24.11.2021

Erfolgreicher Arrestantrag im Zusammenhang mit dem Wirecard-Skandal

Im Rahmen des Arrestverfahrens genügt es nach § 294 ZPO für die Glaubhaftmachung einer Behauptung, wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass sie zutrifft. An die Stelle des Vollbeweises tritt eine Wahrscheinlichkeitsfeststellung. Die erforderliche überwiegende Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung kann sich auch aus der Vorlage einer hinreichend substantiierten Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft ergeben.

OLG München v. 11.11.2021, 8 U 5670/21
Der Sachverhalt:
Am 17.6.2021 hatte die Arrestklägerin den Erlass eines dinglichen Arrestes gegen den Arrestbeklagten beantragt. Der Arrestbeklagte als Vorstandsvorsitzender der W-AG habe mit weiteren Mittätern bandenmäßigen Betrug und Fälschung der Geschäftsbilanzen seit mindestens 2015 sowie Marktmanipulation begangen. Die W-AG habe dadurch finanzkräftiger und für Investoren und Kunden attraktiver dargestellt werden sollen, um so regelmäßig Kredite von Banken und sonstigen Investoren zu erlangen und daraus fortwährend eigene Einkünfte zu generieren. Tatsächlich sei dem Arrestbeklagten jedoch klar gewesen, dass der Wirecard Konzern Verluste erziele.

Die Arrestklägerin war der Ansicht, ihr stehe deshalb eine Schadensersatzforderung i.H.v. 12.014 € zu. Sie hatte diesen Betrag zwischen 28.4.2020 und 15.7.2020 in die Aktie der W-AG investiert, wie durch Vorlage der Orderbelege glaubhaft gemacht. Bei Kenntnis der tatsächlichen Umstände hätte sie die Aktienanteile niemals erworben. Ein Arrestgrund liege vor, da die Vollstreckung eines Schadensersatzanspruches gegen den Arrestbeklagten aufgrund seiner österreichischen Staatsbürgerschaft und der zahlreichen Immobilien, welche dieser im Ausland besitze, wesentlich erschwert würde. Zur Glaubhaftmachung nahm die Arrestklägerin u.a. auf eine Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft München I vom 22.7.2020 Bezug. Der Arrestbeklagte befindet sich seitdem in Untersuchungshaft.

Das LG hat den Antrag auf Erlass eines Arrest- und Arrestpfändungsbeschlusses zurückgewiesen, weil angesichts der Untersuchungshaft des Beklagten kein Arrestgrund bestehe. Auf die Berufung der Antragstellerin hat das OLG das Urteil aufgehoben und den dinglichen Arrest in das gesamte persönliche Vermögen des Antragsgegners angeordnet.

Die Gründe:
Dem Antrag auf Anordnung des Arrestes war nach §§ 916, 917, 923 ZPO stattzugeben. Die Arrestklägerin hat Arrestanspruch und Arrestgrund ausreichend glaubhaft gemacht.

An die im Rahmen des Sicherungsverfahrens nach § 294 ZPO ausreichende Glaubhaftmachung dürfen keine überzogenen Anforderungen gestellt werden. Für die Glaubhaftmachung einer Behauptung genügt es, wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass sie zutrifft. An die Stelle des Vollbeweises tritt eine Wahrscheinlichkeitsfeststellung. Die erforderliche überwiegende Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung kann sich auch (wie hier) aus der Vorlage einer hinreichend substantiierten Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft jedenfalls dann ergeben, wenn aufgrund dieses Tatvorwurfs ein Haftbefehl gegen den Arrestbeklagten erlassen und somit ein dringender Tatverdacht bejaht wurde.

Der Arrestgrund wird durch das bisherige Verhalten des Arrestbeklagten indiziert. Dem Vorliegen eines Arrestgrundes steht hier (entgegen der Auffassung des Erstgerichts) auch nicht entgegen, dass sich der Arrestbeklagte seit dem 22.7.2020 in Untersuchungshaft befindet. Dieser Umstand hindert den Arrestbeklagten nämlich weder rechtlich noch tatsächlich daran, Vermögensverfügungen gegebenenfalls über beauftragte Personen zum Nachteil der Arrestklägerin vorzunehmen.

Letztlich steht dem Vorliegen eines Arrestgrundes bzw. dem Vorliegen eines Rechtsschutzbedürfnisses am Erlass eines Arrestes nicht entgegen, dass sämtliche Vermögenswerte seitens der Staatsanwaltschaft arrestiert wären, d.h. kein Vermögen mehr vorhanden wäre, auf das zugegriffen werden könnte. Die Beschlagnahme nach § 111b StPO oder der Vermögensarrest nach § 111e StPO beseitigen den Arrestgrund nicht. § 111h Abs. 2 Satz 1 StPO hindert grundsätzlich nur eine Vollstreckung des Arrests in die sichergestellten Vermögenswerte. Ob dies anders - z.B. im Sinne eines Rechtsmissbrauchs - zu beurteilen wäre, wenn ein Antragsteller wiederholt Arrestanträge gleichsam "ins Blaue" stellt ohne jede Aussicht auf eine zulässige Pfändung, kann derzeit offen bleiben.

Die Entscheidung über den Antrag auf Forderungspfändung bleibt dem LG München I überlassen (§ 572 Abs. 3 ZPO, § 20 Abs. 1 Nr. 16 RpflG). Zwar ist eine gleichzeitige Entscheidung auch über die Pfändung im Arrestbeschluss grundsätzlich möglich, dies gilt aber nicht in der Rechtsmittelinstanz (Vollkommer in Zöller, § 930, Rz. 3). Diese Ansicht ist zwar nicht unumstritten, ihr ist aber aus Rechtsschutzgründen zu folgen. Andernfalls würden die Rechtsschutzmöglichkeiten des Schuldners unangemessen eingeschränkt, da gegen einen Pfändungsbeschluss in der Beschwerdeinstanz nur noch die Vollstreckungserinnerung nach § 766 ZPO statthaft wäre.

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