14.08.2023

Beweisnot mit Schließfach-Mietvertrag

Die Besonderheiten des Schließfachvertrages unter dem Aspekt der erwarteten höheren Sicherheit prägen den Mietvertrag und die aus ihm folgenden Verpflichtungen der Bank über das übliche gesetzliche Maß hinaus. Es kam hinzu, dass es sich bei dem Ehemann der Klägerin auch gerade nicht um einen sog. "gegnerischen" Zeugen (also einen Zeugen, der ersichtlich im Lager der Gegenpartei steht) handelt, bei dem die höchstrichterliche Rechtsprechung eher zur Annahme einer Beweisnot neigt, weil der Beweisführer eine im Lager des Prozessgegners stehende Person nicht als Zeugen zu benennen braucht.

LG Dortmund v. 16.6.2023 - 3 O 514/22
Der Sachverhalt:
Die Klägerin hatte am 17.11.2021 mit der beklagten Bank einen Schrankfach-Mietvertrag zum Preis von 132 € pro Jahr abgeschlossen. Gemäß Ziff. 4 der Sonderbedingungen für die Vermietung von Schließfächern nimmt die Bank keine Kenntnis von dem Schrankfachinhalt. Zusätzlich vereinbarten die Parteien im gleichen Mietvertrag, dass die Beklagte einen Betrag bis zu 200.000 € gegen Zerstörung, Beschädigung und Einbruchsdiebstahl/Raub in den Geschäftsräumen der Bank versichern würde. Von Seiten der Beklagten erfolgte die Übergabe von zwei Schlüsseln an die Klägerin.

Im Rahmen von Ziff. 5 Abs. 1 S. 1 der Sonderbedingungen erteilte die Klägerin auf einem am 18.11.2021 unterzeichneten Vordruck ihrem Ehemann sowie zwei weiteren Personen Schrankvollmacht. Am 1.3.2022 widerrief die Klägerin die Vollmacht für ihren Ehemann gegenüber der Beklagten. Der Widerruf erfolgte in der Weise, dass die Bitte "um Löschung der Safevollmacht" handschriftlich auf das Vollmachtsformular aufgebracht, von der Klägerin unterzeichnet und schließlich der handschriftliche Vermerk "Vollmacht gelöscht" von einem/r Bankmitarbeiter/in auf das Formular gesetzt wurde. Am selben Tag hob die Klägerin von ihrem bei der Beklagten geführten Konto 125.000 € in bar ab.

Am 21.3.2022 um 9:23 Uhr wurde der Ehemann der Klägerin als Besucher ihres Schließfachs in die Besucherkartei aufgenommen. Die Klägerin behauptete, dass sie den am 1.3.2022 abgehobenen Geldbetrag i.H.v. 125.000,00 € - es handele sich dabei um den Verkaufserlös einer ihr gehörenden Eigentumswohnung - sogleich in ihrem Schließfach deponiert habe. Von ihrem Ehemann hätte sie zu diesem Zeitpunkt innerhalb der gemeinsamen Ehewohnung getrennt gelebt, später sei er aus der Ehewohnung ausgezogen. Er habe von dem Widerruf keine Kenntnis gehabt. Deswegen könne sie ihm auch keinen Vorwurf machen, weshalb sie gegen ihn keine Anzeige erstatten werde. Die Schuld treffe nur die Bank, sie möchte die Summe von der Bank erstattet haben. Was mit dem Geld passiert ist, wüsste sie nicht.

Das LG hat die Klage abgewiesen.

Die Gründe:
Der von der Klägerin geltend gemachte Schadensersatzanspruch ergab sich weder aus § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. dem Schrankfach-Mietvertrag noch unter einem sonstigen rechtlichen Gesichtspunkt.

Zwar dürfte die Beklagte ihre Pflichten aus dem mit der Klägerin geschlossenen Schrankfach-Mietvertrag in objektiver Hinsicht verletzt haben. Denn die Besonderheiten des Schließfachvertrages unter dem Aspekt der erwarteten höheren Sicherheit prägen den Mietvertrag und die aus ihm folgenden Verpflichtungen der Bank über das übliche gesetzliche Maß hinaus. Geschuldet werden Bewachung und Sicherung des Schließfaches unter Zuhilfenahme von Mitteln, die dem anerkannten Stand der Technik entsprechen, eine allgemeine Kontrolle und Überwachung des Zugangs und die Prüfung der Zugangsberechtigung im Einzelfall. Die Bank muss danach insbesondere darüber wachen, dass Unbefugte keinen Zutritt erlangen. Diese Pflicht hat die Beklagte hier dadurch verletzt, dass sie dem Ehemann der Klägerin am 21.3.2022 Zutritt zu dem Schließfach der Klägerin gewährt hat, obwohl diese die ihrem Ehemann bei der Eröffnung des Schließfaches erteilte Vollmacht bereits am 1.3.2022 schriftlich widerrufen hatte. Aufgrund des Widerrufs der Vollmacht war der Ehemann der Klägerin nicht mehr zum Zugang berechtigt, weshalb die Beklagte einem Unbefugten den Zugang zu dem Schließfach ermöglicht hat.

Der Klägerin ist durch die Pflichtverletzung der Beklagten indes kein Schaden entstanden. Sie ist für die Einlegung des Bargeldbetrages in das Schließfach sowie für die Entnahme ebenjenes Geldbetrages durch ihren Ehemann beweisfällig geblieben. Für eine Anhörung der Klägerin nach § 141 ZPO war im Streitfall kein Raum, da sie sich nicht in Beweisnot befand. Da die Regelungen der §§ 445 ff. ZPO subsidiär gegenüber anderen Beweismitteln sind und grundsätzlich voraussetzen, dass eine Partei sich in Beweisnot befindet, ihr also keine Beweismittel zur Verfügung stehen oder diese nicht ausreichen, hängt die Zulässigkeit einer Parteivernehmung von Amts wegen gem. § 448 ZPO weiterhin davon ab, dass zuvor alle angebotenen Beweismittel, also auch die nach § 445 ZPO oder § 447 ZPO beantragte und nur mit Einverständnis des jeweiligen Gegners mögliche Parteivernehmung, ausgeschöpft worden sind und keinen vollständigen Beweis erbracht haben.

Die Klägerin hätte jedoch Zeugenbeweis durch Benennung ihres Ehemannes antreten können, weshalb keine Beweisnot gegeben war. Es kam hinzu, dass es sich bei dem Ehemann der Klägerin auch gerade nicht um einen sog. "gegnerischen" Zeugen (also einen Zeugen, der ersichtlich im Lager der Gegenpartei steht) handelt, bei dem die höchstrichterliche Rechtsprechung eher zur Annahme einer Beweisnot neigt, weil der Beweisführer eine im Lager des Prozessgegners stehende Person nicht als Zeugen zu benennen braucht.

Mehr zum Thema:

Rechtsprechung:
Zum Anscheinsbeweis für grob fahrlässige Pflichtverletzung des Kreditkarteninhabers bei Bargeldabhebungen kurz nach Diebstahl der Karte
OLG Stuttgart vom 08.02.2023 - 9 U 200/22
ZIP 2023, 1120

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