25.09.2015

Ein möglicher Kartellgeschädigter kann unter bestimmten Voraussetzungen ein Recht auf Akteneinsicht haben

In Fällen, in denen jemand ein eigenes, gewichtiges und auf andere Weise nicht zu befriedigendes Interesse an der Einsicht in Akten der Kartellbehörde geltend macht, kann er einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über ein außerhalb des Anwendungsbereichs von § 29 VwVfG liegendes und im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde stehendes Recht auf Akteneinsicht haben. Das gilt insbesondere bei einem Kartellverfahren, das mit einer Verpflichtungszusage nach § 32b GWB beendet wurde.

BGH 14.7.2015, KVR 55/14
Der Sachverhalt:
Der Antragsteller ist Eigentümer eines in Darmstadt gelegenen Grundstücks, das an das Trinkwassernetz der Betroffenen, der HEAG Südhessische Energie AG, angeschlossen ist. Die Landeskartellbehörde hatte im Jahr 2009 gegen die Betroffene ein Kartellverfahren wegen eines möglichen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung eingeleitet. Im September 2013 bot die Betroffene eine Verpflichtungszusage u.a. mit dem Inhalt an, ab dem Jahr 2014 die Preise um 20 % zu senken. Die Landeskartellbehörde teilte daraufhin mit Presseerklärung mit, das Kartellverfahren sei durch einen Vergleich beendet worden. Im Dezember 2013 erklärte sie die Verpflichtungszusage der Betroffenen gem. § 32b GWB für bindend.

Im Oktober 2013 beantragte der Antragsteller, ihm Einsicht in die Akten der Landeskartellbehörde zu gewähren, um mögliche Schadensersatzansprüche gegen die Betroffene gem. § 33 GWB abklären zu können. Die Landeskartellbehörde lehnte dies ab. Das OLG gab der Beschwerde des Antragstellers gegen diese Verfügung statt. Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen blieb vor dem BGH erfolglos.

Gründe:
Zwar hat der Antragsteller keinen unbedingten Anspruch auf Akteneinsicht nach §§ 13, 29 VwVfG, § 1 IFG, § 72 GWB bzw. § 406e Abs. 1 StPO. Doch kann er gegen die Landeskartellbehörde einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über das außerhalb des Anwendungsbereichs von § 29 VwVfG liegende und im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde gem. § 40 VwVfG stehende Akteneinsichtsrecht geltend machen. In der verwaltungsrechtlichen Rechtsprechung und Literatur ist anerkannt, dass, auch wenn außerhalb eines Verwaltungsverfahrens kein unbedingtes Recht auf Akteneinsicht besteht, dennoch ein berechtigtes Interesse vorliegen kann, in verwaltungsbehördliche Akten und Unterlagen Einsicht zu nehmen.

Ein Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über ein Akteneinsichtsgesuch ist aus allgemeinen rechtsstaatlichen Gründen anzuerkennen, wenn der Antragsteller im Einzelfall ein eigenes, gewichtiges und auf andere Weise nicht zu befriedigendes Informationsinteresse gegenüber der Behörde, gerade im Zusammenhang mit der Durchsetzung von Rechten, darlegen kann. Das gilt insbesondere bei einem Kartellverfahren, das mit einer Verpflichtungszusage nach § 32b GWB geendet hat. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde schließen Sinn und Zweck des § 32b GWB die Gewährung von Akteneinsicht an einen möglichen Kartellgeschädigten zur Vorbereitung einer zivilrechtlichen Schadensersatzklage nicht aus.

Die zur Vorbereitung eines Kartellschadensersatzprozesses begehrte Akteneinsicht dient dem vom Gesetzgeber auch im Bereich von § 32b GWB verfolgten Zweck der verbesserten Durchsetzung der Wettbewerbsregeln mit dem Mittel zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche. Das gilt in besonderem Maße im Fall einer Beendigung eines Kartellverwaltungsverfahrens nach § 32b GWB. Die Geltendmachung zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche nach § 33 Abs. 3 GWB ist Teil der vom Gesetz für Kartellverstöße vorgesehenen Sanktionen und dient damit, neben der Kompensation von Kartellschäden, auch der effektiven Abschreckung.

Dem entspricht für den Bereich des europäischen Kartellrechts die EuGH-Rechtsprechung, wonach das Recht eines jeden, Schadensersatz zu verlangen, die Durchsetzungskraft der Wettbewerbsregeln der Union erhöht sowie geeignet ist, Unternehmen von Vereinbarungen oder Verhaltensweisen abzuhalten, die den Wettbewerb beschränken oder verfälschen könnten, und damit zur Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs beiträgt. Die Möglichkeit, zur Vorbereitung zivilrechtlicher Schadensersatzklagen Akteneinsicht nicht nur bei einem Abschluss des kartellbehördlichen Verfahrens durch Verfügung gem. § 32 GWB, sondern auch im Fall von Verpflichtungszusagen nach § 32b GWB zu erhalten, entspricht auch dem mit § 32b GWB verfolgten gesetzgeberischen Zweck.

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