06.11.2025

Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen Zurückweisung einer Berufung in einem Dieselverfahren

Das BVerfG hat einer Verfassungsbeschwerde stattgegeben, die sich gegen die Zurückweisung einer Berufung im Beschlusswege nach § 522 Abs. 2 ZPO in einem Fall des Diesel-Abgasskandals richtete. Das OLG war in der angegriffenen Entscheidung davon ausgegangen, dass die entscheidungserheblichen Rechtsfragen geklärt seien und die Sache somit keine grundsätzliche Bedeutung i.S.d. § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO habe, hatte dabei jedoch nicht hinreichend beachtet, dass zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die Rechtsfrage, ob die europarechtlichen Zulassungsregelungen für Fahrzeuge "Schutzgesetze" i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB darstellen, erneut klärungsbedürftig war.

BVerfG v. 8.9.2025 - 2 BvR 1760/22
Der Sachverhalt:
Der Beschwerdeführer (Kläger im Ausgangsverfahren) verlangte im Wege des Schadensersatzes Rückzahlung des Kaufpreises für ein Dieselfahrzeug vom beklagten Hersteller, da dieses mit einer verbotenen Abschalteinrichtung ausgestattet sei. Das LG wies seine Klage ab, u.a. weil die Regelungen der EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung keinen Individualschutz verfolgten. Hiergegen legte der Beschwerdeführer Berufung ein.

Nach der Berufungseinlegung wurde in einem beim EuGH anhängigen Vorabentscheidungsverfahren in den Schlussanträgen - vereinfacht dargestellt - vorgeschlagen, europarechtliche Regelungen zur Zulassung von Fahrzeugen dahin auszulegen, dass sie die Interessen eines individuellen Erwerbers eines Kfz schützen, insbesondere das Interesse, kein Fahrzeug zu erwerben, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist. Der BGH veröffentlichte hiernach eine Pressemitteilung zu einem bei ihm geplanten Verhandlungstermin, in der er auf dieses Vorabentscheidungsverfahren Bezug nahm. Er führte aus, dass sich aus der noch zu ergehenden Entscheidung des EuGH möglicherweise Folgerungen für das deutsche Haftungsrecht ergeben könnten, die in der mündlichen Verhandlung erörtert werden sollten. Auf diese Weise sollten den mit Dieselverfahren befassten Fachgerichten höchstrichterliche Leitlinien an die Hand gegeben werden.

Noch vor der Verhandlung des BGH wies das OLG die Berufung des Beschwerdeführers im Beschlusswege nach § 522 Abs. 2 ZPO als offensichtlich unbegründet zurück. Zur Begründung führte es u.a. aus, ein auf Rückabwicklung des Kaufvertrags gerichteter Schadensersatzanspruch wegen der Verletzung von Zulassungsregelungen komme nicht in Betracht. Der BGH gehe in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die Rechtslage in Hinblick auf die europarechtlichen Regelungen von vornherein eindeutig sei ("acte clair"). Hieran änderten weder die Schlussanträge im Vorabentscheidungsverfahren noch die Pressemitteilung des BGH etwas.

Auf die Verfassungsbeschwerde, mit der sich der Beschwerdeführer gegen diese Entscheidung wendet und eine Verletzung seines Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG rügt, hob das BVerfG den Beschluss des OLG auf und verwies die Sache an das OLG zurück.

Die Gründe:
Der angegriffene Beschluss verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz. Die Annahme des OLG, die Sache hätte keine grundsätzliche Bedeutung i.S.d. § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO, ist aus Sachgründen nicht zu rechtfertigen.

Zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des OLG waren die Voraussetzungen für eine grundsätzliche Bedeutung der Sache erfüllt. Insbesondere war zu diesem Zeitpunkt erneut klärungsbedürftig geworden, ob die Zulassungsregelungen "Schutzgesetze" i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB darstellen. Spätestens durch die Veröffentlichung der Pressemitteilung des BGH lagen zureichende Anhaltspunkte dafür vor, dass wieder Zweifel über die Beantwortung der entscheidungserheblichen Rechtsfrage bestanden und die Sache somit grundsätzliche Bedeutung hatte. Die Pressemitteilung schilderte einen dem Ausgangsverfahren vergleichbaren Sachverhalt und wies auf mögliche Konsequenzen einer Entscheidung des EuGH für das nationale Haftungsrecht hin. Zugleich zeigte die Pressemitteilung die Absicht des BGH auf, den mit den Dieselverfahren befassten Fachgerichten höchstrichterliche Leitlinien an die Hand geben zu wollen. Nach dem Inhalt der unmissverständlich formulierten Pressemitteilung musste sich den Fachgerichten daher aufdrängen, dass der BGH die einschlägige Rechtslage in der ausstehenden Entscheidung anders beurteilen könnte.

Die Ausführungen des OLG, der Pressemitteilung habe nicht entnommen werden können, dass der BGH nunmehr davon ausginge, es läge kein "acte clair" vor, stehen in einem unauflösbaren Widerspruch zu dem vom BGH in seiner Pressemitteilung klar zum Ausdruck gebrachten Anliegen, sich angesichts der anstehenden Entscheidung des EuGH mit den dann aufgeworfenen Rechtsfragen erneut grundlegend befassen zu wollen. Der Beschluss war daher aufzuheben und die Sache an das OLG zurückzuverweisen.

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Rechtsprechung (die angegriffene Entscheidung)
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ZIP0056882

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BVerfG PM Nr. 100 vom 6.11.2025