13.01.2014

Falschberatung: Widerspruch zwischen Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils und Feststellungen des Berufungsgerichts

Der BGH hat zur Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör bei einem Widerspruch zwischen dem in Bezug genommenen Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils und den Feststellungen des Berufungsgerichts Stellung genommen. Hintergrund der Entscheidung ist ein Verfahren, in dem eine Anlegerin von ihrer Bank Schadensersatz wegen angeblicher Falschberatung in Zusammenhang mit dem Erwerb von Zertifikaten begehrte.

BGH 3.12.2013, XI ZR 301/11
Der Sachverhalt:
Die Klägerin unterhielt bei der Beklagten seit rd. 30 Jahren ein Girokonto. Wegen der von ihrem Stiefvater geschätzten Beratung durch den Mitarbeiter B der Beklagten ließ sich die Klägerin seit 2003 ebenfalls von diesem betreuen. Ihr eigenes Depotvolumen betrug Ende 2003 rd. 123.000 €, das ihres Stiefvaters, den sie 2006 beerbte, weitere 350.000 €. Dort befanden sich u.a. insgesamt 900 Stück Aktien. Aufgrund eines seinem Inhalt nach im Einzelnen streitigen Telefonats Anfang Februar 2007 veräußerte sie auf Empfehlung des B sämtliche Aktien für insgesamt 78.866 €.

Mit dem Erlös erwarb sie 50 (hier allein streitgegenständliche) L-Zertifikate zum Preis von insgesamt 50.000 €. Im Mai 2008 erhielt die Klägerin aus den Zertifikaten eine Bonuszahlung von 4.375 €. Mittlerweile sind die Zertifikate weitgehend wertlos. Die Klägerin verlangt von der Beklagten wegen angeblicher Falschberatung in Zusammenhang mit dem Erwerb der Zertifikate u.a. Zahlung von 50.000 € nebst Zinsen abzgl. der Bonuszahlung.

Das LG gab der Klage teilweise statt, nahm eine Schadensberechnung anhand der Differenzhypothese vor und sprach daher nur rd. 23.000 € zu. Im Tatbestand stellte das LG als unstreitig fest: "In einem persönlichen Beratungsgespräch im September 2006 klärte der Berater B die Klägerin über Funktionsweise und Risiken von Zertifikaten auf, insbes. über Kursschwankungen und Emittentenrisiken."

Das OLG, das wegen des Sach- und Streitstandes erster Instanz auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen hat, wies die Berufungen beider Parteien zurück und begründete dies u.a. damit, dass die Klägerin habe beweisen können, dass B nicht ausdrücklich auf das mit dem Erwerb der Zertifikate grundsätzlich verbundene Emittentenrisiko hingewiesen habe. Zudem hätten der Klägerin, die hier erstmals Zertifikate erworben habe, jegliche konkreten Vorkenntnisse gefehlt.

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten hob der BGH das Berufungsurteil insoweit auf, als zum Nachteil der Beklagten entschieden worden ist, und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.

Die Gründe:
Das OLG hat den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG verletzt.

Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen und Anträge der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gericht muss sich allerdings nicht mit jedem Vorbringen der Prozessbeteiligten in den Entscheidungsgründen ausdrücklich befassen. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG liegt nur dann vor, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass das Vorbringen der Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung ersichtlich nicht erwogen worden ist.

Das LG hat in seinem Urteils festgestellt, dass die Klägerin im September 2006 durch den Berater B über Funktionsweise und Risiken von Zertifikaten, insbes. das Emittentenrisiko aufgeklärt worden ist. Diese Feststellung gehört wegen der Bezugnahme auf das erstinstanzliche Urteil (§ 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO) zum Tatbestand des Berufungsurteils. Damit steht die in den Entscheidungsgründen des Berufungsurteils getroffene Feststellung in Widerspruch, die Klägerin habe beweisen können, dass seitens des Beraters B ein ausdrücklicher Hinweis auf das mit dem Erwerb der Zertifikate grundsätzlich verbundene Emittentenrisiko nicht erfolgt sei und der Klägerin im Hinblick auf Zertifikate jegliche konkreten Vorkenntnisse fehlten.

Der Umstand, dass sich das OLG mit diesem offensichtlichen Widerspruch nicht auseinandergesetzt, insbes. nicht deutlich gemacht hat, worauf seine der in Bezug genommenen erstinstanzlichen Feststellung widersprechende bessere Erkenntnis gründet, sondern vielmehr lediglich eine Aufklärung in dem der Order vorangegangenen Telefonat vom Februar 2007 diskutiert hat, lässt nur den Schluss zu, dass das OLG das unstreitige Parteivorbringen erster Instanz zu einer bereits im September 2006 erfolgten Aufklärung der Klägerin auch über das sog. allgemeine Emittentenrisiko nicht zur Kenntnis genommen hat.

Das Berufungsurteil beruht auf dieser Gehörsverletzung. Diese Voraussetzung ist schon dann erfüllt, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Gericht bei Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens anders entschieden hätte. Dies ist hier der Fall, weil die Klägerin dann, wenn ihr das allgemeine Emittentenrisiko von Zertifikaten bereits wegen der Aufklärung im September 2006 geläufig gewesen sein sollte, hierüber vor den streitgegenständlichen Käufen im Februar 2007 nicht erneut aufgeklärt werden musste.

Linkhinweis:

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