23.04.2012

Der abberufene Abwickler einer AG kann gegenüber dem Nachfolger zum Hinweis auf besonders wichtige Angelegenheiten verpflichtet sein

Der abberufene Abwickler einer Aktiengesellschaft kann verpflichtet sein, einen Nachfolger auf dringend zu erledigende oder für die Gesellschaft besonders wichtige Angelegenheiten ausdrücklich hinzuweisen. Etwas anderes gilt nur, wenn erwartet werden kann, dass der Nachfolger in der zur Verfügung stehenden Zeit dazu in den Unterlagen der Gesellschaft ausreichende Informationen auffindet.

BGH 28.2.2012, II ZR 244/10
Der Sachverhalt:
Der frühere Beklagte zu 1) war Mehrheitsaktionär und bis 2001 Vorstand der A. V. AG i.L. (Schuldnerin), deren Liquidation die Hauptversammlung am 24.8.2001 zum 30.9.2001 beschloss. Der Beklagte zu 2) wurde zum Liquidator bestellt. Am 4.11.2002 schloss der Beklagte zu 2) als Vertreter der Schuldnerin mit dem Beklagten zu 1) eine privatschriftliche Vereinbarung, nach der dieser von der Schuldnerin Grundstücke zu einem Gesamtkaufpreis von 1.910.000 € erwarb. 600.000 € sollte der Beklagte zu 1) im Wege der Verrechnung mit eigenen Pensionsansprüchen gegen die Schuldnerin, für die eine Rückstellung von rd. 808.000 € gebildet worden war, begleichen.

Die Vereinbarung wurde in notariell beurkundeten Verträgen am 6.11.2002 umgesetzt, die vom Aufsichtsrat der Schuldnerin genehmigt wurden. Mit den Barzahlungen wurden Verbindlichkeiten bei drei Banken getilgt. Gleichzeitig verpflichtete sich der Beklagte zu 1) u.a., Verbindlichkeiten der Schuldnerin aus der Unterstützungskasse der Schuldnerin und gegenüber einigen Pensionären zu übernehmen. Dieser Verpflichtung kam der Beklagte zu 1) nicht nach.

In der Hauptversammlung der Schuldnerin vom 30.6.2006 wurde der Beklagte zu 2) als Liquidator abberufen und der Streithelfer des Klägers zum neuen Liquidator bestellt. Dieser stellte am 10.11.2006 Insolvenzantrag. Mit Verfahrenseröffnung am 9.1.2007 wurde der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Der Kläger beantragte u.a., die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von 600.000 € zu verurteilen und festzustellen, dass der Beklagte zu 2) verpflichtet sei, den Schaden zu ersetzen, der der Insolvenzmasse dadurch entstanden sei, dass die Vereinbarung vom 4.11.2002 dem Kläger vorenthalten worden sei.

Das LG gab der Klage gegen den Beklagten zu 1) statt und wies die Klage gegen den Beklagten zu 2) ab. Das OLG gab der Klage statt und verurteilte beide Beklagte als Gesamtschuldner zur Zahlung. Weiter stellte es fest, dass der Beklagte zu 2) verpflichtet ist, den Schaden zu ersetzen, der der Insolvenzmasse dadurch entstanden ist, dass die Vereinbarung vom 4.11.2002 dem Kläger vorenthalten wurde. Auf die hiergegen gerichtete Revision des Beklagten zu 2) hob der BGH das Berufungsurteil auf, soweit zum Nachteil des Beklagten zu 2) entschieden worden ist, und verwies die Sache insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück. Im Übrigen hat der Kläger während des Revisionsverfahrens vorgetragen, der Beklagte zu 1) habe bezahlt, und hat den Zahlungsantrag für erledigt erklärt.

Die Gründe:
Die Feststellung, dass der Beklagte zu 2) verpflichtet ist, den Schaden zu ersetzen, der der Insolvenzmasse dadurch entstanden ist, dass die Vereinbarung vom 4.11.2002 dem Kläger vorenthalten wurde, wird von der dazu gegebenen Begründung des OLG, dass der Beklagte zu 2) dem nachfolgenden Abwickler die Vereinbarung vorenthalten habe, nicht getragen.

Zutreffend ist das OLG davon ausgegangen, dass der Beklagte zu 2) pflichtwidrig gehandelt hat, als er seinen Nachfolger als Abwickler bei der Übergabe des Amtes nicht auf die Vereinbarung vom 4.11.2002 hingewiesen hat. Ein Abwickler kann sich zwar bei der Übergabe der Geschäfte an einen Nachfolger im Allgemeinen auf die Übergabe der Unterlagen beschränken. Er muss dem Nachfolger nicht jeden laufenden oder vergangenen Geschäftsvorfall erläutern oder einen Hinweis auf dokumentierte vertragliche Vereinbarungen geben. Die nachwirkende Treuepflicht gebietet es jedoch, dass er auf dringend zu erledigende oder für die Gesellschaft besonders wichtige Angelegenheiten ausdrücklich hinweist, wenn nicht erwartet werden kann, dass der Nachfolger in der zur Verfügung stehenden Zeit dazu in den Unterlagen der Gesellschaft ausreichende Informationen auffindet.

Die Durchsetzung der Verpflichtung des Beklagten zu 1) zur Übernahme der Pensionsverbindlichkeiten war für die Schuldnerin eine Angelegenheit von besonderer Bedeutung, weil der Nachfolger des Beklagten zu 2) gerade zum Abwickler bestellt wurde, um zu prüfen, ob aufgrund der Pensionszahlungsverpflichtungen die Zahlungsunfähigkeit drohte und ein Insolvenzantrag gestellt werden musste. Sie war möglicherweise geeignet, die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin zu vermeiden. Ob sich ein Dokument über die Vereinbarung vom 4.11.2002 bei den überlassenen Unterlagen befand, konnte das OLG nicht klären. Jedenfalls konnte der Beklagte zu 2) nicht erwarten, dass sein Nachfolger es in den umfangreichen übergebenen Unterlagen alsbald entdeckte.

Die Pflichtverletzung gegenüber dem nachfolgenden Abwickler rechtfertigt aber nicht den Urteilsausspruch, mit dem eine Schadenersatzpflicht wegen eines Vorenthaltens der Vereinbarung gegenüber dem Kläger festgestellt wird. Das Vorenthalten der Vereinbarung gegenüber dem Kläger als Insolvenzverwalter oder - was im Urteilsausspruch nicht zum Ausdruck kommt - als vorläufigem Insolvenzverwalter ist ein anderer tatsächlicher Vorgang als die unterlassene Information des nachfolgenden Abwicklers. Der unterschiedliche Zeitpunkt führt dazu, dass jeweils ein anderer Schaden zu ersetzen ist.

Der unterlassene Hinweis an den Nachfolger kann dazu führen, dass der Schuldnerin alle Schäden zu ersetzen sind, die in der Folge des Insolvenzantrags entstanden sind, wenn durch die Durchsetzung der Übernahmeverpflichtung gegenüber dem Beklagten zu 1) die Stellung eines Insolvenzantrags hätte vermieden werden können. Ein unterlassener Hinweis gegenüber dem vorläufigen Insolvenzverwalter kann zum Ersatz der durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandenen, aber nicht der im Eröffnungsverfahren entstehenden Kosten führen. Schäden aufgrund eines unterlassenen Hinweises gegenüber dem Kläger als Insolvenzverwalter sind dagegen nicht ersichtlich, nachdem der Kläger inzwischen von der Vereinbarung mit der Übernahmeverpflichtung Kenntnis erlangt hat.

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