08.01.2024

Beweis des Gegenteils durch Anfechtungsgegner bei vermuteter Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz

Wird die Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz vermutet, muss der Anfechtungsgegner den Beweis des Gegenteils führen. Der Beweis ist geführt, wenn der Anfechtungsgegner zur Überzeugung des Tatrichters davon ausgehen durfte, der Schuldner werde in der dafür zur Verfügung stehenden Zeit seine übrigen, bereits vorhandenen und absehbar hinzutretenden Gläubiger vollständig befriedigen. Diese Annahme erfordert eine hinreichend verlässliche Beurteilungsgrundlage.

BGH v. 26.10.2023 - IX ZR 112/22
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist Verwalter in dem auf Antrag vom 16.6.2016 am 15.11.2016 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der A. GmbH (Schuldnerin). Er nimmt den Beklagten unter dem Gesichtspunkt der Vorsatzanfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO a.F. auf Rückgewähr von vier Zahlungen i.H.v. insgesamt rd. 380.000 € in Anspruch.

Die Schuldnerin kaufte Anteile an einer Gesellschaft, die Eigentümerin eines Hausgrundstücks in Berlin war. Die Schuldnerin beabsichtigte eine Aufteilung des Hauses in Wohnungseigentum sowie einen Abverkauf der Wohnungen mit Gewinn. Zur Entrichtung der zweiten Kaufpreisrate für die Gesellschaftsanteile i.H.v. 550.000 € benötigte die Schuldnerin eine Finanzierung. Der Beklagte gewährte der Schuldnerin laut notarieller Urkunde vom 26.8.2014 ein bis zum 1.3.2015 rückzahlbares Darlehen i.H.v. 550.000 €. Bei nicht fristgerechter Rückzahlung sollte das Darlehen ab dem 2.3.2015 mit 12 % jährlich zu verzinsen sein. Weiter sah der Darlehensvertrag eine Beteiligung des Beklagten am Gewinn aus dem Verkauf der Eigentumswohnungen i.H.v. 50 % vor. Die Schuldnerin unterwarf sich wegen ihrer Verpflichtung zur Rückzahlung des Darlehensbetrags der sofortigen Zwangsvollstreckung in ihr Vermögen.

Die Darlehensrückzahlung erfolgte nicht fristgerecht. Ab dem 9.3.2015 mahnte der Beklagte die Rückzahlung des Darlehens wiederholt an. Am 11.3.2015 erfolgte eine erste Teilzahlung i.H.v. 150.000 €. Eine weitere Teilzahlung i.H.v. 50.000 € erfolgte am 3.6.2015, nachdem der Beklagte im Mai 2015 ein vorläufiges Zahlungsverbot ausgebracht hatte. Eine zweite Vorpfändung erfolgte im Juli 2015, die nächste Zahlung der Schuldnerin i.H.v. 150.000 € am 10.9.2015. Am 2.11.2015 erfolgte die dritte Vorpfändung. Die letzte noch streitgegenständliche Zahlung i.H.v. rd. 30.000 € leistete die Schuldnerin am 4.11.2015.

LG und KG wiesen die Klage ab. Auf die Revision des Klägers Beklagten hob der BGH das Urteil des KG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.

Die Gründe:
Mit der vom KG gegebenen Begründung kann eine Kenntnis des Beklagten vom revisionsrechtlich zu unterstellenden Gläubigerbenachteiligungsvorsatz der Schuldnerin nicht verneint werden.

Zu Unrecht meint das KG, dass der Beklagte die Vermutung der Kenntnis vom Benachteiligungsvorsatz der Schuldnerin widerlegt habe. § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO (i.V.m. § 133 Abs. 3 Satz 1 InsO) ist eine widerlegliche (Tatsachen-)Vermutung i.S.d. § 292 ZPO. Der Gesetzgeber hat mit § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO einen Vermutungstatbestand geschaffen, der dem Verwalter die Durchsetzung des Anfechtungsanspruchs erleichtern soll. Liegen die Voraussetzungen des Vermutungstatbestands vor, muss der Anfechtungsgegner daher den Beweis des Gegenteils führen. Er muss darlegen und beweisen, dass er den Benachteiligungsvorsatz des Schuldners nicht kannte. Der Beweis erfordert die volle Überzeugung des Tatrichters i.S.d. § 286 ZPO von der Unkenntnis. Es reicht weder aus, dass der Richter in seiner Überzeugung unsicher geworden ist, noch, dass eine gewisse Wahrscheinlichkeit für das Gegenteil der Vermutung spricht.

Der Schuldner, der in dem nach § 140 InsO maßgeblichen Zeitpunkt zahlungsunfähig ist, handelt im Falle der Gewährung einer kongruenten Deckung nur dann mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz, wenn er zumindest billigend in Kauf nimmt, dass er auch künftig nicht in der Lage sein wird, seine übrigen Gläubiger in der dafür zur Verfügung stehenden Zeit zu befriedigen. Dementsprechend hat der Anfechtungsgegner keine Kenntnis vom Benachteiligungsvorsatz des Schuldners, wenn er von einer Befriedigung der übrigen Gläubiger in der dafür zur Verfügung stehenden Zeit ausgehen durfte. Eine bloße Hoffnung auf Befriedigung der übrigen Gläubiger ist nicht geeignet, die Vermutung der Kenntnis vom Benachteiligungsvorsatz zu widerlegen. Es muss sich um eine aus objektiver Sicht gerechtfertigte Annahme handeln, die auf ausreichender Tatsachengrundlage beruht.

Die Annahme, der Schuldner werde in der dafür zur Verfügung stehenden Zeit seine übrigen, bereits vorhandenen und absehbar hinzutretenden Gläubiger vollständig befriedigen, erfordert eine hinreichend verlässliche Beurteilungsgrundlage. Dabei wird der Anfechtungsgegner in der Regel auf Informationen des Schuldners angewiesen sein, um beurteilen zu können, ob mit einer Befriedigung der übrigen Gläubiger in der dafür zur Verfügung stehenden Zeit gerechnet werden kann. Das Informationsbedürfnis wird umso größer sein, je weiter der Anfechtungsgegner von den maßgeblichen Vorgängen im schuldnerischen Unternehmen entfernt ist. Beschafft sich der Anfechtungsgegner die erforderlichen Informationen nicht, handelt er mit Anfechtungsrisiko. Diesen Maßstäben genügen die Feststellungen des KG nicht. Eine hinreichend verlässliche Beurteilungsgrundlage für die von ihm angenommene Widerlegung der Vermutung des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO hat das KG nicht festgestellt.

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