17.05.2018

Anwendbarkeit der Unionsrichtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen auf Bildungseinrichtungen

Die Unionsrichtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen kann auf eine Bildungseinrichtung anwendbar sein. Das nationale Gericht muss von Amts wegen die Missbräuchlichkeit von Klauseln in von der Richtlinie erfassten Verträgen zwischen Bildungseinrichtungen und Studierenden prüfen.

EuGH 19.4.2018, C-645/16
Der Sachverhalt:
Die Beklagte war während der akademischen Jahre 2012/2013 und 2013/2014 Studierende an der klagenden Bildungseinrichtung in Belgien. Sie konnte den Gesamtbetrag von rd. 1.550 €, den sie als Studiengebühren und als Beitrag für eine Studienreise schuldete, nicht auf einmal begleichen. Sie schloss daher mit der Bildungseinrichtung einen schriftlichen Vertrag über ein zinsloses Teilzahlungsdarlehen ab.

Nach diesem Vertrag erhielt sie vom Dienst "Studierendenförderung" der Bildungseinrichtung den zur Schuldbegleichung benötigten Betrag. Sie hatte für die Dauer von sieben Monaten jeweils 200 € mtl. an den Dienst zu entrichten. Der Restbetrag (150 €) war bis zum 25.9.2014 zu zahlen. Zudem sah der Vertrag bei Nichtzahlung Zinsen i.H.v. 10 % jährlich und eine Entschädigung zur Deckung der Beitreibungskosten (i.H.v. 10 % der Restschuld, mindestens aber 100 €) vor. Auch nachdem die Beklagte ein förmliches Aufforderungsschreiben erhalten hatte, leistete sie keine Zahlung.

Im Jahr 2015 erhob die Klägerin bei dem zuständigen Gericht in Belgien Klage gegen die Beklagte auf Zahlung der Hauptforderung i.H.v. 1 550 € nebst Verzugszinsen von 10 % ab dem 25. 2.2014 (rd. 270 €) und Kostenersatz i.H.v. rd. 150 €. Vor diesem Gericht erschien die Beklagte weder persönlich, noch ließ sie sich vertreten.

Das belgische Gericht möchte in dem Zusammenhang vom EuGH wissen, ob es im Rahmen eines Versäumnisverfahrens von Amts wegen prüfen darf, ob auf den Vertrag die Richtlinie 93/13/EWG über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen anwendbar ist. Zudem möchte es wissen, ob eine Bildungseinrichtung, die im Wesentlichen aus öffentlichen Mitteln finanziert wird, als ein "Gewerbetreibender" i.S.d. Richtlinie anzusehen ist, wenn sie Studierenden ein Teilzahlungsdarlehen gewährt.

Die Gründe:
Nach der Rechtsprechung des EuGH muss ein nationales Gericht von Amts wegen die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel prüfen. Diese Pflicht bedeutet auch, dass das nationale Gericht prüfen muss, ob der Vertrag, der die Klausel enthält, in den Anwendungsbereich der Unionsrichtlinie fällt. Im Hinblick auf den Begriff "Gewerbetreibender" ist die Absicht des Unionsgesetzgebers zu berücksichtigen, diesen Begriff weit zu fassen. Es handelt sich nämlich um einen funktionalen Begriff, d.h. es ist zu beurteilen, ob die Vertragsbeziehung innerhalb der Tätigkeiten liegt, die eine Person im Rahmen ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit vornimmt.

Im Übrigen scheint es, dass die Rechtssache nicht unmittelbar den Lehrauftrag der klagenden Bildungseinrichtung betrifft. Es geht vielmehr um eine Leistung, die die Klägerin neben und in Ergänzung zu ihrer Lehrtätigkeit erbringt und die darin besteht, einer Studierenden vertraglich die zinslose Teilzahlung geschuldeter Beträge anzubieten. Eine solche Leistung läuft jedoch naturgemäß darauf hinaus, die Zahlung einer bestehenden Schuld zu erleichtern, und stellt grundsätzlich einen Darlehensvertrag dar. Vorbehaltlich der Überprüfung dieses Anhaltspunkts durch das nationale Gericht ist daher davon auszugehen, dass die Bildungseinrichtung als "Gewerbetreibender" i.S.d. Richtlinie handelt, wenn sie eine solche ihre Lehrtätigkeit ergänzende Nebenleistung erbringt.

Gestützt wird diese Auslegung durch den Schutzzweck der Richtlinie. Im Rahmen eines Vertrags herrscht grundsätzlich eine Ungleichheit zwischen der Bildungseinrichtung und der Studierenden, die sich aus der Asymmetrie ergibt, die zwischen diesen Parteien im Bereich der Information und der technischen Fähigkeiten besteht.

Linkhinweis:

Für die auf den Webseiten des EuGH veröffentlichte Pressemitteilung klicken Sie bitte hier.

EuGH PM Nr. 67 vom 17.5.2018
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