20.09.2016

Beweisverwertungsverbot bei Herausgabe von dynamischen IP-Adressen zugeordneten Nutzerdaten ohne richterlichen Gestattungsbeschluss

Wenn der Internetzugangsvermittler aufgrund einer richterlich gestatteten Auskunft mitteilt, dass die IP-Adresse zum fraglichen Zeitpunkt einer Benutzerkennung eines Resellers zugeordnet war, kann der Reseller die der Benutzerkennung zugehörigen Bestandsdaten ohne richterlichen Gestattungsbeschluss mitteilen. Ein gesonderter Gestattungsbeschluss für Reseller in Filesharing-Verfahren ist somit nicht erforderlich.

AG Potsdam 12.11.2015, 37 C 156/15
Der Sachverhalt:
Die Klägerin hatte zum Zweck der Verfolgung widerrechtlicher Veröffentlichungen von geschützten Werken im Internet einen Sicherheitsdienstleister (P.) mit der Feststellung von Verletzungen ihrer Leistungsschutzrechte durch unauthorisierte Internetangebote beauftragt. P. teilte der Klägerin bald darauf mit, sie habe ermittelt, dass ab dem 31.3.2011 über verschiedene IP-Adressen das Musikalbum "Große Freiheit" der Künstlergruppe "Unheilig" mit mehreren Musikaufnahmen im Internet öffentlich zugänglich gemacht worden sei.

Auf Antrag der Klägerin gestattete das LG Köln der Deutschen Telekom AG, der Klägerin unter Verwendung von Verkehrsdaten i.S.d. § 3 Nr. 30 TKG Auskunft über den Namen und die Anschrift derjenigen Nutzer zu erteilen, denen die vorgenannten IP-Adressen zu den jeweiligen Zeitpunkten zugewiesen waren. Die Deutsche Telekom AG teilte daraufhin die zugewiesene Benutzerkennung mit und nannte als Inhaber der Kennung die 1 & 1 Internet AG. Diese teilte der Klägerin mit, dass Inhaber der Benutzerkennung die Beklagte sei.

Die Klägerin ließ die Beklagte abmahnen. Diese hat ihren WLAN-Anschluss durch WPA2-Verschlüsselung und mit einem aus 20 Zeichen bestehenden Passwort, das in periodischen Abständen neu generiert wird, gesichert. Der Zugang auf die Benutzeroberfläche des WLAN-Routers ist mit einem Kennwort geschützt, das nur die Beklagte kennt.

Die Klägerin behauptet, ihr stünden die ausschließlichen Verwertungsrechte der Tonträgerhersteller i.S.d. §§ 16, 17, 19a UhrG an den auf dem verfahrensgegenständlichen Musikalbum enthaltenen Musikaufnahmen für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zu. Sie könne im Wege der Lizenzanalogie einen Mindestschaden von 200 € je Musiktitel beanspruchen, so dass 2.500 € für insgesamt 16 Titel angemessen seien. Die Beklagte bestritt die Aktivlegitimation der Klägerin. Außerdem habe sie das Musikalbum weder heruntergeladen noch anderen zum Herunterladen zur Verfügung gestellt. Sie sei 60 Jahre alt, verwitwet, Spätaussiedlerin und spreche nur gebrochen deutsch.

Das AG gab der Klage im vollen Umfang statt.

Die Gründe:
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz gem. § 97 Abs. 2 UrhG i.H.v. 2.500 € und auf Erstattung der Abmahnkosten gem. § 97 a Abs. 1 S. 2 UrhG a.F. i.H.v. 1.192 €.

Die Klägerin war aktiv legitimiert, da sie in der Phononet-Datenbank unter dem streitgegenständlichen Album in der Rubrik Vertrieb aufgeführt ist. Dies stellte ein erhebliches Indiz für die Inhaberschaft der Tonträgerherstellerrechte dar.

Sofern die Beklagte mit dem Bestreiten der klägerischen Angaben zu den technischen Vorgängen die Zuverlässigkeit der Ermittlungen angezweifelt hatte, stand fest, dass das Anbieten des Musikalbums innerhalb von nur drei Tagen unter zwei verschiedenen von der Klägerin ermittelten dynamischen IP-Adressen jeweils derselben zuvor unbekannten Anschlussinhaberin zugeordnet worden war. Dass es kurz nacheinander zweimal zu Fehlern bei der Erfassung und Zuordnung gekommen sein könnte, lag so fern, dass Zweifel an der Richtigkeit der Anschlussidentifizierung gem. § 286 ZPO schweigen.

Die den dynamischen IP-Adressen zugeordneten Nutzerdaten unterlagen auch keinem Beweisverwertungsverbot. Denn soweit die Deutsche Telekom AG eine Auskunft über die den streitgegenständlichen IP-Adressen zuzuordnenden Benutzerkennungen erteilt hat, erfolgte dies im Rahmen des richterlichen Gestattungsbeschlusses. Zwar ließ die mitgeteilte Benutzerkennung für die Klägerin noch nicht erkennen, dass sich die Beklagte hinter dieser verbarg, da diese ihren Vertrag über den Zugang zum Internet mit dem Reseller 1 & 1- Internet AG abgeschlossen hatte. Für einen solchen Fall wird vereinzelt von der Rechtsprechung verlangt, dass auch hinsichtlich des Auskunftsanspruchs gegen den Reseller das richterliche Gestattungsverfahren durchzuführen sei; wenn dies nicht erfolgt sei, greife ein Beweisverwertungsverbot ein.

Dem war allerdings nicht zu folgen. Denn der in § 101 Abs. 9 UhrG vorgesehene Richtervorbehalt gilt für Auskünfte, die nur unter Verwendung von Verkehrsdaten i.S.v. § 3 Nr. 30 TKG erteilt werden können. Wenn die Auskunft nur erfüllt werden kann, indem eine Verknüpfung der gespeicherten dynamischen IP-Adressen und der hierzu gespeicherten Verkehrsdaten mit den gespeicherten Bestandsdaten erfolgt, geht die h.M. in der Rechtsprechung und Literatur davon aus, dass es sich bei den der Auskunft zugrunde liegenden Daten um Verkehrsdaten i.S.d. § 3 Nr. 30 TKG handelt.

Im vorliegenden Fall bedeutete dies, dass nur die Auskunft der Deutschen Telekom AG als Netzbetreiber dem Richtervorbehalt unterlag, weil nur dieser Auskunft eine Verknüpfung der vorhandenen Verkehrsdaten mit den vorhandenen Bestandsdaten zugrunde lag. Die 1 & 1- Internet AG als Reseller hatte bei ihrer Auskunftserteilung keine Verkehrsdaten mit Bestandsdaten verknüpft, da sie selbst über keine Verkehrsdaten verfügte: Sie hatte eine schlichte Auskunft über Bestandsdaten erteilt. Soweit postuliert wird, der Reseller könne die Identität des Anschlussinhabers nur anhand der Benutzerkennung sowie unter Verwendung von Datum und Uhrzeit der Verbindung (also mittels Verkehrsdaten) feststellen, ist dies nicht nachvollziehbar.

Hier war den unter verschiedenen dynamischen IP-Adressen begangenen Rechtsverstößen jeweils dieselbe Benutzerkennung zugeordnet und zum Gegenstand ihrer Auskunft gemacht worden. Es handelte sich somit um eine statische Benutzerkennung. Eine solche wird unabhängig von der Frage tatsächlich zustande gekommener Verbindungen vorgehalten. Die Zuordnung einer statischen Benutzerkennung zum Nutzer ist losgelöst von einem Kommunikationsvorgang und damit verfassungsrechtlich unbedenklich und nicht vom Richtervorhalt des § 101 Abs. 9 UhrG erfasst. Die Beklagte war letztlich auch verantwortlich für die von ihrem Internetanschluss aus begangenen Rechtsverletzungen. Andere Personen kamen nach dem Vortrag der Beklagten als Täter nicht in Betracht. Sie hat ausgeschlossen, dass andere Personen Zugriff auf ihren Internetzugang hatten.

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