18.11.2025

Die Zulässigkeit eines Antrags auf Aufhebung eines Beschlusses der Gläubigerversammlung setzt nicht die Wirksamkeit des Beschlusses voraus

Die Kontrolle eines nach Insolvenzeröffnung getroffenen Beschlusses über die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters unterliegt den Bestimmungen der Insolvenzordnung; dasselbe gilt für im Beschlusswege getroffene Regelungen über die Vergütung und Haftung des gemeinsamen Vertreters, die im Zuge seiner Bestellung getroffen werden. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Emittenten setzt die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters durch Mehrheitsbeschluss nicht voraus, dass die Anleihebedingungen eine Bestellung vorsehen. Zum gemeinsamen Vertreter kann auch eine ausländische juristische Person bestellt werden, wenn diese sachkundig ist.

BGH v. 16.10.2025 - IX ZB 10/24
Der Sachverhalt:
Der weitere Beteiligte zu 1) ist Gläubiger in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin. Er begehrt die Aufhebung eines nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens getroffenen Beschlusses über die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters der Anleihegläubiger sowie über dessen Vergütung und (beschränkte) Haftung. Die Schuldnerin war im Immobiliengeschäft tätig. Ihre Geschäftstätigkeit finanzierte sie über Inhaberschuldverschreibungen. Sie begab u.a. am 18.11.2020 die "E. IV Anleihe 2020/2025" mit einem Emissionsvolumen von bis zu 75 Mio. €, einer Laufzeit von fünf Jahren und einem Zinskupon von 5,5 % pro Jahr. Der Beteiligte zu 1) hält Teilschuldverschreibungen im Nennwert von 252.000 €.

Am 30.10.2023 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet und der weitere Beteiligte zu 2) zum Insolvenzverwalter bestellt. Mit Beschluss vom gleichen Tage berief das AG - Insolvenzgericht - eine Versammlung der Anleihegläubiger ein. Die Tagesordnung sah eine Beschlussfassung "über die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters (...), die Vergütung des gemeinsamen Vertreters und dessen Haftung" vor. Einzige Bewerberin für das Amt des gemeinsamen Vertreters war die weitere Beteiligte zu 3), eine Gesellschaft mit nach Schweizer Recht beschränkter Haftung und Sitz in Genf.

In der Versammlung der Anleihegläubiger am 27.11.2023 waren Inhaber von Teilschuldverschreibungen im Nennwert von gut 26 Mio. € erschienen oder vertreten, darunter der Beteiligte zu 1). In der Versammlung bewarb sich auch ein Anleihegläubiger als gemeinsamer Vertreter. Mit einer Mehrheit von 82,15 % der abgegebenen Stimmen (absolut rd. 19,1 Mio. €) beschloss die Versammlung zunächst, dass ein gemeinsamer Vertreter bestellt werden solle. Sodann wurde eine Bestellung des Anleihegläubigers zum gemeinsamen Vertreter mit einer Mehrheit von 76,83 % der abgegebenen Stimmen (absolut 19.100.000 €) abgelehnt. Schließlich bestellte die Versammlung mit einer Mehrheit von 75,51 % der abgegebenen Stimmen (absolut 19,1 Mio. €) die Beteiligte zu 3) zur gemeinsamen Vertreterin. Zudem wurde die Vergütung der Beteiligten zu 3) in Anlehnung an das RVG geregelt und ihre Haftung inhaltlich und der Höhe nach begrenzt. Noch in der Versammlung der Anleihegläubiger beantragte der Beteiligte zu 1) die Aufhebung des getroffenen Beschlusses.

Das AG lehnte den Antrag des Beteiligten zu 1) ab. Dessen sofortige Beschwerde hatte vor dem LG keinen Erfolg. Auf die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten zu 1) hob der BGH den Beschluss des LG auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung dorthin zurück.

Die Gründe:
Die Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 1) ist statthaft (§ 6 Abs. 1, § 78 Abs. 2 Satz 3 InsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO) und auch im Übrigen zulässig (§ 4 InsO, § 575 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 2, Abs. 3 ZPO). Der Beteiligte zu 1) begehrt die Aufhebung eines Beschlusses der Anleihegläubiger, nachdem er dies in der Versammlung der Anleihegläubiger beantragt hat. Die gegen die Ablehnung dieses Antrags gerichtete sofortige Beschwerde ist statthaft, ohne dass es darauf ankommt, ob der Beschluss wirksam ist. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. 

Der BGH hat bereits entschieden, dass sich die Kontrolle eines - wie hier - nach Insolvenzeröffnung gem. § 19 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen vom 31.7.2009 (SchVG) getroffenen Beschlusses über die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters nach § 78 InsO richtet. Dasselbe gilt für im Beschlusswege getroffene Regelungen über die Vergütung und Haftung des gemeinsamen Vertreters, die im Zuge seiner Bestellung in der gem. § 19 Abs. 2 Satz 2 SchVG einberufenen Gläubigerversammlung getroffen werden. Ist über das Vermögen des Schuldners das Insolvenzverfahren eröffnet worden, so unterliegen gem. § 19 Abs. 1 Satz 1 SchVG Beschlüsse der Gläubiger den Bestimmungen der InsO, soweit in den folgenden Absätzen des § 19 SchVG nichts anderes bestimmt ist. Dort finden sich keine abweichenden Bestimmungen für Beschlüsse über die Vergütung und Haftung des gemeinsamen Vertreters. Insbesondere fehlt es an einem Verweis auf § 20 SchVG. Deshalb gehen die Regelungen der InsO denen des SchVG auch insoweit vor. Die Anwendung des § 78 InsO stellt sicher, dass einem Rechtsbehelf gegen den Beschluss über die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters nicht die aufschiebende Wirkung des § 20 Abs. 3 Satz 4 SchVG zukommt. Für die im Zuge der Bestellung des gemeinsamen Vertreters getroffenen Beschlüsse über dessen Vergütung und Haftung gilt nichts anderes.

Der Antrag auf Aufhebung des Beschlusses über die Bestellung der Beteiligten zu 3) zur gemeinsamen Vertreterin sowie über deren Vergütung und (beschränkte) Haftung ist unabhängig davon zulässig, ob der Beschluss wirksam ist. Dem steht nicht entgegen, dass der BGH mit Beschluss vom 21.7.2011 (IX ZB 128/10) ausgesprochen hat, die Beschlussaufhebung nach § 78 InsO setze die Wirksamkeit des Beschlusses voraus. Die angesprochene Entscheidung betrifft die Frage, ob ein Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit eines Beschlusses der Gläubigerversammlung zulässig ist. Nicht entschieden ist damit, dass die Wirksamkeit des Beschlusses Sachentscheidungsvoraussetzung für die Aufhebung eines Beschlusses wegen eines Widerspruchs gegen das gemeinsame Interesse der Insolvenzgläubiger ist. Soweit der Beschluss anders zu verstehen sein könnte, hält der Senat hieran nicht fest. Die Zulässigkeit eines Antrags auf Aufhebung eines Beschlusses der Gläubigerversammlung setzt nicht die Wirksamkeit des Beschlusses voraus. Für das Verfahren der Beschlussaufhebung gilt der Amtsermittlungsgrundsatz.

Die Kontrolle eines nach Insolvenzeröffnung getroffenen Beschlusses über die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters unterliegt den Bestimmungen der Insolvenzordnung; dasselbe gilt für im Beschlusswege getroffene Regelungen über die Vergütung und Haftung des gemeinsamen Vertreters, die im Zuge seiner Bestellung getroffen werden. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Emittenten setzt die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters durch Mehrheitsbeschluss nicht voraus, dass die Anleihebedingungen eine Bestellung vorsehen. Zum gemeinsamen Vertreter kann auch eine ausländische juristische Person bestellt werden, wenn diese sachkundig ist.

Beschlüsse über die Vergütung und Haftung des gemeinsamen Vertreters sind auch nach Insolvenzeröffnung als Annexentscheidungen zur Bestellung eines gemeinsamen Vertreters von den Befugnissen der Gläubigerversammlung gedeckt. Die angemessene Vergütung des gemeinsamen Vertreters ist anhand der Umstände des konkreten Einzelfalls zu bestimmen; in Betracht kommt eine Zeitvergütung, eine Bestimmung anhand der Regelungen des RVG scheidet aus. Ein Beschluss der Gläubigerversammlung über die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters widerspricht dem gemeinsamen Interesse der Anleihegläubiger, wenn der gemeinsame Vertreter keine Gewähr dafür bietet, dass er sein Amt im Interesse der Anleihegläubiger ausübt.

Der angefochtene Beschluss konnte keinen Bestand haben. Er war aufzuheben. Eine eigene abschließende Entscheidung war dem Senat nicht möglich; die Sache war zur erneuten Entscheidung an das Insolvenzgericht zurückzuverweisen. Das LG wird erneut zu prüfen haben, ob sich ein Widerspruch zum gemeinsamen Interesse der Anleihegläubiger daraus ergibt, dass die Beteiligte zu 3) für das Amt des gemeinsamen Vertreters ungeeignet ist. Dabei werden im Rahmen einer Gesamtwürdigung auch die weiteren, gegen die Eignung der Beteiligten zu 3) vorgebrachten Umstände (insbesondere irreführende Werbung eines mit der Beteiligten zu 3) verbundenen Unternehmens und ungeeignetes Verfahren zur Weiterleitung von Quotenzahlungen) zu berücksichtigen sein.

Mehr zum Thema:

Kommentierung | InsO
§ 5 Verfahrensgrundsätze
Sternal in Kayser/Thole, Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung, 11. Aufl. 2023

Kommentierung | InsO
§ 78 Aufhebung eines Beschlusses der Gläubigerversammlung
Riedel in Kayser/Thole, Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung, 11. Aufl. 2023 

Rechtsprechung
Regelung einer befreienden Schuldübernahme im Restrukturierungsplan nur bei Zustimmung aller betroffenen Gläubiger
AG Köln vom 09.12.2024 - 82 RES 1/24
Florian Harig, ZIP 2025, 1009
ZIP0078146

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