27.10.2020

Ein Bürge hat kein Widerrufsrecht gem. § 312g BGB

Ein Bürge hat kein Widerrufsrecht gem. § 312g BGB. Das Widerrufsrecht nach § 355 BGB i.V.m. § 312b Abs. 1, § 312g Abs. 1 BGB kann nicht aus Schutzzweckerwägungen im Wege einer Analogie auf außerhalb von Geschäftsräumen gestellte Verbraucherbürgschaften ausgeweitet werden; es fehlt an einer planwidrigen Unvollständigkeit der gesetzlichen Regelung.

BGH v. 22.9.2020 - XI ZR 219/19
Der Sachverhalt:
Die klagende Bank nimmt den Beklagten auf Zahlung aus einer selbstschuldnerischen Höchstbetragsbürgschaft in Anspruch. Die Klägerin räumte der K-GmbH (im Folgenden: Hauptschuldnerin) mit Vertrag vom 22.12.2015 einen Kontokorrentkredit über 300.000 € zu einem Zinssatz von 7,5 % p.a. ein. Der Beklagte war geschäftsführender Alleingesellschafter der Hauptschuldnerin. Er übernahm zugunsten der Klägerin eine Bürgschaft bis zu einem Höchstbetrag von 170.000 €, die sämtliche Ansprüche aus dem Kreditvertrag sicherte. Die Bürgschaftserklärung unterzeichnete der Beklagte in Anwesenheit eines Mitarbeiters der Klägerin am 22.12.2015 in den Geschäftsräumen der Hauptschuldnerin. Über ein Widerrufsrecht wurde er nicht belehrt.

Nachdem ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Hauptschuldnerin gestellt worden war, kündigte die Klägerin den Kontokorrentkredit mit Schreiben vom 26.4.2016 fristlos und stellte einen Saldo i.H.v. rd. 300.000 € zur Rückzahlung fällig. Mit Schreiben vom 1.6.2016 forderte sie den Beklagten zur Zahlung dieses Betrages zzgl. Zinsen bis zum 29.6.2016 auf. Die Prozessbevollmächtigten des Beklagten bestätigten dessen grundsätzliche Haftung aus der Bürgschaft zunächst, erklärten aber mit Schreiben vom 21.9.2016 den Widerruf seiner auf Abschluss des Bürgschaftsvertrages vom 22.12.2015 gerichteten Willenserklärung.

Das LG gab der auf Zahlung von 170.000 € nebst Zinsen gerichteten Klage statt; das OLG wies sie ab. Auf die Revision der Klägerin hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.

Die Gründe:
Das OLG hat rechtsfehlerhaft angenommen, dass der Beklagte seine zum Abschluss des Bürgschaftsvertrages führende Willenserklärung vom 22.12.2015 gem. § 355 BGB i.V.m. § 312b Abs. 1, § 312g Abs. 1 BGB wirksam widerrufen hat.

Das Widerrufsrecht nach § 355 BGB i.V.m. § 312b Abs. 1, § 312g Abs. 1 BGB setzt gem. § 312 Abs. 1 BGB einen Verbrauchervertrag (§ 310 Abs. 3 BGB) voraus, der eine entgeltliche Leistung des Unternehmers zum Gegenstand hat. Erforderlich ist, dass der Unternehmer aufgrund eines Verbrauchervertrages die vertragscharakteristische Leistung zu erbringen hat. Diese Voraussetzungen eines Widerrufsrechts erfüllen Bürgschaften nicht. Entgegen der früheren Rechtsprechung zu § 1 HWiG bzw. § 312 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB in der bis zum 12.6.2014 geltenden Fassung (a.F.) genügt für die Anwendbarkeit der §§ 312b, 312g BGB nicht, dass der Bürge sein Leistungsversprechen in der dem Gegner erkennbaren Erwartung abgibt, ihm selbst oder einem bestimmten Dritten werde daraus irgendein Vorteil erwachsen.

Diese Betrachtungsweise vermochte zwar das nach § 1 HWiG bzw. nach § 312 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB a.F. erforderliche Tatbestandsmerkmal eines Vertrages über eine entgeltliche Leistung zu begründen. Dieser Begriff wurde in dem weiten Sinne ausgelegt, dass er auch eine Bürgschaft erfasst, die vom Verbraucher übernommen wird, damit der Gläubiger dem Hauptschuldner ein Darlehen gewährt oder belässt. Hiervon abweichend setzt § 312 Abs. 1 BGB in seiner ab dem 13.6.2014 geltenden Fassung voraus, dass der Unternehmer gegen ein vereinbartes Entgelt des Verbrauchers die vertragscharakteristische Leistung erbringt. Eine entgeltliche Leistung des Verbrauchers unterfällt der Vorschrift nach ihrem eindeutigen Wortlaut nicht.

Soweit anknüpfend an die frühere Rechtsprechung zu § 1 HWiG und § 312 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB a.F. teilweise vertreten wird, die Bürgschaft könne als gegenseitiger Vertrag in dem Sinne ausgestaltet werden, dass die Übernahme der Bürgschaft die Gegenleistung für eine vom Gläubiger zu erbringende Leistung bildet, muss die entgeltliche Leistung des Unternehmers aus dem Verbrauchervertrag, für welchen das Widerrufsrecht nach § 355 BGB i.V.m. § 312g Abs. 1 BGB in Anspruch genommen wird, geschuldet werden. Dies ergibt sich aus § 312 Abs. 1 BGB, der einen Verbrauchervertrag nach § 310 Abs. 3 BGB als Rechtsgrund für die Leistung voraussetzt. Dass die Leistung des Unternehmers aufgrund eines separaten, nicht dem § 310 Abs. 3 BGB unterfallenden Vertrags an einen Dritten erbracht wird, reicht danach nicht. Auch die grundsätzliche Anwendbarkeit der §§ 312 ff. BGB auf Verträge über Finanzdienstleistungen führt nicht zu einem Widerrufsrecht des Beklagten. Bürgschaften oder sonstige Kreditsicherheiten von Verbrauchern werden von dem in § 312 Abs. 5 Satz 1 BGB legal definierten Begriff der Finanzdienstleistung nicht erfasst. Der Begriff hat durch die Novellierung der §§ 312 ff. BGB, wie der Gesetzgeber klargestellt hat, keine Änderung erfahren, sondern entspricht § 312b Abs. 1 Satz 2 BGB a.F.

Das Widerrufsrecht nach § 355 BGB i.V.m. § 312b Abs. 1, § 312g Abs. 1 BGB kann auch nicht aus Schutzzweckerwägungen im Wege einer Analogie auf außerhalb von Geschäftsräumen gestellte Verbraucherbürgschaften ausgeweitet werden. Es fehlt an einer planwidrigen Unvollständigkeit der gesetzlichen Regelung. § 312 Abs. 1, § 312b Abs. 1, § 312g Abs. 1 BGB sind nicht aufgrund einer richtlinienkonformen Auslegung oder Rechtsfortbildung auf Bürgschaftsverträge zu erstrecken. § 312 Abs. 1 BGB entspricht, soweit er eine Leistung eines Unternehmers als Gegenstand des Verbrauchervertrages voraussetzt, der Richtlinie 2011/83/EU. Gegenteiliges lässt sich nicht aus Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2011/83/EU folgern.
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