13.07.2020

Bekanntgabe der Adressen von Urheberrechtsverletzern: Ansprüche des Rechtsinhabers gegen YouTube

Bei illegalem Hochladen eines Films auf eine Online-Plattform wie YouTube kann der Rechtsinhaber nach der Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums vom Betreiber nur die Postanschrift des betreffenden Nutzers verlangen, nicht aber dessen E-Mail-Adresse, IP-Adresse oder Telefonnummer.

EuGH v. 9.7.2020 - C-264/19
Der Sachverhalt:
In den Jahren 2013 und 2014 wurden die Filme Parker und Scary Movie 5 ohne die Zustimmung von Constantin Film Verleih, der Inhaberin der ausschließlichen Nutzungsrechte an diesen Werken in Deutschland, auf die Videoplattform YouTube hochladen. Dort wurden sie mehrere zehntausend Male angeschaut. Constantin Film Verleih verlangte daher von YouTube und von Google, der Muttergesellschaft von YouTube, bei der sich die Nutzer zuvor mit einem Benutzerkonto registrieren müssen, ihr eine Reihe von Auskünften über jeden der Nutzer, die die Filme hochgeladen hatten, zu erteilen. Diese beiden Unternehmen weigerten sich, Constantin Film Verleih Auskünfte zu diesen Nutzern, insbesondere deren E-Mail-Adressen und Telefonnummern sowie die IP-Adressen, die von ihnen sowohl zum Zeitpunkt des Uploads der betreffenden Dateien als auch zum Zeitpunkt des letzten Zugangs zu ihrem Google/YouTube-Konto verwendet wurden, zu erteilen.

Der Ausgangsrechtsstreit hing von der Beantwortung der Frage ab, ob solche Auskünfte unter den Begriff "Adressen" i.S.d. RL 2004/48 fallen. Nach dieser RL können die Gerichte anordnen, dass Auskünfte über den Ursprung und die Vertriebswege von Waren oder Dienstleistungen, die ein Recht des geistigen Eigentums verletzen, erteilt werden. Zu diesen Informationen gehören u.a. die "Adressen" der Hersteller, Vertreiber und Lieferer der rechtsverletzenden Waren oder Dienstleistungen.

Der EuGH hat geurteilt, dass der Begriff "Adressen" in der RL 2004/48 sich, was einen Nutzer anbelangt, der ein Recht des geistigen Eigentums verletzende Dateien hochgeladen hat, nicht auf die E-Mail-Adresse und Telefonnummer dieses Nutzers sowie die für das Hochladen dieser Dateien genutzte IP-Adresse oder die bei seinem letzten Zugriff auf das Benutzerkonto verwendete IP-Adresse bezieht, sondern ausschließlich auf die Postanschrift.

Die Gründe:
Der EuGH hat erstens festgestellt, dass der gewöhnliche Sinn des Begriffs "Adresse" nur die Postanschrift erfasst, d.h. den Wohnsitz oder den Aufenthaltsort einer bestimmten Person. Daraus folgt, dass sich dieser Begriff, wenn er wie in der RL 2004/48 ohne weitere Präzisierung verwendet wird, nicht auf die E-Mail-Adresse, die Telefonnummer oder die IP-Adresse bezieht.

Zweitens sind den Vorarbeiten zum Erlass der RL 2004/48 keine Anhaltspunkte zu entnehmen, die darauf hindeuten würden, dass der Begriff "Adresse" dahin zu verstehen wäre, dass er nicht nur die Postanschrift, sondern auch die E-Mail-Adresse, die Telefonnummer oder die IP-Adresse der betroffenen Personen erfasst. Drittens ergibt die Prüfung anderer Unionsrechtsakte betreffend die E-Mail-Adresse oder die IP-Adresse, dass keiner dieser Rechtsakte den Begriff "Adresse" - ohne weitere Präzisierung - zur Bezeichnung der Telefonnummer, der IP-Adresse oder der E-Mail-Adresse verwendet.

Diese Auslegung steht im Einklang mit dem Ziel, das mit der das Auskunftsrecht betreffenden Bestimmung der RL 2004/48 verfolgt wird. Angesichts der Mindestharmonisierung in Bezug auf die Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums im Allgemeinen ist diese Harmonisierung nach dieser Bestimmung nämlich auf klar umschriebene Auskünfte beschränkt. Außerdem soll mit dieser Bestimmung die Beachtung verschiedener Rechte, u.a. des Rechts der Rechtsinhaber auf Auskunft und des Rechts der Nutzer auf Schutz ihrer personenbezogenen Daten, miteinander in Einklang gebracht werden.

Der EuGH hat jedoch klargestellt, dass die Mitgliedstaaten die Möglichkeit haben, den Inhabern von Rechten des geistigen Eigentums einen weitergehenden Auskunftsanspruch einzuräumen, allerdings unter dem Vorbehalt, dass ein angemessenes Gleichgewicht zwischen den verschiedenen betroffenen Grundrechten gewährleistet ist, sowie der Beachtung der anderen allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts wie etwa des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit.
EuGH PM Nr. 88 vom 9.7.2020
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