31.01.2025

Einseitige Herabsetzung des Rentenfaktors durch Versicherer ist unwirksam

Unwirksam ist eine Klausel, die in einem als Altersvorsorgevertrag zertifizierten fondsgebundenen Rentenversicherungsvertrag im Falle geänderter Rechnungsgrundlagen zur Kürzung des Rentenfaktors berechtigt, wenn sie keine Rückanpassung des Rentenfaktors für den Fall sich bessernder Rechnungsgrundlagen vorsieht und der Vertrag dem Versicherungsnehmer auch keine hinreichende Möglichkeit bietet, auf die Rentenabsenkung durch höhere Einzahlungen zu reagieren.

OLG Stuttgart v. 30.1.2025, 2 U 143/23
Der Sachverhalt:
Die Beklagte bietet Rentenversicherungen an und verwendete zwischen Juni und November 2006 "Allgemeine Versicherungsbedingungen für den Baustein zur fondsgebundenen Altersvorsorge: FondsRente ("RiesterRente mit Fonds") E 202". Der Versicherungsvertrag enthielt eine Anpassungsklausel, wonach die Beklagte berechtigt sei, aufgrund von Umständen, die bei Vertragsabschluss nicht vorhersehbar waren, die monatliche Rente so weit herabzusetzen, dass die Rentenzahlung bis zum Tode des Versicherungsnehmers garantieren werden könne.

Die Beklagte übte dieses Recht gegenüber einem Versicherungsnehmer aus, dessen Rente ab dem Jahr 2041 ausbezahlt werden soll und mit dem ursprünglich ein Rentenfaktor von 38,74 € vereinbart war. Im Januar 2017 reduzierte die Beklagte den Rentenfaktor auf der Basis eines Rechnungszinses von 1,75 % auf 33,39 € und im Januar 2021 auf der Basis eines Rechnungszinses von 1,25 % auf 30,84 €. Die Beklagte war der Ansicht, sie sei nicht nur zur Senkung des Rentenfaktors zum Zeitpunkt des Renteneintritts befugt, sondern bereits vor dem vereinbarten Rentenbeginn.

Der klagende Verbraucherschutzverband, verlangte von der Beklagten, es zu unterlassen, sich auf eine Anpassungsklausel in der fondsgebundenen Riester-Rentenversicherung zu berufen. Die Klausel benachteilige den Kunden unangemessen, weil sie ausschließlich das Unternehmen zur Herabsetzung des Rentenfaktors berechtige, nicht aber dazu verpflichte, den Rentenfaktor bei einer Verbesserung der Umstände wieder zu erhöhen. Die Beklagte wies die Abmahnung als unbegründet zurück.

Das LG hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das OLG das Urteil abgeändert und der Klage stattgegeben.

Die Gründe:
Der Kläger hat aus § 1 UKlaG einen Anspruch auf Unterlassung der Verwendung der beanstandeten Klausel. Wer in Allgemeinen Geschäftsbedingungen Bestimmungen, die nach den §§ 307 bis 309 BGB unwirksam sind, verwendet, kann demnach auf Unterlassung in Anspruch genommen werden.

§ 163 VVG ist auf Rentenversicherungsverträge anzuwenden. Die in § 1 Abs. 3 Satz 1 AVB angesprochenen Rechnungsgrundlagen betreffen auch den Regelungsgehalt des § 163 VVG. Das LG stellte darauf ab, dass die angegriffene Bestimmung keine Abweichung von § 163 VVG darstelle, weil sie nicht den Fall einer einseitigen Prämienerhöhung durch den Versicherer regele, sondern diesem eine Befugnis zur Herabsetzung der vereinbarten Leistung gebe. Bei dieser Betrachtungsweise regelt die Vorschrift nicht die Frage, welche Folgen die unvorhergesehene Änderung von Rechnungsgrundlagen haben soll, sondern vielmehr die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Prämienanpassung möglich ist.

Dieses Ergebnis ist nicht zweifelsfrei, weil der Regelungsgehalt des § 163 VVG auch darin gesehen werden könnte, dass er bestimmt, unter welchen Voraussetzungen eine Änderung der Rechnungsgrundlagen festzustellen sind und welche Rechtsfolgen sich hieraus ergeben. Für diese Betrachtungsweise könnte sprechen, dass erhebliche Verbraucherinteressen sowohl bei den Voraussetzungen einer Vertragsanpassung berührt sein können als auch bei der Rechtsfolge, die nach der gesetzlichen Regelung dem Versicherungsnehmer ein Wahlrecht zwischen Prämienerhöhung und Rentenabsenkung eröffnet.

Der Wortlaut der §§ 163, 171 VVG liefert keine deutlichen Anhaltspunkte, welche Verbraucherinteressen geschützt werden sollen. Auch die Gesetzesbegründung trägt nicht zu einer Klarheit bei, denn ihr zufolge können in anderen Fallkonstellationen Änderungsklauseln vereinbart werden (Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 20.12.2006, Bundestag Drucksache Nr. 16/3945, S. 99). Dies entspricht der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BGH, Urt. v. 17.3.1999 - IV ZR 218/97), beantwortet jedoch nicht die Frage nach dem zwingenden Regelungsgehalt des § 163 VVG, von dem nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers abgewichen werden darf.

Die Klausel ist jedenfalls gem. § 307 Absatz 1 BGB wegen einer unangemessenen Benachteiligung des Vertragspartners unwirksam. Zur Unwirksamkeit führt der Umstand, dass die Klausel keine Rückanpassung des Rentenfaktors für den Fall sich bessernder Rechnungsgrundlagen vorsieht. Die benachteiligenden Wirkungen der Klausel werden zudem durch den Umstand verstärkt, dass das Klauselwerk dem Versicherungsnehmer keine hinreichende Möglichkeit bietet, auf die Rentenabsenkung durch höhere Einzahlungen zu reagieren, um das Rentenniveau wieder anzuheben.

Das Anpassungsrecht verfolgt nur das Interesse des Versicherers, die Rentenhöhe abzusenken. Die Klausel sieht hingegen nicht vor, im Falle sich wieder bessernder Rechnungsgrundlagen die Absenkung wenigstens teilweise rückgängig zu machen. Das Fehlen einer Regelung zur Rückanpassung des Rentenfaktors für den Fall einer (teilweisen) Wiederherstellung des vertraglich vereinbarten Äquivalenzverhältnisses ist unangemessen, weil die angegriffene Klausel das Recht zur Vertragsanpassung einseitig ausgestaltet.

Mehr zum Thema:

Aufsatz
Manfred Wandt
Grundsätzliches zur Auslegung von § 163 VVG und Zulässigkeit von Anpassungsklauseln für den Rentenfaktor in der Rentenversicherung
VersR 2024, 673
VERSR0067123

Rechtsprechung (Vorinstanz)
Wirksamkeit einer Regelung in AVB zur einseitigen Herabsetzung des Rentenfaktors
LG Stuttgart vom 10.07.2023 - 53 O 214/22
VersR 2023, 1215
VERSR0058988

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