17.11.2020

Fehlende Klagebefugnis für Musterfeststellungsklage

Die von einem Verbraucherschutzverein gegen eine Bank erhobene Musterfeststellungsklage ist unzulässig, wenn der Verein, die für die Klagebefugnis erforderlichen in § 606 Abs. 1 Satz 2 ZPO genannten Voraussetzungen nicht erfüllt. Das ist etwa der Fall, wenn die Tätigkeit des Vereins überwiegend darin besteht, durch Analyse der AGB von Kreditinstituten Rechtsverstöße zu identifizieren, die betreffenden Institute mit anwaltlicher Hilfe abzumahnen und die Fehlerhaftigkeit der Geschäftsbedingungen anschließend gerichtlich durchzusetzen,

BGH v. 17.11.2020 - XI ZR 171/19
Der Sachverhalt:
Der Musterkläger, ein Verbraucherschutzverein, begehrt im Wege der Musterfeststellungsklage die Feststellung, dass Pflichtangaben in Verbraucherdarlehensverträgen, die die beklagte Bank mit Verbrauchern zum Zweck der Finanzierung von Kfz-Kaufverträgen abgeschlossen hat, den gesetzlichen Anforderungen nicht entsprechen, dass aus diesem Grund die Widerrufsfrist nicht zu laufen begonnen hat und dass im Fall eines wirksamen Widerrufs bei der Rückabwicklung des Darlehensvertrages kein Ersatz für Wertverluste des Kfz zu leisten ist.

Der satzungsmäßige Zweck des Musterklägers besteht darin, Verbraucher vor unredlichen Finanzdienstleistern zu schützen. Die Verwirklichung des Vereinszwecks strebt er nach § 5 seiner Satzung u.a. dadurch an, dass er gegen Regelungen, die in AGB enthalten sind, und gegen Verhaltensweisen von Finanzdienstleistern vorgeht, die der zugunsten der Verbraucher bestehenden Rechtslage widersprechen und dass er zur Durchsetzung solcher Maßnahmen bei Bedarf gerichtliche Hilfe in Anspruch nimmt.

Das OLG wies die Musterfeststellungsklage als unzulässig ab. Die Revision des Musterklägers hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Die Musterfeststellungsklage ist unzulässig, weil sie nicht von einer qualifizierten Einrichtung nach § 606 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 1 Satz 2 ZPO erhoben worden ist.

Bei den in § 606 Abs. 1 Satz 2 ZPO genannten Voraussetzungen handelt es sich um besondere Voraussetzungen der Klagebefugnis. Der Musterkläger erfüllt diese nicht alle. Er hat nicht schlüssig vorgetragen, dass er gem. § 606 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ZPO mindestens 350 natürliche Personen als Mitglieder hat.

Darüber hinaus ergibt sich aus dem Vortrag des Musterklägers nicht, dass dieser gem. § 606 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 ZPO in Erfüllung seiner satzungsmäßigen Aufgaben Verbraucherinteressen weitgehend durch nicht gewerbsmäßige aufklärende oder beratende Tätigkeiten wahrnimmt. Entscheidend für die Erfüllung dieser Voraussetzung ist, dass der Verbraucherschutz, der durch die tatsächlich ausgeübten Tätigkeiten des Vereins erzielt wird, bei wertender Gesamtbetrachtung ganz maßgebend auf eine nicht gewerbsmäßige Aufklärung oder Beratung zurückzuführen ist und die (außer)gerichtliche Geltendmachung von Verbraucherinteressen nur eine untergeordnete Rolle daneben hat.

Die Tätigkeit des Musterklägers besteht allerdings ganz überwiegend darin, durch Analyse der AGB von Kreditinstituten Rechtsverstöße zu identifizieren, die betreffenden Institute mit anwaltlicher Hilfe abzumahnen und die Fehlerhaftigkeit der Geschäftsbedingungen anschließend gerichtlich durchzusetzen. So hat der Musterkläger nach den von ihm vorgelegten Presseberichten "in knapp 3.400 Fällen Gebühren abgemahnt" und in "hunderten von Fällen" Klage erhoben. Zwischen 97 und 99 % der Einnahmen des Musterklägers im Jahr 2017 und im ersten Halbjahr 2018 stammen aus dem Bereich der gerichtlichen und außergerichtlichen Anspruchsdurchsetzung, so dass diese Einnahmen die Einnahmen aus Mitgliedsbeiträgen um ein Vielfaches übersteigen. Damit spricht auch die Einnahmenstruktur des Musterklägers dafür, dass die (außer)gerichtliche Geltendmachung von Verbraucherinteressen beim Schutz der Verbraucher vor unredlichen Geschäftspraktiken keine nur untergeordnete Rolle spielt.
BGH PM Nr. 139 vom 17.11.2020
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