22.07.2025

Ergänzende Vertragsauslegung: Svensson-Methode bei Bestimmung der Referenzzinsen bei Prämiensparverträgen

Der BGH hat sich vorliegend mit der sog. Svensson-Methode bei der Bestimmung der Referenzzinsen bei Prämiensparverträgen durch ergänzende Vertragsauslegung befasst.

BGH v. 1.7.2025 - XI ZR 16/24
Der Sachverhalt:
Der Musterkläger, ein seit über vier Jahren als qualifizierte Einrichtung in die Liste nach § 4 UKlaG eingetragener Verbraucherschutzverband, begehrt im Wege der Musterfeststellungsklage Feststellungen zu den Voraussetzungen für das Bestehen von Ansprüchen von Verbrauchern auf weitere Zinsbeträge aus Prämiensparverträgen (sog. "S-Prämiensparen flexibel", nachfolgend: Sparverträge) gegen die Musterbeklagte. Die Musterbeklagte bzw. deren Rechtsvorgänger (einheitlich: Musterbeklagte) schloss seit Anfang der 1990er Jahre mit Verbrauchern Sparverträge ab, die eine variable Verzinsung der Spareinlage und ab dem dritten Sparjahr eine der Höhe nach - bis zu 50% der jährlichen Spareinlage ab dem 15. Sparjahr - gestaffelte verzinsliche Prämie vorsahen. Die Vertragsformulare enthielten keine konkreten Bestimmungen zur Änderung des variablen Zinssatzes.

Der Musterkläger hält die Regelungen zur Änderung des variablen Zinssatzes für unwirksam und die während der Laufzeit der Sparverträge von der Musterbeklagten vorgenommene Verzinsung für zu niedrig. Mit der Musterfeststellungsklage begehrt er - soweit im Revisionsverfahren noch von Bedeutung - die Feststellung, dass die Musterbeklagte verpflichtet ist, die Zinsanpassungen für die Sparverträge vorzunehmen auf der Grundlage des gleitenden Durchschnittswerts der letzten 10 Jahre des Referenzzinssatzes für Umlaufsrenditen inländischer Inhaberschuldverschreibungen/Hypothekenpfandbriefe mit einer garantierten Restlaufzeit von 10 Jahren (ehemalige Zeitreihe WX4260 der Zinsstatistik der Deutschen Bundesbank), hilfsweise entsprechend der Laufzeit eines von der Deutschen Bundesbank für inländische Banken erhobenen langfristigen (9 bis 10 Jahre) Referenzzinssatzes, welcher dem konkreten Geschäft möglichst nahekommt, wobei die Auswahl des Referenzzinssatzes in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, hilfsweise entsprechend der Laufzeit eines langfristigen (9 bis 10 Jahre), angemessenen und in öffentlich zugänglichen Medien abgebildeten Referenzzinssatzes, der dem konkreten Geschäft möglichst nahekommt, wobei die Auswahl des Referenzzinssatzes in das Ermessen des Gerichts gestellt wird (Feststellungsziel 2). 

Das OLG wies die Musterfeststellungsklage mit Urteil vom 9.9.2020 hinsichtlich des Hauptantrags und des ersten Hilfsantrags zum Feststellungsziel 2 zunächst ab und gab ihr hinsichtlich des zweiten Hilfsantrags zum Feststellungsziel 2 statt. Auf die Revisionen des Musterklägers und der Musterbeklagten hob der BGH die Entscheidung des OLG in diesen Punkten auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück. Im wiedereröffneten Verfahren stellte das OLG nach Hinzuziehung eines Sachverständigen - unter Abweisung des Hauptantrags - nunmehr fest, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Zinsanpassung für die Sparverträge auf der Grundlage der Zeitreihe der Deutschen Bundesbank "Umlaufsrenditen inländischer Inhaberschuldverschreibungen/Börsennotierte Bundeswertpapiere/RLZ von über 8 bis 15 Jahren/Monatswerte" (ehemalige Kennung WU9554) vorzunehmen. Die Musterbeklagte erstrebt mit der Revision die Bestimmung eines ihr günstigeren Referenzzinssatzes. Der Musterkläger hat seine Revision zurückgenommen.

Die Revision der Musterbeklagten hatte keinen Erfolg. Der Musterkläger wurde nach der Rücknahme der Revision dieses Rechtsmittels für verlustig erklärt.

Die Gründe:
Die vom OLG als Referenzzins herangezogenen Umlaufsrenditen inländischer Bundeswertpapiere mit Restlaufzeiten von über 8 bis 15 Jahren genügen den Anforderungen, die im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung an einen Referenzzins für die variable Verzinsung der Sparverträge zu stellen sind.

Die Regelungslücke, die durch die Unwirksamkeit der Zinsänderungsklausel bei gleichzeitiger Wirksamkeit der Vereinbarung über die Variabilität der Zinshöhe entstanden ist, hat das Gericht - auch im Rahmen einer Musterfeststellungsklage nach §§ 606 ff. ZPO a.F. - im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung (§§ 133, 157 BGB) zu schließen, die der selbständigen und uneingeschränkten Nachprüfung durch das Revisionsgericht unterliegt. Dabei muss es die maßgeblichen Parameter einer Zinsanpassung und damit insbesondere einen Referenzzins für die variable Verzinsung des Sparguthabens bestimmen. Maßstab für die ergänzende Vertragsauslegung ist bei Massengeschäften wie den streitgegenständlichen Sparverträgen ebenso wie für die Auslegung und Inhaltskontrolle von AGB nicht der Wille der konkreten Vertragsparteien. Es ist vielmehr aufgrund einer objektiv-generalisierenden Sicht auf die typischen Vorstellungen der an Geschäften gleicher Art beteiligten Verkehrskreise abzustellen.

Bei dem Referenzzins muss es sich um einen in öffentlich zugänglichen Medien abgebildeten Zinssatz handeln, der von unabhängigen Stellen nach einem genau festgelegten Verfahren ermittelt wird und der die Bank nicht einseitig begünstigt. Die in den Monatsberichten der Deutschen Bundesbank veröffentlichten Zinssätze genügen diesen Anforderungen. Unter den Bezugsgrößen des Kapitalmarkts ist dabei diejenige oder eine Kombination derjenigen auszuwählen, die dem konkreten Geschäft möglichst nahekommt. Dabei ist es allein interessengerecht, einen Referenzzinssatz für langfristige Spareinlagen heranzuziehen, wobei die Ansparphase Berücksichtigung finden kann. Da die Sparverträge angesichts der Ausgestaltung der Prämienstaffel auf ein langfristiges Sparen bis zum Ablauf des 15. Sparjahres ausgerichtet sind, sind als Referenz die in den Monatsberichten der Deutschen Bundesbank veröffentlichten Zinssätze für Spareinlagen zugrunde zu legen, die einer Laufzeit von 15 Jahren möglichst nahekommen. Dabei hat der als Referenz heranzuziehende Marktzinssatz oder die als Referenz heranzuziehende Umlaufsrendite auch widerzuspiegeln, dass es sich bei den streitgegenständlichen Sparverträgen um eine risikolose Anlageform handelt.

Wie der Senat bereits entschieden und eingehend begründet hat, genügt die vom OLG bestimmte Zeitreihe der Deutschen Bundesbank mit der ehemaligen Kennung WU9554 diesen Anforderungen. Dabei hat das OLG zu Recht angenommen, dass ein Referenzzinssatz mit langer Fristigkeit heranzuziehen ist. Da die Sparverträge angesichts der Ausgestaltung der Prämienstaffel auf ein langfristiges Sparen bis zum Ablauf des 15. Sparjahres ausgerichtet sind, sind als Referenz die in den Monatsberichten der Deutschen Bundesbank veröffentlichten Zinssätze für Spareinlagen zugrunde zu legen, die einer Laufzeit von 15 Jahren möglichst nahekommen. Maßgeblich ist damit - entgegen der Ansicht der Revision - nicht die durchschnittliche tatsächliche Haltedauer der mit der Musterbeklagten geschlossenen Sparverträge, sondern sind die typischen Vorstellungen der an Geschäften gleicher Art beteiligten Verkehrskreise.

Ohne Erfolg hält die Revision der Musterbeklagten dem entgegen, dass die von der Deutschen Bundesbank nach der sog. Svensson-Methode ermittelten Renditen für Bundeswertpapiere geeigneter seien und dass der mittleren Kapitalbindung der Sparverträge Renditen von Bundeswertpapieren mit Restlaufzeiten von 7 Jahren am nächsten kämen. Revisionsrechtlich ist die vom OLG als Referenz herangezogene Zeitreihe nicht zu beanstanden, weil sie den dargestellten Anforderungen des Senats genügt, der typisierten Spardauer bis zum Erreichen der höchsten Prämienstufe nach 15 Jahren hinreichend nahekommt und den risikolosen Marktzins abbildet. Der vom OLG bestimmten Zeitreihe kann auch nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, dass sie inhaltlich "schwanke", weil sie vom jeweiligen Emissionsverhalten der Bundesrepublik Deutschland abhänge, so dass keine Nähe zur typisierten Fristigkeit der Sparverträge hergestellt werden könne. Die durchschnittliche Restlaufzeit der Zeitreihe unterliegt zwar gewissen Schwankungen, sie bildet aber gleichwohl die Zinsen am Kapitalmarkt ohne Risikoaufschlag hinreichend ab.

Mehr zum Thema:

Rechtsprechung (Vorinstanz)
Urteil
OLG Dresden vom 09.09.2020 - 5 MK 2/19

Aufsatz
Verwahren oder Sparen?
Olaf Langner, WM 2025, 1305
WM0080126

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