12.07.2012

Clerical-Medical: Geschädigte Anleger können neben dem Erfüllungsanspruch auch einen Schadensersatzanspruch haben

Der Abschluss der Lebensversicherung "Wealthmaster Noble" stellt sich bei wirtschaftlicher Betrachtung in erster Linie als ein Anlagegeschäft dar, weshalb der Versicherer wie bei sonstigen Anlagegeschäften verpflichtet ist, seine Kunden bereits im Rahmen der Vertragsverhandlungen vollständig über alle Umstände zu informieren, die für ihren Anlageentschluss von besonderer Bedeutung sind. Anderenfalls können die Kunden neben der Erfüllung auch Schadensersatz geltend machen.

BGH 11.7.2012, IV ZR 151/11 u.a.
Der Sachverhalt:
In den zwei Fällen hatten die Kläger in den Jahren 2001 und 2002 aufgrund einer Werbung durch "Untervermittler" bei dem beklagten englischen Lebensversicherer Clerical Medical Investment Ltd. anteilsgebundene Lebensversicherungen des Produkttyps "Wealthmaster Noble" abgeschlossen. Sie erhielten gegen Zahlung eines Einmalbetrags Anteile an einem "Pool mit garantiertem Wertzuwachs", dem "Euro-Pool 2000EINS". Die Verträge sind eingebettet in ein Anlagemodell "Europlan"; dieses sieht vor, dass die Zinsen für das Bankdarlehen durch vertraglich bedungene Auszahlungen aus der Lebensversicherung zu entrichten sind und im Übrigen durch einen Investmentfonds ein Kapitalstock gebildet wird, der bei Endfälligkeit des Darlehens zu dessen Tilgung verwendet werden soll, während weitere über diesen Zeitpunkt hinausreichende Auszahlungen den Versicherungsnehmern als fortlaufende Rente zur Verfügung stehen sollen.

Nachdem der Wertzuwachs der den Klägern zugeteilten Poolanteile nicht ausreicht hatte, um die zunächst getätigten Auszahlungen in vollem Umfang zu decken, reduzierte die Beklagte unter Berufung auf ihre Versicherungsbedingungen die Anzahl der den Klägern zugewiesenen Anteile und damit den jährlich mitgeteilten Vertragswert. Daraufhin forderten die Kläger Schadensersatz wegen der Verletzung von Aufklärungspflichten. Sie beriefen sich u.a. darauf, dass die Beklagte mit unrealistischen Renditeerwartungen geworben habe bzw. durch ihre Untervermittler habe werben lassen, und verlangten Ersatz des ihnen durch Abschluss der Verträge entstandenen Vertrauensschadens, insbesondere Freistellung von den Verbindlichkeiten aus den Darlehensverträgen. Hilfsweise begehrten sie die Erfüllung des Auszahlungsplans ohne Rücknahme von Anteilen.

Das LG wies die Klagen ab; das OLG Stuttgart verurteilte in beiden Verfahren die Beklagte jeweils zur Erfüllung des in den Versicherungsscheinen festgelegten Auszahlungsplans. Die primär geltend gemachten Schadensersatzansprüche wies es hingegen im Hinblick auf das Bestehen dieser Erfüllungsansprüche ab. Auf die Revision der Kläger hob der BGH das Berufungsurteil auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.

Die Gründe:
Auf Grundlage der schriftlichen Vertragsunterlagen war anzunehmen, dass die Verpflichtung der Beklagten zur Erfüllung der in den Versicherungsscheinen vorgesehenen Auszahlungspläne nicht unter dem Vorbehalt einer ausreichenden Kapitaldeckung stand. Die objektive Auslegung der in die Verträge einbezogenen Policenbedingungen der Beklagten ergab keine wirksame Einschränkung dieser Verpflichtung. Die vom OLG Stuttgart insoweit ausgesprochenen Verurteilungen konnten nur deshalb nicht bestehen bleiben, weil dieses dem unter Beweis gestellten Vortrag der Beklagten, dass die Parteien den fraglichen Klauseln aufgrund entsprechender Erläuterungen des Vermittlers beim Vertragsabschluss übereinstimmend ein von dem Ergebnis objektiver Auslegung abweichendes Verständnis beigelegt hätten, nicht nachgegangen war. Insoweit bedarf es weiterer Feststellungen.

Außerdem durften die geltend gemachten Schadensersatzansprüche nicht allein wegen des Bestehens der vorstehend genannten Auszahlungsansprüche abgewiesen werden. Es war für einen Schaden insoweit ausreichend, dass der abgeschlossene Vertrag sich für die Kläger auch ungeachtet bestehender Erfüllungsansprüche als wirtschaftlich nachteilig darstellte, weil er sie - u.a. aufgrund der eingegangenen Darlehensverpflichtungen - in ihrer wirtschaftlichen Dispositionsfreiheit beeinträchtigte und ihren Anlagezielen nicht entsprach.

Der Abschluss der Lebensversicherung "Wealthmaster Noble" stellte sich bei wirtschaftlicher Betrachtung in erster Linie als ein Anlagegeschäft dar, weshalb die Beklagte wie bei sonstigen Anlagegeschäften auch verpflichtet war, die Kläger bereits im Rahmen der Vertragsverhandlungen vollständig über alle Umstände zu informieren, die für ihren Anlageentschluss von besonderer Bedeutung waren. Insofern musste die Beklagte sich nach § 278 BGB das Handeln und die Erklärungen der tätig gewordenen Untervermittler zurechnen lassen.

Die bestehenden Aufklärungspflichten hat die Beklagte vor allem dadurch verletzt, dass sie den Klägern zuvor ein unzutreffendes, zu positives Bild der zu erwartenden Rendite gegeben hatte. Den Klägern wurden Musterberechnungen übergeben, die auf einer Renditeprognose von 8,5 % basierten, obwohl die Beklagte selbst nur eine Rendite von 6 % als realistisch angesehen hat, was in den Hinweisen zu den Musterberechnungen nicht ausreichend deutlich kenntlich gemacht wurde.

Des Weiteren war die Beklagte zu einer verständlichen Information darüber verpflichtet, dass sie im Rahmen des von ihr praktizierten Glättungsverfahrens ("smoothing") nach eigenem Ermessen darüber entscheidet, in welcher Höhe eine tatsächlich erzielte Rendite an die Versicherungsnehmer weitergeben wird und in welcher Höhe sie in Reserven fließt. Sie musste ferner darüber aufklären, dass die mit den Beiträgen der Kläger gebildeten Reserven auch zur Erfüllung der Garantieansprüche der Anleger anderer Pools verwendet werden können (Problem der Quersubventionierung). Die in den Policenbedingungen enthaltenen Regelungen zur "Marktpreisanpassung" waren infolgedessen unwirksam, da sie gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB verstießen.

Hintergrund:
In drei weiteren ähnlich gelagerten Fällen hat der Senat die Berufungsurteile ebenfalls mit entsprechenden Begründungen aufgehoben und die Sachen zur neuen Verhandlung und Entscheidung an die Berufungsgerichte zurückverwiesen.

Linkhinweise:

  • Der Volltext dieser Entscheidung wird demnächst auf den Webseiten des BGH veröffentlicht.
  • Für die Pressemitteilung des BGH klicken Sie bitte hier.
BGH PM Nr. 110 vom 11.7.2012
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