24.10.2013

Ein gegenüber einer Bank aufgrund isländischen Rechts bewilligtes Zahlungsmoratorium entfaltet auch in Mitgliedstaaten Wirkungen

Das Zahlungsmoratorium, das die isländischen Behörden der Bank LBI bewilligt haben, entfaltet in Frankreich die Wirkungen, die das isländische Recht ihm beigelegt hat. Die Richtlinie über die Sanierung und Liquidation von Kreditinstituten steht dem nicht entgegen, dass sich die Wirkungen dieses Moratoriums rückwirkend auf Sicherungspfändungen in Frankreich erstrecken.

EuGH 24.10.2013, C-85/12
Hintergrund:
Die Richtlinie über die Sanierung und Liquidation von Kreditinstituten sieht vor, dass im Fall der Insolvenz eines Kreditinstituts, das Zweigstellen in anderen Mitgliedstaaten hat, die Sanierungsmaßnahmen und das Liquidationsverfahren Teil eines einheitlichen Insolvenzverfahrens in dem Mitgliedstaat sind, in dem das Institut seinen satzungsmäßigen Sitz hat (dem sog. Herkunftsmitgliedstaat). Daher unterliegen solche Maßnahmen grundsätzlich einem einheitlichen Insolvenzrecht und werden gemäß dem Recht des Herkunftsmitgliedstaats durchgeführt; sie sind dabei ohne weitere Formalität nach diesem Recht in der gesamten Union wirksam. Hierfür sind die am Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum beteiligten Staaten, wie Island, den Mitgliedstaaten der Europäischen Union gleichgestellt.

Der Sachverhalt:
Im Zusammenhang mit dem Zusammenbruch des Finanzsystems in Island infolge der internationalen Finanzkrise im Jahr 2008 erließ der isländische Gesetzgeber eine Reihe von Maßnahmen zur Sanierung der verschiedenen in diesem Land niedergelassenen Finanzinstitute. Insbes. untersagte ein Gesetz von November 2008 zum einen gerichtliche Verfahren gegen die einem Zahlungsmoratorium unterliegenden Finanzinstitute und ordnete zum anderen eine Aussetzung anhängiger gerichtlicher Verfahren an. Mit einem Gesetz von April 2009 unterwarf der isländische Gesetzgeber die einem Moratorium unterliegenden Finanzinstitute Übergangsbestimmungen, die dazu dienten, auf ihre Situation eine besondere Liquidationsregelung anzuwenden, ohne dass ihre Liquidation tatsächlich vor Ablauf des Moratoriums erfolgte.

LBI hf (ehemals Landsbanki Islands hf) ist ein isländisches Kreditinstitut, dem am 5.12.2008 vom Bezirksgericht Reykjavik ein Zahlungsmoratorium bewilligt wurde. Kurz zuvor, am 10.11.2008, waren gegen LBI zwei Sicherungspfändungen in Frankreich auf Antrag eines dort ansässigen Gläubigers durchgeführt worden. LBI ging gegen diese Pfändungen bei den französischen Gerichten mit der Begründung vor, dass die in Island erlassenen Sanierungsmaßnahmen aufgrund der Richtlinie ihrem französischen Gläubiger unmittelbar entgegengehalten werden könnten. Im Übrigen verfügte das Bezirksgericht Reykjavik am 22.11.2010 die Eröffnung eines Liquidationsverfahrens gegen LBI.

In diesem Zusammenhang möchte die Cour de Cassation (Frankreich), die diesen Rechtsstreit in letzter Instanz prüft, vom EuGH wissen, ob die sich aus den Übergangsbestimmungen des Gesetzes von April 2009 ergebenden Sanierungs- oder Liquidationsmaßnahmen ebenfalls von der Richtlinie gedeckt werden, deren Ziel in der gegenseitigen Anerkennung der Sanierungsmaßnahmen und der Liquidationsverfahren besteht, die von einer Behörde oder einem Gericht getroffen bzw. angeordnet werden. Weiter fragt das französische Gericht, ob die Richtlinie der rückwirkenden Anwendung der Wirkungen des Moratoriums auf in einem anderen Mitgliedstaat vor seiner Verfügung ergriffene Sicherungsmaßnahmen entgegensteht.

Die Gründe:
Allein die Behörden und Gerichte des Herkunftsmitgliedstaats sind befugt, über die Durchführung von Sanierungsmaßnahmen in einem Kreditinstitut und über die Eröffnung eines Liquidationsverfahrens gegen ein solches Institut zu entscheiden. Daher können nur die von diesen Behörden oder Gerichten beschlossenen Maßnahmen nach der Richtlinie in den anderen Mitgliedstaaten mit den Wirkungen, die ihnen das Recht des Herkunftsmitgliedstaats beilegt, anerkannt werden. Dagegen können die Rechtsvorschriften des Herkunftsmitgliedstaats über die Sanierung und die Liquidation von Kreditinstituten in den anderen Mitgliedstaaten Wirkungen grundsätzlich nur durch konkrete Maßnahmen entfalten, die von den Behörden und Gerichten dieses Mitgliedstaats in Bezug auf ein bestimmtes Kreditinstitut ergriffen werden.

Mit dem Erlass der Übergangsbestimmungen des Gesetzes von April 2009 hat der isländische Gesetzgeber nicht die Liquidation der einem Moratorium unterliegenden Kreditinstitute als solche angeordnet, sondern Moratorien, die sich zu einem genau bestimmten Zeitpunkt in Kraft befanden, bestimmte mit einem Liquidationsverfahren verbundene Wirkungen beigelegt. Die Übergangsbestimmungen konnten zudem in Ermangelung einer gerichtlichen Entscheidung, mit der vor diesem Zeitpunkt für ein bestimmtes Kreditinstitut ein Moratorium bewilligt oder verlängert wurde, keine Wirkungen entfalten. Daher entfalten diese Rechtsvorschriften ihre Wirkungen nicht unmittelbar, sondern mittelbar durch eine von einem Gericht einem Kreditinstitut gegenüber bewilligte Sanierungsmaßnahme. Somit kann das LBI bewilligte Moratorium nach der Richtlinie die Wirkungen, die ihm die isländischen Rechtsvorschriften beilegen, in den Mitgliedstaaten der Union entfalten.

Mit der Richtlinie wird ein System der gegenseitigen Anerkennung der nationalen Sanierungs- und Liquidationsmaßnahmen eingeführt, ohne eine Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften auf diesem Gebiet anzustreben. Die Richtlinie macht die Anerkennung der Sanierungs- und Liquidationsmaßnahmen jedoch nicht von der Voraussetzung abhängig, dass sie mit einem Rechtsbehelf angefochten werden können. Auch das Recht eines Mitgliedstaats kann diese Anerkennung nicht von einer solchen Voraussetzung abhängig machen, die möglicherweise in der nationalen Regelung vorgesehen ist. Hinsichtlich der Frage, ob die Richtlinie der rückwirkenden Anwendung der Wirkungen eines Moratoriums auf in einem anderen Mitgliedstaat ergriffene Sicherungsmaßnahmen entgegensteht, ist festzuhalten, dass sich die Wirkungen von Sanierungsmaßnahmen und Liquidationsverfahren grundsätzlich nach dem Recht des Herkunftsmitgliedstaats bestimmen.

Diese allgemeine Regelung gilt jedoch nicht für "anhängige Rechtsstreitigkeiten", für die das Recht des Mitgliedstaats gilt, in dem der Rechtsstreit anhängig ist. Der Begriff "anhängige Rechtsstreitigkeiten" erfasst allerdings nur die Verfahren in der Hauptsache und dass Einzelvollstreckungsmaßnahmen im Zusammenhang mit diesen Rechtsstreitigkeiten weiterhin durch das Recht des Herkunftsmitgliedstaats geregelt werden. Die vorliegend in Frankreich vorgenommenen Sicherungsmaßnahmen stellen insoweit Einzelvollstreckungsmaßnahmen dar; die Wirkungen des LBI in Island bewilligten Moratoriums auf diese Maßnahmen werden durch das isländische Recht geregelt. Dies betrifft auch die zeitlichen Wirkungen dieser Maßnahmen. Die Richtlinie verwehrt es nicht, dass eine Sanierungsmaßnahme wie das Moratorium Rückwirkung entfaltet.

Linkhinweis:

Für die auf den Webseiten des EuGH veröffentlichte Pressemitteilung klicken Sie bitte hier.

EuGH PM Nr. 143 vom 24.10.2013
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