09.06.2011

Auch bei Fehlen eines Entgelts kann eine beabsichtigte Schleichwerbung vorliegen

Die Existenz eines Entgelts oder einer ähnlichen Gegenleistung ist nicht notwendige Voraussetzung für die Feststellung, dass eine beabsichtigte Schleichwerbung vorliegt. Eine andere Auslegung der Richtlinie "Fernsehen ohne Grenzen" würde den Schutz der Interessen der Fernsehzuschauer gefährden.

EuGH 9.6.2011, C-52/10
Der Sachverhalt:
In einer 2003 von dem privaten Fernsehsender "Alter Channel" ausgestrahlten Sendung wurde eine kosmetische Zahnbehandlung dargestellt, und zwar in drei Sequenzen vor, während und nach der Behandlung einer Patientin. Die Moderatorin unterhielt sich mit einer Zahnärztin, die erklärte, dass diese Behandlung eine Weltneuheit sei. Die Wirksamkeit und die Kosten der Behandlung wurden erörtert.

Daraufhin verhängte der griechische Nationale Rat für Rundfunk und Fernsehen, ESR, eine Geldbuße von 25.000 € gegen die Kläger (Betreiber des Senders und dessen Präsident und Verwaltungsdirektor), weil die fragliche Fernsehsendung Schleichwerbung enthalten habe. Die Kläger erhoben gegen die Entscheidung des ESR Klage beim griechischen Staatsrat, der den EuGH nach der Auslegung der Richtlinie 89/552/EWG "Fernsehen ohne Grenzen" fragt.

Der Staatsrat möchte insbesondere wissen, ob die Richtlinie dahin auszulegen ist, dass die Existenz eines Entgelts oder einer ähnlichen Gegenleistung eine notwendige Voraussetzung für die Feststellung ist, dass eine beabsichtigte Schleichwerbung vorliegt.

Die Gründe:
Die Existenz eines Entgelts oder einer ähnlichen Gegenleistung ist nicht notwendige Voraussetzung für die Feststellung, dass eine beabsichtigte Schleichwerbung vorliegt.

Die Richtlinie soll sicherstellen, dass die Interessen der Fernsehzuschauer geschützt werden, und dass die "Fernsehwerbung" zu diesem Zweck Mindestnormen und Kriterien unterworfen werden muss. Der Begriff "Schleichwerbung" stellt im Verhältnis zu dem der "Fernsehwerbung" einen autonomen Begriff dar, der spezifische Kriterien erfüllt. Die Besonderheit der Schleichwerbung besteht darin, dass sie "vom Fernsehveranstalter absichtlich zu Werbezwecken vorgesehen" ist.

Zwar stellt die Existenz eines Entgelts oder einer ähnlichen Gegenleistung ein Kriterium dar, anhand dessen sich die Werbeabsicht feststellen lässt, aus der Definition in der Richtlinie sowie deren Systematik und Zweck ergibt sich jedoch, dass diese Absicht bei Fehlen eines solchen Entgelts nicht ausgeschlossen werden kann. Mit anderen Worten kann Schleichwerbung auch bei Fehlen eines Entgelts vorliegen.

Da es zudem in manchen Fällen schwierig oder gar unmöglich sein dürfte, die Existenz eines Entgelts oder einer ähnlichen Gegenleistung im Zusammenhang mit einer Fernsehwerbung, die dennoch alle Merkmale einer Schleichwerbung aufweist, festzustellen, könnte es den Schutz der Interessen der Fernsehzuschauer gefährden und dem Verbot der Schleichwerbung seine praktische Wirksamkeit nehmen, wenn die Existenz eines Entgelts als notwendige Voraussetzung angesehen würde.

Hintergrund:
Die Richtlinie unterwirft die Fernsehwerbung einer Reihe von Mindestnormen und Kriterien, um sicherzustellen, dass die Interessen der Verbraucher als Zuschauer umfassend und angemessen geschützt werden. Sie verbietet "Schleichwerbung", die definiert wird als "die Erwähnung oder Darstellung von Waren, Dienstleistungen, Namen, Marke oder Tätigkeiten eines Herstellers von Waren oder eines Erbringers von Dienstleistungen in Programmen, wenn sie vom Fernsehveranstalter absichtlich zu Werbezwecken vorgesehen ist und die Allgemeinheit hinsichtlich des eigenen Zwecks dieser Erwähnung oder Darstellung irreführen kann". Eine Erwähnung oder Darstellung gilt insbes. dann als beabsichtigt, wenn sie gegen Entgelt oder eine ähnliche Gegenleistung erfolgt.

Linkhinweis:

Für den auf den Webseiten des EuGH veröffentlichten Volltext der Entscheidung klicken Sie bitte hier.

EuGH PM Nr. 57 vom 9.6.2011
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