08.10.2012

Ausgleichsleistungen für Fluggäste auch bei Verzögerungen infolge Umorganisation des Flugs nach einem zwei Tage zurückliegenden Streik

Ein Luftfahrtunternehmen muss Fluggästen Ausgleichsleistungen erbringen, wenn sie nicht befördert worden sind, weil ihr Flug infolge eines Streiks umorganisiert wurde, der zwei Tage zuvor auf dem Flughafen stattgefunden hatte. Auf die Befreiung von der Pflicht zur Ausgleichszahlung, wie sie bei einer Annullierung wegen "außergewöhnlicher Umstände" möglich ist, kann sich die Fluggesellschaft nur am am Tag des Streiks hinsichtlich eines einzelnen betroffenen Flugzeugs berufen.

EuGH 4.10.2012, C-22/11
Der Sachverhalt:
Aufgrund eines Streiks des Personals am Flughafen Barcelona am 28.7.2006 musste der Linienflug der beklagten Gesellschaft Finnair um 11:40 Uhr von Barcelona nach Helsinki annulliert werden. Die Beklagte beschloss daraufhin, die nachfolgenden Flüge umzuorganisieren. Die betroffenen Fluggäste wurden daher am folgenden Tag mit dem Linienflug um 11:40 Uhr sowie mit einem eigens durchgeführten Flug um 21:40 Uhr nach Helsinki befördert. Auch an den folgenden beiden Tagen kam es infolge der Umorganisation zu teilweise erheblichen Verzögerungen.

Der Kläger, der den Flug für den 30.7.2006 um 11:40 Uhr gebucht und sich ordnungsgemäß am Flugsteig eingefunden hatte, konnte Helsinki erst mit dem außerplanmäßigen Flug, der um 21.40 Uhr startete, erreichen. Er erhielt von der Beklagten keine Ausgleichsleistung. Der Kläger ist der Ansicht, dass Finnair ihm die Beförderung ohne triftigen Grund verweigert habe. Mit seiner Klage vor den finnischen Gerichten verlangt er die Zahlung einer Ausgleichszahlung i.H.v. 400 €, die in der Verordnung bei innergemeinschaftlichen Flügen über eine Entfernung von mehr als 1.500 km vorgesehen ist.

Der finnische oberste Gerichtshof möchte in diesem Zusammenhang vom EuGH wissen, wie der Begriff "Nichtbeförderung" auszulegen ist und ob sich ein Luftfahrtunternehmen auf außergewöhnliche Umstände berufen kann, um Fluggästen die Beförderung auf Flügen zu verweigern, die auf den wegen dieser Umstände annullierten Flug folgen, und ob das Unternehmen so von seiner Verpflichtung befreit ist, den von dieser Weigerung betroffenen Fluggästen einen Ausgleich zu zahlen.

Die Gründe:
Der in der Verordnung über Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste verwendete Begriff "Nichtbeförderung" bezieht sich nicht nur auf Fälle der Nichtbeförderung wegen Überbuchung, sondern auch auf Fälle der Nichtbeförderung aus anderen Gründen. Das Eintreten außergewöhnlicher Umstände - wie eines Streiks -, die ein Luftfahrtunternehmen veranlassen, spätere Flüge umzuorganisieren, rechtfertigt weder eine Nichtbeförderung, noch ist das Unternehmen von seiner Verpflichtung befreit, Fluggästen, denen die Beförderung auf einem der späteren Flüge verweigert wurde, Ausgleichsleistungen zu erbringen.

Es liegt auch keiner der Fälle vor, in denen eine Nichtbeförderung ausnahmsweise gerechtfertigt ist, z.B. aus Gründen der Gesundheit, der Sicherheit oder wegen unzureichender Reiseunterlagen. Der vorliegende Fall ist aber damit vergleichbar, dass die Beförderung wegen einer "anfänglichen" Überbuchung, die das Luftfahrtunternehmen aus wirtschaftlichen Gründen verursacht hat, verweigert wird. Denn die Beklagte hat den Platz des Klägers neu vergeben, um andere Fluggäste zu befördern, und hierbei selbst die Wahl zwischen verschiedenen zu befördernden Fluggästen getroffen hat.

Nach der Verordnung ist ein Luftfahrtunternehmen zwar nicht zur Leistung der Ausgleichszahlung verpflichtet, wenn ein Flug i.Z.m. "außergewöhnlichen Umständen" annulliert wird, d.h. wegen Umständen, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Dies ist bei Fluggästen der Fall, denen die Beförderung am Tag des Streiks verweigert wurde. Der Unionsgesetzgeber hat hingegen nicht vorgesehen, dass die Ausgleichszahlung, die Fluggästen zusteht, denen die Beförderung verweigert wurde, aus Gründen ausgeschlossen werden kann, die mit dem Eintreten "außergewöhnlicher Umstände" zusammenhängen.

Die außergewöhnlichen Umstände dürfen sich vielmehr nur auf ein einzelnes Flugzeug an einem bestimmten Tag beziehen. Das aber ist nicht der Fall, wenn die Beförderung verweigert wird, weil Flüge infolge außergewöhnlicher Umstände, die einen vorhergehenden Flug betrafen, umorganisiert werden. Gleichwohl ist darauf hinzuweisen, dass die Luftfahrtunternehmen nicht daran gehindert sind, bei anderen Personen, auch Dritten, die die Nichtbeförderung verursacht haben, Regress zu nehmen.

Linkhinweis:

Für den auf den Webseiten des EuGH veröffentlichten Volltext der Entscheidung klicken Sie bitte hier.

EuGH PM Nr. 124 vom 4.10.2012
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