entstehen, falls ein Drittel der Abmahnvorgänge in der Hauptsache über eine gerichtliche Instanz und ein weiteres Drittel über zwei gerichtliche Instanzen auszufechten sein sollten. Und dies beschreibt eine für die Verfügungsklägerin günstige, moderate Entwicklung. Dieses Kostenrisiko steht in keinem vernünftigen Verhältnis mehr zu der eigentlichen wirtschaftlichen Betätigung der Verfügungsklägerin. Die Verfügungsklägerin tritt lediglich beim Verkauf von Briefkästen und ähnlichen Produkten in Konkurrenz zur Verfügungsbeklagten.

Ordnet man diesem Marktsegment die Werte zum gesamten Jahresüberschuss der Verfügungsklägerin aus 2013 (rd. 5.500 €) und zu ihrem gesamten Eigenkapital aus 2013 (rd. 300.000 €) zu, besteht kein kaufmännisch vernünftiges Verhältnis zwischen Gewinn und Eigenkapital und der zu beurteilenden Abmahntätigkeit mehr. Das Kostenrisiko der Abmahntätigkeit beläuft sich dann auf das etwa 50-fache des erzielten Jahresgewinns. Die mit den Abmahnungen verbundenen Kosten zehren das im Betrieb vorhandene Eigenkapital (nahezu) vollständig auf. Ein derartig hohes Kostenrisiko geht ein vernünftig handelnder Kaufmann grundsätzlich nicht ein.

Linkhinweis:

OLG Hamm PM vom 20.11.2015
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