05.04.2011

Eine nationale Regelung darf für Wirtschaftsprüfer kein absolutes Verbot von Kunden-Akquise vorsehen

Eine nationale Regelung, die Wirtschaftsprüfern Handlungen der Kunden-Akquise grundsätzlich verbietet, verstößt gegen die Dienstleistungs-Richtlinie und stellt eine Beschränkung des grenzüberschreitenden freien Dienstleistungsverkehrs dar. Es steht den Mitgliedstaaten zwar frei, für reglementierte Berufe Verbote hinsichtlich des Inhalts und der Art und Weise der kommerziellen Kommunikation vorzusehen; dabei müssen die vorgesehenen Regelungen aber gerechtfertigt und verhältnismäßig sein.

EuGH 5.4.2011, C-119/09
Hintergrund:
Die Dienstleistungs-Richtlinie (2006/123/EG) dient der Errichtung eines freien und wettbewerbsfähigen Dienstleistungsmarkts zur Förderung des Wirtschaftswachstums und zur Schaffung von Arbeitsplätzen in der EU. Sie sieht hierzu die Beseitigung von Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs zwischen Mitgliedstaaten vor, wie absoluter Verbote aller Formen von kommerzieller Kommunikation für reglementierte Berufe, die der unmittelbaren oder mittelbaren Förderung des Absatzes von Waren und Dienstleistungen oder des Erscheinungsbildes eines Unternehmens dienen. Im Übrigen soll die Richtlinie die Interessen der Verbraucher schützen, indem sie die Qualität der Dienstleistungen der reglementierten Berufe im Binnenmarkt verbessert.

Der Sachverhalt:
Der französische Kodex der Standespflichten der Wirtschaftsprüfer untersagt den Angehörigen dieses Berufs Handlungen der Kunden-Akquise, d.h. jegliche unaufgeforderte Kontaktaufnahme mit einem Dritten zu dem Zweck, diesem seine Dienstleistungen anzubieten. Ihre Teilnahme an Kolloquien, Seminaren oder anderen universitären oder wissenschaftlichen Veranstaltungen ist zulässig, soweit sie bei dieser Gelegenheit keine Handlungen vornehmen, die mit Kunden-Akquise gleichzusetzen sind.

Die Société fiduciaire ersuchte den Conseil d"État, diese Regelung für nichtig zu erklären, da sie der Ansicht ist, dass das darin enthaltene Verbot der Dienstleistungs-Richtlinie zuwiderlaufe. Der Conseil d"État beschloss, den EuGH um Auskunft hinsichtlich der Auslegung dieser Richtlinie zu ersuchen, und legte ihm die Frage vor, ob die Mitgliedstaaten Angehörigen eines reglementierten Berufs - wie des Wirtschaftsprüferberufs - allgemein verbieten dürfen, Handlungen der Kunden-Akquise vorzunehmen.

Die Gründe:
Das für Wirtschaftsprüfer geltende Verbot, Handlungen der Kunden-Akquise vorzunehmen, kann als nach der Richtlinie untersagtes absolutes Verbot kommerzieller Kommunikation angesehen werden.

Der Unionsgesetzgeber wollte mit dem Erlass der Dienstleistungs-Richtlinie absolute Verbote jeglicher Form von kommerzieller Kommunikation für Angehörige reglementierter Berufe beseitigen. Zudem beabsichtigte er die Beseitigung von Verboten, eine oder mehrere Formen der kommerziellen Kommunikation, wie insbes. Werbung, Direktmarketing und Sponsoring, zu verwenden. Als gem. der Richtlinie untersagte absolute Verbote sind auch Berufsregeln anzusehen, nach denen es untersagt ist, in einem Medium oder in einer Reihe von Medien Informationen über den Dienstleister oder seine Tätigkeit zu veröffentlichen.

Es steht den Mitgliedstaaten jedoch frei, für reglementierte Berufe Verbote hinsichtlich des Inhalts und der Art und Weise der kommerziellen Kommunikation vorzusehen, wobei die vorgesehenen Regelungen gerechtfertigt und verhältnismäßig sein müssen, um die Unabhängigkeit, die Würde und die Integrität des Berufsstands sowie die Wahrung des Berufsgeheimnisses zu gewährleisten.

Der Begriff "Kunden-Akquise" ist innerhalb des Unionsrechts nicht legaldefiniert. Es ist jedoch auszulegen als eine Form der Übermittlung von Informationen mit dem Ziel der Gewinnung neuer Kunden, die einen personalisierten Kontakt impliziert. "Kunden-Akquise" lässt sich also als Direktmarketing qualifizieren und ist damit kommerzielle Kommunikation im Sinne der Richtlinie.

Das in der französischen Regelung weit gefasste Verbot untersagt jegliche Tätigkeit der Kunden-Akquise unabhängig von ihrer Form, ihrem Inhalt oder den verwendeten Mitteln. Dieses Verbot untersagt somit alle Kommunikationsmittel, die die Durchführung von Handlungen der Kunden-Akquise ermöglichen. Ein solches Verbot ist daher als absolutes Verbot kommerzieller Kommunikation anzusehen und stellt eine Beschränkung des grenzüberschreitenden freien Dienstleistungsverkehrs dar. Dieses Verbot kann nämlich Berufsangehörige aus anderen Mitgliedstaaten stärker beeinträchtigen, indem es ihnen ein wirksames Mittel nimmt, um in den französischen Markt einzudringen.

Linkhinweis:

Für den auf den Webseiten des EuGH veröffentlichten Volltext der Entscheidung klicken Sie bitte hier.

EuGH PM Nr. 30 vom 5.4.2011
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