22.05.2023

Beweislast hinsichtlich des Versands eines Fragebogens durch die Kommission zur Durchführung einer Marktbefragung

Das EuG hat die Klage des deutschen Stadtwerks enercity gegen die von der Kommission erteilte Genehmigung des Erwerbs von E.ON-Erzeugungsanlagen durch RWE als unzulässig abgewiesen. Das Gericht äußerte sich dabei zur bislang nicht entschiedenen Frage der Beweislast hinsichtlich des Versands eines Fragebogens durch die Kommission zur Durchführung einer Marktbefragung.

EuG v. 17.5.2023 - T-321/20
Der Sachverhalt:
Im März 2018 haben die RWE AG und die E.ON SE, zwei Gesellschaften deutschen Rechts, angekündigt, im Wege dreier Zusammenschlüsse einen komplexen Austausch von Vermögenswerten vornehmen zu wollen.

Mit der ersten Transaktion wollte RWE, die in mehreren europäischen Staaten auf den verschiedenen Stufen der Energieversorgungskette tätig ist, die alleinige oder gemeinsame Kontrolle über bestimmte Erzeugungsanlagen von E.ON, einer in mehreren europäischen Staaten tätigen Stromerzeugerin, erwerben. Die zweite Transaktion bestand darin, dass E.ON die alleinige Kontrolle über die Sparten Energieverteilung und -vertrieb sowie bestimmte Erzeugungsanlagen der innogy SE, einer Tochtergesellschaft von RWE, erwarb. Die dritte Transaktion sah den Erwerb einer Beteiligung in Höhe von 16,67 % an E.ON durch RWE vor.

Am 24. Juli 2018 teilte das deutsche Stadtwerk enercity AG, das in Deutschland Strom erzeugt und liefert, der Europäischen Kommission mit, dass es am den ersten und den zweiten Zusammenschluss betreffenden Verfahren beteiligt werden und daher die sich auf diese Zusammenschlüsse beziehenden Unterlagen erhalten möchte.

Nach Anmeldung des ersten Zusammenschlusses bei der Kommission am 22. Januar 2019 führte diese u. a. eine Marktbefragung durch und übermittelte dazu bestimmten Unternehmen einen Fragebogen. Mit Beschluss vom 26. Februar 2019 (im Folgenden: streitiger Beschluss) erklärte die Kommission diesen Zusammenschluss für mit dem Binnenmarkt vereinbar.

Enercity hat beim EuG eine Klage auf Nichtigerklärung dieses Beschlusses erhoben, die von der vierten erweiterten Kammer des Gerichts als unzulässig abgewiesen wurde, da das Stadtwerk vom streitigen Beschluss nicht unmittelbar betroffen ist. Um zu dieser Schlussfolgerung zu gelangen, prüfte das Gericht insbesondere die bislang nicht entschiedene Frage der Beweislast hinsichtlich des Versands eines Fragebogens durch die Kommission im Rahmen der Durchführung ihrer Marktbefragung.

Die Gründe:
Vorab ist darauf hinzuweisen, dass gemäß Art. 263 Abs. 4 AEUV eine natürliche oder juristische Person nur dann eine Klage gegen einen an eine andere Person gerichteten Beschluss erheben kann, wenn dieser Beschluss sie unmittelbar und individuell betrifft. Hierzu wird bestätigt, dass enercity unmittelbar vom streitigen Beschluss betroffen ist, da dieser die sofortige Durchführung des ersten Zusammenschlusses gestattete und so zu einer unmittelbaren Änderung der Lage auf den betroffenen Märkten führen konnte.

Zur individuellen Betroffenheit von enercity ist darauf hinzuweisen, dass in einem Beschluss, mit dem die Vereinbarkeit eines Zusammenschlusses mit dem Binnenmarkt festgestellt wird, bei der Prüfung der individuellen Betroffenheit eines Drittunternehmens darauf abzustellen ist, ob zum einen seine Marktstellung beeinträchtigt ist und ob es zum anderen am Verwaltungsverfahren beteiligt war. Zum letztgenannten Punkt ergibt sich aus der Rechtsprechung, dass die aktive Teilnahme des Drittunternehmens am Verwaltungsverfahren zwar ein Faktor ist, der regelmäßig berücksichtigt wird, um in Verbindung mit anderen spezifischen Umständen die Zulässigkeit der Nichtigkeitsklage festzustellen, dass die bloße Teilnahme am Verfahren für sich allein aber nicht ausreicht, um seine individuelle Betroffenheit festzustellen.

Im vorliegenden Fall war zunächst festzustellen, dass die Teilnahme von enercity am den ersten Zusammenschluss betreffenden Verwaltungsverfahren unstreitig ist. Aufgrund einer eingehenden Prüfung der ihm hierzu übermittelten Informationen wird jedoch festgestellt, dass sie nicht ausreichen, um diese Beteiligung als "aktiv" einzustufen. Das diesbezügliche Vorbringen von enercity war zwar von einem gewissen Interesse und wurde von der Kommission berücksichtigt; es war aber für die Beurteilung der Auswirkungen des in Rede stehenden Zusammenschlusses auf den relevanten Markt nicht maßgeblich.

Das Vorbringen von enercity, das im Wesentlichen darin besteht, dass die Dienststellen der Kommission gegenüber enercity ihre Sorgfaltspflicht nicht erfüllt hätten, und zwar sowohl hinsichtlich des Versands des Fragebogens zur Durchführung der Marktbefragung als auch hinsichtlich der weiteren Behandlung ihres Antrags auf Anerkennung als betroffene Dritte, vermag diese Schlussfolgerung nicht zu entkräften.

Sofern enercity geltend macht, diesen Fragebogen nicht erhalten zu haben, ist darauf hinzuweisen, dass der Nachweis des Versands dieses Fragebogens der Kommission obliegt. Insoweit wird festgestellt, dass die Kommission im Anschluss an eine prozessleitende Maßnahme mehrere Beweise übermittelt hat, die den Versand des streitigen Dokuments an enercity belegen.

Zum Vorbringen von enercity, wonach der Fragebogen an den falschen Adressaten, nämlich an ihren Pressesprecher, übermittelt worden sei, ist darauf hinzuweisen, dass von einem Pressesprecher vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er bei Erhalt nicht nur einer E-Mail, sondern auch eines Faxes eines Organs der Europäischen Union dieses Organ unverzüglich über den Irrtum hinsichtlich des Adressaten informiert. Außerdem hätte er auch mit der Rechtsabteilung oder der Vertriebsabteilung seines Unternehmens Fühlung nehmen und sie über den Erhalt der in Rede stehenden Dokumente informieren können.

Jedenfalls hätte, auch wenn enercity den ausgefüllten Fragebogen zurückgeschickt hätte, das bloße Zurückschicken nicht ausgereicht, um ihre Beteiligung am Verwaltungsverfahren als aktiv einzustufen und sie im Sinne von Art. 263 Abs. 4 AEUV zu individualisieren.

Schließlich lässt das Gericht - obwohl der Umstand, dass enercity beim Anhörungsbeauftragten die Anerkennung als betroffene Dritte beantragt hat, ein Indiz ihrer Absicht darstellen kann, sich am den in Rede stehenden Zusammenschluss betreffenden Verfahren zu beteiligen - nicht zu, dass ein solcher Antrag die Teilnahme als "aktiv" charakterisiert, da diese Einstufung den Nachweis von Handlungen des betroffenen Unternehmens erfordert, die den Ausgang des in Rede stehenden Verfahrens hätten beeinflussen können.

Vor dem Hintergrund, dass enercity sich nicht aktiv am ersten Zusammenschluss beteiligt hat, und ferner unter Berücksichtigung dessen, dass in Bezug auf die Beeinträchtigung der Marktstellung der Klägerin keine besonderen Umstände vorliegen, ist festzustellen, dass enercity vom streitigen Beschluss nicht individuell betroffen ist. Enercity hat im Ergebnis ihre Klagebefugnis nicht nachgewiesen; die Klage ist folglich als unzulässig abzuweisen.

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EuGH PM Nr. 82 vom 17.5.2023
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