18.04.2024

Amtsermittlungspflicht des Insolvenzgerichts zu Voraussetzungen eines Versagungstatbestandes nur bei zulässigem Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung

Ein Versagungsantrag ist nur zulässig, wenn das Vorliegen eines Versagungsgrunds schlüssig dargelegt und erforderlichenfalls glaubhaft gemacht ist. Dabei ist ausschließlich der bis zum Schlusstermin gehaltene und glaubhaft gemachte Vortrag des Antragstellers zu berücksichtigen. Beträgt der Unterschied zwischen dem tatsächlich erzielten Einkommen und dem bei einem anderen Arbeitgeber erzielbaren Einkommen rd. 3 % des Bruttoeinkommens und liegt der pfändbare Anteil aus dem Unterschiedsbetrag deutlich unter 100 €, führt allein dieser Gehaltsunterschied bei einem zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über 63 Jahre alten, in Vollzeit tätigen Schuldner nicht dazu, dass die vom Schuldner bereits ausgeübte Tätigkeit nicht mehr als angemessene Erwerbstätigkeit anzusehen ist.

BGH v. 7.3.2024 - IX ZB 47/22
Der Sachverhalt:
Mit Beschluss vom 18.10.2019 eröffnete das AG - Insolvenzgericht - das Insolvenzverfahren über das Vermögen des im Jahr 1956 geborenen Schuldners. Der Beschluss stellte ihm Restschuldbefreiung für den Fall in Aussicht, dass er seinen Obliegenheiten nachkommt und Versagungsgründe nicht vorliegen. Das AG bestellte zugleich die weitere Beteiligte zu 1) zur Insolvenzverwalterin.

Der Schuldner ist von Beruf Maschinenbauingenieur. Von 1994 bis 2018 war er bei der Firma R. GmbH & Co. KG angestellt, die ebenso wie der Schuldner in Insolvenz geraten ist. Geschäftsführerin der Gesellschaft seine Ehefrau (T. R.). Vom 1.2.2019 bis Ende Mai 2020 war der Schuldner bei der Firma T. R. Verwaltungs GmbH als Geschäftsführer, danach als Prokurist tätig. Die GmbH ist Komplementärin der T. R. GmbH & Co. KG, bei der der Schuldner seit dem 1.6.2020 ebenfalls als Prokurist beschäftigt ist.

Das mtl. Bruttogehalt des Schuldners belief sich laut Bericht der Beteiligten zu 1) seit Februar 2019 auf 1.700 €. Zudem wurde ihm in diesem Zeitraum ein Dienstwagen zur Verfügung gestellt, woraus sich ein zusätzlicher mtl. Bruttoverdienst i.H.v. rd. 1.000 € für ihn ergab. Die sich nach dem Gesamteinkommen von rd. 2.700 € errechnenden pfändbaren Beträge führte der Schuldner an die Beteiligte zu 1) ab. Die weiteren Beteiligten zu 2) und 3) beantragten mit Schriftsatz vom 14.9.2020 unter Bezugnahme auf den Bericht der Beteiligten zu 1) die Versagung der Restschuldbefreiung, weil der Schuldner seine Erwerbsobliegenheiten verletzt habe.

Das AG versagte die Restschuldbefreiung. Die hiergegen erhobene sofortige Beschwerde des Schuldners blieb vor dem LG ohne Erfolg. Auf die Rechtsbeschwerde des Schuldners hob der BGH die Beschlüsse von AG und LG auf und verwarf den Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung als unzulässig.

Die Gründe:
Der Versagungsantrag der Beteiligten zu 2) und 3) ist unschlüssig und bereits deshalb als unzulässig zu verwerfen.

Die Versagung der Restschuldbefreiung setzt einen Antrag eines Gläubigers voraus. Gem. § 290 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 InsO kann der Antrag bis zum Schlusstermin oder bis zur Entscheidung nach § 211 Abs. 1 InsO schriftlich gestellt werden; er ist nur zulässig, wenn ein Versagungsgrund glaubhaft gemacht wird. Den Anforderungen an die Glaubhaftmachung als Teil der Zulässigkeitsprüfung ist genügt, wenn für den geltend gemachten Versagungsgrund eine überwiegende Wahrscheinlichkeit spricht. Zum Zwecke der Glaubhaftmachung hat der Gläubiger bis zum Schlusstermin die notwendigen Beweismittel beizubringen. Der Gläubiger ist allein dafür verantwortlich, die an die Glaubhaftmachung des Versagungsgrunds gestellten Anforderungen zu erfüllen. Ebenso wie im Stadium der Prüfung, ob ein Eröffnungsantrag zulässig ist, greift die Amtsermittlungspflicht des Insolvenzgerichts in diesem Verfahrensabschnitt nicht ein.

Auch wenn die von dem Antragsteller behaupteten Tatsachen unstreitig sind und deshalb keiner Glaubhaftmachung bedürfen, ist sein Versagungsantrag dennoch unzulässig, wenn sein Vortrag unschlüssig ist, weil auf der Grundlage der von ihm seinem Antrag zugrunde gelegten Tatsachen die Voraussetzungen eines Versagungsgrunds nicht erfüllt sind. Die Pflicht und die Befugnis des Insolvenzgerichts zur Ermittlung des weiteren Sachverhalts setzen erst ein, wenn der Gläubiger einen Versagungsgrund schlüssig vorträgt und erforderlichenfalls glaubhaft macht. Die InsO hat das Verfahren über den Antrag, die Restschuldbefreiung zu versagen, weitgehend kontradiktorisch ausgestaltet. Die Vorschrift des § 290 Abs. 2 InsO soll verhindern, dass das Insolvenzgericht auf bloße Vermutungen gestützte aufwändige Ermittlungen führen muss. Dies gilt erst recht, wenn der Versagungsgrund schon auf der Grundlage der eigenen, wenn auch unstreitigen Darlegungen des Antragstellers im Zeitpunkt des Schlusstermins unschlüssig ist.

Der letztmögliche Zeitpunkt, zu dem ein unzulässiger - unschlüssiger oder nicht glaubhaft gemachter - Antrag nachgebessert werden kann, ist der Schlusstermin. Die gem. § 290 Abs. 2 InsO erforderliche Glaubhaftmachung des Versagungsgrunds muss spätestens dann erfolgen und kann im Beschwerdeverfahren nicht nachgeholt werden. Erst recht ist das Nachschieben von Versagungsgründen im Beschwerdeverfahren unzulässig. Tatsachen, die erstmals nach dem Schlusstermin in das Verfahren eingeführt werden, sind für die Zulässigkeit des Versagungsantrags mithin unerheblich. Dies gilt insbesondere auch dann, wenn diese Tatsachen - wie hier - aufgrund einer nach dem Schlusstermin erfolgten Amtsermittlung des Insolvenzgerichts bekannt geworden sind.

Der Vergleich des von den Beteiligten zu 2) und 3) behaupteten erzielbaren Einkommens des Schuldners i.H.v. 2.800 € mit dem unstreitigen tatsächlichen Schuldnereinkommen i.H.v. rd. 2.700 € ergibt eine Differenz von nur etwa 88 € brutto. Diese Abweichung führt unter den Umständen des Streitfalls nicht dazu, dass die vom Schuldner ausgeübte Tätigkeit keine angemessene Erwerbstätigkeit i.S.d. Erwerbsobliegenheit des § 287b InsO darstellt. Beträgt der Unterschied zwischen dem tatsächlich erzielten Einkommen und dem bei einem anderen Arbeitgeber erzielbaren Einkommen rd. 3 % des Bruttoeinkommens und liegt der pfändbare Anteil aus dem Unterschiedsbetrag deutlich unter 100 €, führt allein dieser Gehaltsunterschied bei einem zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über 63 Jahre alten, in Vollzeit tätigen Schuldner nicht dazu, dass die vom Schuldner bereits ausgeübte Tätigkeit nicht mehr als angemessene Erwerbstätigkeit anzusehen ist. An besonderen Umständen, die für einen Wechsel des Arbeitsplatzes sprechen, fehlt es im Streitfall, nachdem Aufstiegsmöglichkeiten des Schuldners aufgrund seines nahenden Ruhestands nicht zu erwarten waren und ein Wechsel aus einer gesicherten Stellung in eine neue Anstellung mit Risiken wie etwa einer Probezeit und geringerem Kündigungsschutz verbunden ist.

Mehr zum Thema:

Kommentierung | InsO
§ 5 Verfahrensgrundsätze
Sternal in Kayser/Thole, Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung, 11. Aufl. 2023

Kommentierung | InsO
§ 287b Erwerbsobliegenheit des Schuldners
Waltenberger in Kayser/Thole, Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung, 11. Aufl. 2023

Kommentierung | InsO
§ 290 Versagung der Restschuldbefreiung
Waltenberger in Kayser/Thole, Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung, 11. Aufl. 2023

Kommentierung | InsO
§ 295 Obliegenheiten des Schuldners
Waltenberger in Kayser/Thole, Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung, 11. Aufl. 2023

Beratermodul Insolvenzrecht:
Kombiniert bewährte Inhalte von C.F. Müller und Otto Schmidt zu Insolvenzrecht, Sanierung und Restrukturierung in einer Online-Bibliothek. Inklusive Selbststudium nach § 15 FAO: Wann immer es zeitlich passt: Für Fachanwälte bietet das Beratermodul Beiträge zum Selbststudium mit Lernerfolgskontrolle und Fortbildungszertifikat. 4 Wochen gratis nutzen!
BGH online
Zurück