Aufnahme eines durch Insolvenzeröffnung unterbrochenen Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens bei Verzögerung durch den Insolvenzverwalter
BGH v. 1.10.2025 - VII ZR 138/24Der Kläger ist Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der W. & L. GmbH (Schuldnerin). Die Schuldnerin begehrte von den Beklagten Zahlung von Restwerklohn aus einem vorzeitig beendeten Vertrag über die Errichtung eines Einfamilienhauses sowie die Herausgabe einer Vertragserfüllungsbürgschaftsurkunde. Die Beklagten machten ihrerseits widerklagend Schadensersatzansprüche wegen höherer Baukosten der infolge ihrer Kündigung nicht erbrachten und an Drittunternehmer vergebenen Bauleistungen geltend.
Das LG wies die Klage der Schuldnerin ab und verurteilte sie auf die Widerklage der Beklagten hin zur Zahlung von 20.000 €. Das OLG änderte das Urteil ab und verurteilte die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von rd. 63.000 € nebst Zinsen und Herausgabe der Vertragserfüllungsbürgschaft. Die weitergehende Klage und die Widerklage wies das OLG ab. Die Revision wurde nicht zugelassen.
Nach Einlegung der hiergegen gerichteten Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten wurde über das Vermögen der Schuldnerin am 6.6.2023 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Mit Schriftsatz vom 22.8.2024 beantragte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten, den Kläger zur Aufnahme des Rechtsstreits zu laden. Der Kläger teilte mit Schriftsatz vom 2.10.2024 mit, dass er nach erfolgter Prüfung der Nichtzulassungsbeschwerde eine Aufnahme nicht ablehnen werde, über eine Aufnahme aber erst zu einem späteren Zeitpunkt entscheiden könne.
Auf Hinweis des Senats erklärte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten mit Schriftsatz vom 13.5.2025, dass das Verfahren auch im Hinblick auf die Widerklage aufgenommen wird, und legte mit Schriftsatz vom 8.9.2025 beglaubigte Tabellenauszüge vor.
Der BGH entschied nunmehr: Das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren wird hinsichtlich der Klage für durch den Kläger aufgenommen erklärt. Die Beklagten haben den Rechtsstreit hinsichtlich der Widerklage wirksam aufgenommen. Zur Wahrung rechtlichen Gehörs weist der Senat darauf hin, dass er nicht vor Ablauf von drei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses in der Sache entscheiden wird. Der Zeitpunkt der Entscheidung bleibt von der Geschäftslage abhängig. Eine etwaige Stellungnahme zur Beschwerdebegründung hat durch einen beim BGH zugelassenen Rechtsanwalt zu erfolgen.
Die Gründe:
Das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren ist hinsichtlich der Klage durch Beschluss für von dem Kläger aufgenommen zu erklären. Hinsichtlich der Widerklage haben die Beklagten das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren wirksam aufgenommen. Die Aufnahme eines durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Partei unterbrochenen Verfahrens richtet sich gem. § 240 Satz 1 ZPO nach den für das Insolvenzverfahren geltenden Vorschriften. Die Aufnahme des Verfahrens ist auch möglich, wenn dieses zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde in der Revisionsinstanz anhängig war. Werden in einem Verfahren durch Klage und Widerklage wechselseitig Ansprüche geltend gemacht, ist das Aufnahmerecht für Klage und Widerklage getrennt zu prüfen.
Die Voraussetzungen für die Ersetzung der Aufnahmeerklärung des Klägers liegen hinsichtlich der Klage vor. Ein Aktivprozess des Schuldners, mit dem über die Pflicht zu einer Leistung gestritten wird, die in die Masse zu gelangen hat, kann nach § 85 Abs. 1 Satz 1 InsO grundsätzlich nur durch den Insolvenzverwalter aufgenommen werden. Erst wenn der Insolvenzverwalter die Aufnahme ablehnt, § 85 Abs. 2 InsO, oder wenn eine Verzögerung der Aufnahme durch den Insolvenzverwalter vorliegt, § 85 Abs. 1 Satz 2 InsO i.V.m. § 239 Abs. 2 bis 4 ZPO, kann der Prozessgegner das Verfahren aufnehmen. Die Voraussetzungen für eine Aufnahme des Verfahrens durch den Prozessgegner wegen Verzögerung liegen vor.
Eine Verzögerung der Aufnahme liegt dann vor, wenn der Insolvenzverwalter den Prozess nicht innerhalb einer den Umständen nach angemessenen Frist aufnimmt. Von einer solchen Verzögerung ist auszugehen, nachdem die Unterbrechung des Verfahrens nunmehr seit über zwei Jahren andauert und der Kläger im Schriftsatz vom 2.10.2024 selbst das Vorliegen einer Verzögerung angenommen hat. Der vorgetragene Umstand, dass aufgrund Masseunzulänglichkeit und nicht gesicherter Prozesskosten noch keine Entscheidung über die Aufnahme habe ergehen können, kann in Anbetracht der bereits verstrichenen Zeit ein weiteres Zuwarten unter Wahrung des Justizgewährleistungsanspruchs der Beklagten nicht rechtfertigen.
Die Voraussetzungen für eine Aufnahme des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens durch die Beklagten gem. § 180 Abs. 2 InsO liegen hinsichtlich der Widerklage vor. Hinsichtlich der Widerklage liegt ein Passivprozess vor, da die Beklagten eine Schadensersatzforderung gegen die Schuldnerin geltend machen. Ist in einem Insolvenzverfahren eine Forderung vom Insolvenzverwalter oder von einem Insolvenzgläubiger bestritten worden, so ist es gem. § 179 Abs. 1 InsO dem Gläubiger überlassen, die Feststellung gegen den Bestreitenden zu betreiben. War zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein Rechtsstreit über die Forderung anhängig, so ist die Feststellung gem. § 180 Abs. 2 InsO durch Aufnahme des Rechtsstreits zu betreiben. Nach §§ 87, 179 Abs. 1, § 180 Abs. 2, § 181 InsO kann ein anhängiger Rechtsstreit gegen den Insolvenzverwalter nur und insoweit aufgenommen werden, als die streitgegenständlichen Forderungen zur Insolvenztabelle angemeldet, geprüft und vom Insolvenzverwalter bestritten wurden. Zum Nachweis dieser nicht verzichtbaren Sachurteilsvoraussetzungen hat der Prozessgegner des Insolvenzschuldners einen beglaubigten Tabellenauszug (§ 179 Abs. 3 Satz 1 InsO), aus dem sich Grund und Höhe der Forderungen ergeben, vorzulegen. Diese Voraussetzungen liegen vor.
Kommentierung | InsO
§ 85 Aufnahme von Aktivprozessen
Kayser in Kayser/Thole, Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung, 11. Aufl. 2023
Kommentierung | InsO
§ 87 Forderungen der Insolvenzgläubiger
Kayser in Kayser/Thole, Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung, 11. Aufl. 2023
Kommentierung | InsO
§ 179 Streitige Forderungen
Depré in Kayser/Thole, Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung, 11. Aufl. 2023
Kommentierung | InsO
§ 180 Zuständigkeit für die Feststellung
Depré in Kayser/Thole, Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung, 11. Aufl. 2023
Kommentierung | InsO
§ 181 Umfang der Feststellung
Depré in Kayser/Thole, Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung, 11. Aufl. 2023
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