18.06.2013

Anwaltlicher Rat und Entscheidungen nationaler Wettbewerbsbehörden schützen Unternehmen nicht vor Geldbuße wegen wettbewerbswidrigen Verhaltens

Ein Rechtsrat einer Anwaltskanzlei oder eine Entscheidung einer nationalen Wettbewerbsbehörde nehmen dem Verhalten eines Unternehmens nicht seine Wettbewerbswidrigkeit und schützen nicht vor der Verhängung einer Geldbuße. Hat das Unternehmen, das die Zuwiderhandlung begangen hat, an einem nationalen Kronzeugenprogramm teilgenommen, dürfen die nationalen Wettbewerbsbehörden nur in Ausnahmefällen von der Verhängung einer Geldbuße absehen.

EuGH 18.6.2013, C-681/11
Der Sachverhalt:
Die Schenker & Co AG und 30 weitere Gesellschaften waren Mitglieder der österreichischen Spediteurs-Sammelladungs-Konferenz (SSK), einer Interessengemeinschaft eines Teils der Mitglieder des Zentralverbandes der Spediteure. Die SSK wurde 1994 als GbR gegründet, aufschiebend bedingt mit der Genehmigung durch das in Österreich für Kartellsachen zuständige Kartellgericht. Durch Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen sollte der lautere Wettbewerb unter ihren Mitgliedern gefördert werden.

1996 entschied das Kartellgericht, dass die SSK ein Bagatellkartell i.S.d. österreichischen Rechts darstelle. Eine auf Kartellrecht spezialisierte österreichische Anwaltskanzlei, die als Beraterin herangezogen wurde, vertrat ebenfalls die Auffassung, dass es sich bei der SSK um ein Bagatellkartell und somit nicht um ein verbotenes Kartell handele. Im Oktober 2007 gab die Kommission bekannt, dass ihre Bediensteten unangekündigte Nachprüfungen in den Geschäftsräumen verschiedener Anbieter von internationalen Speditionsdienstleistungen durchgeführt hätten und dass sie Grund zu der Annahme habe, dass die betreffenden Unternehmen Bestimmungen des Unionsrechts verletzt haben könnten, die wettbewerbsbeschränkende Geschäftspraktiken verböten.

Das OLG Wien vertrat die Auffassung, dass gegen die Unternehmen wegen der Abstimmung der Preise kein Verschuldensvorwurf zu erheben sei; sie hätten sich auf einen Beschluss des Kartellgerichts gestützt (Bagatellkartell). Den Unternehmen sei auch deshalb kein Verschuldensvorwurf zu machen, weil sie vorab anwaltlichen Rat über die Rechtmäßigkeit ihres Verhaltens eingeholt hätten. Bei der Schenker & Co AG, die einen Kronzeugenantrag gestellt und im Untersuchungsverfahren mit der Verwaltung zusammengearbeitet hatte, beantragte die Bundeswettbewerbsbehörde die Feststellung einer Zuwiderhandlung gegen das Unionsrecht und gegen das österreichische Kartellrecht ohne Verhängung einer Geldbuße. Dieser Antrag wurde mit der Begründung abgewiesen, nur die Kommission könne Zuwiderhandlungen feststellen, ohne eine Geldbuße zu verhängen.

Der mit dem Rechtsstreit befasste Oberste Gerichtshof legte dem EuGH zwei Fragen zur Vorabentscheidung vor. Er möchte zunächst wissen, ob ein Unternehmen, das gegen das Wettbewerbsrecht der Union verstoßen hat, der Verhängung einer Geldbuße entgehen kann, wenn der Zuwiderhandlung ein Irrtum dieses Unternehmens über die Rechtmäßigkeit seines Verhaltens zugrunde liegt, der auf dem Inhalt eines Rechtsrats eines Anwalts oder einer Entscheidung einer nationalen Wettbewerbsbehörde beruht (Vorlagefrage 1). Außerdem möchte das Gericht wissen, ob die nationalen Wettbewerbsbehörden, wenn ein Unternehmen an einem nationalen Kronzeugenprogramm teilgenommen hat, eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht feststellen können, ohne eine Geldbuße festzusetzen (Vorlagefrage 2).

Die Gründe:

Vorlagefrage 1
Verstößt ein Unternehmen gegen das EU-Wettbewerbsrecht, so kann es nicht der Verhängung einer Geldbuße entgehen, wenn der Zuwiderhandlung ein Irrtum dieses Unternehmens über die Rechtmäßigkeit seines Verhaltens zugrunde liegt, der auf dem Inhalt eines Rechtsrats eines Anwalts oder einer Entscheidung einer nationalen Wettbewerbsbehörde beruht.

Die Tatsache, dass ein Unternehmen sein Verhalten rechtlich unrichtig eingestuft hat, kann nur in Ausnahmefällen dazu führen, dass ihm keine Geldbuße auferlegt wird. Etwa dann, wenn ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts wie der Grundsatz des Vertrauensschutzes der Verhängung einer solchen Geldbuße entgegensteht. Allerdings kann niemand eine Verletzung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes geltend machen, dem die zuständige Verwaltung keine präzisen Zusicherungen gegeben hat. Der Rechtsrat eines Anwalts kann bei einem Unternehmen mithin auf keinen Fall ein berechtigtes Vertrauen darauf begründen, dass sein Verhalten nicht gegen das Wettbewerbsrecht der Union verstößt oder nicht zur Verhängung einer Geldbuße führt.

Gleiches gilt für die nationalen Wettbewerbsbehörden, da sie nicht befugt sind, eine Entscheidung zu erlassen, mit der das Fehlen eines Verstoßes gegen das Unionsrecht festgestellt wird. I.Ü. hatte im vorliegenden Fall die nationale Wettbewerbsbehörde das Verhalten der Unternehmen allein nach nationalem Wettbewerbsrecht geprüft.

Vorlagefrage 2
Die nationalen Wettbewerbsbehörden können sich, wenn das betreffende Unternehmen an einem nationalen Kronzeugenprogramm teilgenommen hat, in Ausnahmefällen darauf beschränken, eine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln festzustellen, ohne eine Geldbuße zu verhängen.

Das Unionsrecht sieht eine Befugnis der nationalen Wettbewerbsbehörden zur Feststellung einer Zuwiderhandlung gegen die europäischen Wettbewerbsregeln ohne Verhängung einer Geldbuße zwar nicht ausdrücklich vor, es schließt sie aber auch nicht aus. Im Rahmen eines nationalen Kronzeugenprogramms kann von der Verhängung einer Geldbuße nur abgesehen werden, wenn es so durchgeführt wird, dass das Erfordernis der wirksamen und einheitlichen Anwendung des Wettbewerbsrechts der Union nicht beeinträchtigt wird.

Hinsichtlich der Befugnis der Kommission zur Ermäßigung von Geldbußen im Rahmen ihres eigenen Kronzeugenprogramms ist festzustellen, dass die Ermäßigung einer Geldbuße im Fall einer Zusammenarbeit von Unternehmen, die an Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht der Union beteiligt sind, nur gerechtfertigt ist, wenn eine solche Zusammenarbeit die Aufgabe der Kommission erleichtert. Damit die wirksame und einheitliche Anwendung des Unionsrechts nicht beeinträchtigt wird, darf die Immunität oder die Nichtfestsetzung einer Geldbuße darüber hinaus nur unter ganz besonderen Umständen gewährt werden, z.B., wenn die Zusammenarbeit eines Unternehmens für die Aufdeckung und wirksame Ahndung des Kartells von entscheidender Bedeutung war.

Linkhinweis:

Für den auf den Webseiten des EuGH veröffentlichten Volltext der Entscheidung klicken Sie bitte hier.

EuGH PM Nr. 73 vom 18.6.2013
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