23.11.2012

Eisenbahninfrastruktur-Betreiber müssen in Echtzeit Informationen über Anschlussverbindungen sämtlicher Eisenbahnunternehmen zur Verfügung stellen

Bahnreisende müssen über Verspätungen oder Ausfälle ihrer wichtigsten Anschlusszüge informiert werden, unabhängig davon, welches Eisenbahnunternehmen diese Züge betreibt. Der Betreiber der Eisenbahninfrastruktur ist verpflichtet, den Eisenbahnunternehmen in Echtzeit sämtliche Informationen über die von anderen Unternehmen gewährleisteten Anschlussverbindungen zur Verfügung zu stellen

EuGH 22.11.2012, C‑136/11
Der Sachverhalt:
Das Eisenbahnunternehmen Westbahn Management GmbH erbringt in Österreich Schienenpersonenverkehrsdienste auf der Strecke Wien - Salzburg. Die ÖBB-Infrastruktur AG ist Betreiberin der Eisenbahninfrastruktur in Österreich und des Großteils des österreichischen Schienennetzes einschließlich der Strecke Wien - Salzburg. Sie verfügt über Echtzeitdaten aller Züge, die auf dem von ihr betriebenen Schienennetz verkehren. Diese Daten werden den verschiedenen Eisenbahnunternehmen für deren eigene Züge übermittelt.

Westbahn Management ersuchte ÖBB-Infrastruktur, ihr Echtzeitdaten zu den Zügen anderer Eisenbahnunternehmen zur Verfügung zu stellen, um künftig ihre Fahrgäste über die tatsächlichen Abfahrtszeiten der Züge informieren zu können und um die Anschlüsse zu gewährleisten. ÖBB-Infrastruktur verweigerte den Zugang zu diesen Daten mit der Begründung, dass sie grundsätzlich nur die dem jeweiligen Eisenbahnunternehmen zuzuordnenden Daten weitergebe. Sie empfahl Westbahn Management, Vereinbarungen mit den übrigen Eisenbahnunternehmen zu treffen, in denen sich diese mit der Weitergabe ihrer Daten einverstanden erklären.

Zwischen Westbahn Management und den übrigen Eisenbahnunternehmen kam eine solche Vereinbarung jedoch nicht zustande. Westbahn Management vertrat die Auffassung, dass die Nichtübermittlung dieser Daten dem Unionsrecht zuwiderlaufe, und reichte bei der Schienen-Control Kommission, die für die Entscheidung über Rechtsstreitigkeiten in Bezug auf die Eisenbahnmärkte zuständig ist, Beschwerde ein.

Die Schienen-Control Kommission möchte mit ihren an den EuGH gerichteten Vorlagefragen zum einen wissen, ob die Information über die wichtigsten Anschlussverbindungen neben den fahrplanmäßigen Abfahrtszeiten auch die Bekanntgabe von Verspätungen oder Ausfällen der Anschlusszüge, insbes. von anderen Eisenbahnunternehmen, umfassen muss. Zum anderen fragt sie, ob der Infrastrukturbetreiber verpflichtet ist, in diskriminierungsfreier Weise Echtzeitdaten von Zügen anderer Eisenbahnunternehmen zur Verfügung zu stellen, sofern es sich bei diesen Zügen um die wichtigsten Anschlussverbindungen handelt.

Die Gründe:
Der Eisenbahninfrastrukturbetreiber ist verpflichtet, den Eisenbahnunternehmen in diskriminierungsfreier Weise Echtzeitdaten der von anderen Unternehmen betriebenen Züge zur Verfügung zu stellen, sofern es sich bei diesen Zügen um die wichtigsten Anschlussverbindungen handelt.

Zur Wahrung der Interessen der Fahrgäste und der allgemeinen Ziele des Unionsrechts müssen die Informationen, die den Fahrgästen gegeben werden, für sie von Nutzen sein. Insoweit sind Ihnen Informationen über Verspätungen oder Ausfälle von Anschlusszügen auch dann mitzuteilen, wenn sich die Zugverspätungen oder -ausfälle nach der Abfahrt ereignen. Andernfalls würde der Fahrgast nur über die planmäßigen Abfahrtszeiten der wichtigsten Anschlussverbindungen informiert, nicht aber über die nach seiner Abfahrt eingetretenen Änderungen. Die Eisenbahnunternehmen sind daher verpflichtet, Echtzeitinformationen über die wichtigsten Anschlussverbindungen zu geben.

Diese Pflicht bezieht sich auf alle wichtigen Anschlussverbindungen, sowohl die des betreffenden Eisenbahnunternehmens als auch die der anderen Unternehmen. Eine Einschränkung der Informationen, zu denen die Fahrgäste Zugang haben müssen, würde ihr Umsteigen beeinträchtigen. Sie würde das Informationsziel des Unionsrechts in Frage stellen, indem für die Fahrgäste ein Anreiz geschaffen würde, die großen Eisenbahnunternehmen zu bevorzugen, die in der Lage wären, ihnen Echtzeitinformationen über alle Teilabschnitte ihrer Fahrt zu geben.

Der Betreiber der Eisenbahninfrastruktur hat zur Gewährleistung eines fairen Wettbewerbs auf dem Markt des Schienenpersonenverkehrs sicherzustellen, dass alle Eisenbahnunternehmen in der Lage sind, den Fahrgästen eine vergleichbare Dienstleistungsqualität zu bieten. Daher müssen sich die Eisenbahnunternehmen zum Zweck der Ausübung des Rechts auf Zugang zur Schieneninfrastruktur vom Infrastrukturbetreiber Echtzeitinformationen über die wichtigsten Anschlussverbindungen anderer Eisenbahnunternehmen verschaffen. Die Informationen, die den Anzeigetafeln verschiedener Bahnhöfe entnommen werden können, sind auch nicht als vertraulich oder sensibel anzusehen, was ihrer Weitergabe an die verschiedenen betroffenen Eisenbahnunternehmen entgegenstehen würde.

Linkhinweis:

Für den auf den Webseiten des EuGH veröffentlichten Volltext der Entscheidung klicken Sie bitte hier.

EuGH PM Nr. 149 vom 22.11.2012
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