Finanzielle Probleme eines Anwalts in Urteil öffentlich gemacht: Klage gegen Openjur erfolglos
LG Hamburg v. 9.5.2025 - 324 O 278/23Die Parteien streiten um Ansprüche im Zusammenhang mit einer von der Beklagten in einer Rechtsprechungsdatenbank veröffentlichten Gerichtsentscheidung. Der Kläger ist ein bei der Rechtsanwaltskammer Berlin zugelassener Rechtsanwalt. Die Beklagte betreibt unter www.openjur.de eine frei zugängliche Rechtsprechungsdatenbank, auf der sie Rechtsprechung im Volltext dokumentiert. Sie ist eine als gemeinnützig anerkannte Gesellschaft mit Sitz in Hamburg.
Der Kläger trat in einem einstweiligen Anordnungsverfahren vor dem VG Berlin als Antragsteller auf. In dem Verfahren, das sich gegen das Versorgungswerk der Rechtsanwälte in Berlin richtete, ging es u.a. darum, dass der Kläger mit der Entrichtung von Versorgungsbezügen in Verzug war, weswegen das Versorgungswerk gegen ihn die Zwangsvollstreckung betrieb. Unklar ist, ob der Beschluss öffentlich verkündet wurde. U.a. sind in dem Beschluss Ausführungen zu dem ehemaligen Arbeitsplatz des Klägers, dazu, dass er eine gewisse Zeit Arbeitslosengeld 1 bezogen habe und dazu, dass er mit der Entrichtung von Beiträgen zum berufsständischen Versorgungswerk in Verzug sei, enthalten. Weiterhin finden sich in dem Beschluss Angaben zu der finanziellen Situation des Klägers.
Die Beklagte veröffentlichte diesen Beschluss auf der von ihr verantworteten Internetseite openjur.de unter Nennung des Klarnamens des Klägers.
Der Kläger forderte die Beklagte zur Unterlassung der weiteren Verbreitung des Beschlusses sowie zur Schadensersatzzahlung auf. Die Beklagte wies die geltend gemachten Ansprüche zurück, entfernte aber umgehend den Namen des Klägers aus dem auf ihrer Webseite veröffentlichten Beschluss und teilte dem Kläger mit, dass der Beschluss des VG Berlin automatisiert aus der amtlichen Datenbank des Landes Berlin übernommen worden sei.
Der Kläger macht geltend, dass die Beklagte durch die nicht anonymisierte Veröffentlichung des streitgegenständlichen Beschlusses seine personenbezogenen Daten und privaten Lebensumstände durch weltweite Abrufbarkeit der Allgemeinheit zugänglich gemacht habe. Dadurch sei ein unzumutbarer Kontrollverlust bei dem Kläger eingetreten, der sich zudem konkret rufschädigend ausgewirkt habe.
Das LG hat die Klage auf Unterlassung der weiteren Verbreitung des Beschlusses sowie auf Schadensersatz abgewiesen.
Die Gründe:
Dem Kläger steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gegen die Beklagte nicht zu, und zwar weder aus Art. 17 DSGVO noch aus nationalem Recht.
Die Tätigkeit der Beklagten im Zusammenhang mit der Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen in der von der Beklagten betriebenen Rechtsprechungsdatenbank unterfällt der Bereichsausnahme des Art. 85 Abs. 2 DSGVO. Dies hat zur Folge, dass sich die Frage, ob dem Kläger gegen die Beklagte ein Unterlassungsanspruch zusteht, nicht nach den Regelungen der DSGVO, sondern nach dem einschlägigen nationalen Recht richtet.
Die Voraussetzungen der Bereichsausnahme für journalistische Zwecke liegen hier vor, denn die Beklagte ist im Zusammenhang mit dem Betrieb der Rechtsprechungsdatenbank in einer Weise tätig, die eine Einordnung als redaktionelle Tätigkeit rechtfertigt.
So fordert die Beklagte zuvor unveröffentlichte Entscheidungen von Gerichten gezielt zur Veröffentlichung an. Außerdem fordert die Beklagte auch Entscheidungen von Dritten an. Dies gilt etwa für das Urteil des LG München I im sog. Badewannen-Prozess, das die Beklagte von den Prozessbevollmächtigten des dortigen Verfahrens angefragt und erhalten hat, nachdem ihr Antrag auf Übersendung vom Präsidenten des LG abgelehnt wurde. Die Beklagte beschreitet auch den Rechtsweg, um Entscheidungen zu erhalten, etwa wenn Gerichte die Zusendung von Entscheidungen verweigern oder für die Zusendung Gebühren verlangen. Soweit Dritte Entscheidungen einsenden, wählt die Beklagte aus, welche dieser Entscheidung sie veröffentlicht. Die Beklagte verfasst eigene Orientierungssätze zu Entscheidungen und verschlagwortet Entscheidungen. Sie hebt Entscheidungen auf der Startseite und über die Social Media-Auftritte der Beklagten hervor und stellt auf ihrer Startseite unter der Überschrift "Aktuell" individuell ausgewählte, besonders relevante und neu veröffentlichte Rechtsprechung vor.
Diese Tätigkeit unterscheidet sich maßgeblich von einem bloßen Datensammeln oder einem bloßen Verbreiten von Inhalten Dritter, wie es etwa auf Bewertungsportalen geschieht. Ein wesentlicher Unterschied liegt schon darin, dass die Beklagte Gerichtsentscheidungen auch gezielt anfordert, wodurch ihre Tätigkeit einen redaktionellen und auch meinungsbildenden Charakter erhält. Darüber hinaus leistet die Beklagte ein Mindestmaß an Bearbeitung auch dadurch, dass sie Entscheidungen für eine hervorgehobene Veröffentlichung auswählt und Entscheidungen mit einer Beschreibung versieht.
Die Tätigkeit der Beklagten im Zusammenhang mit der von ihrer betriebenen Rechtsprechungsdatenbank unterfällt auch insgesamt der Bereichsausnahme. Dies gilt auch im Hinblick darauf, dass es sich bei der streitgegenständlichen Urteilsveröffentlichung - wie bei vielen anderen Urteilsveröffentlichungen der Beklagten - um eine automatisiert und ohne Änderungen aus Rechtsprechungsdatenbanken übernommene Entscheidung handelt.
Bleibt es danach für die Beurteilung des Unterlassungsbegehrens des Klägers bei der Anwendbarkeit des nationalen Rechts, das aufgrund der Bereichsausnahme anstelle der Regelungen der DSGVO Geltung beansprucht, steht dem Kläger auch insoweit kein Unterlassungsanspruch zu. Insbesondere besteht kein Unterlassungsanspruch aus §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog, Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG.
Zwar beeinträchtigt die Veröffentlichung der Entscheidung mit dem Klarnamen des Klägers als Ergebnis der Abwägung mit der Informations- und Medienfreiheit der Beklagten das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers, weil kein überwiegendes öffentliches Interesse an der beruflichen und finanziellen Situation des Klägers und daran, dass das Versorgungswerk der Rechtsanwälte gegen ihn Zwangsvollstreckungsmaßnahmen betrieben hat, besteht.
Allerdings hat die Beklagte bei der Veröffentlichung des Beschlusses in Wahrnehmung berechtigter Interessen und damit gerechtfertigt gehandelt.
Dem Kläger steht kein Schadensersatzanspruch im Hinblick auf die Verarbeitung der persönlichen Daten durch die Veröffentlichung des Namens des Klägers zu.
Ein Schadensersatzanspruch nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO kommt nicht in Betracht. Insoweit ist Art. 82 DSGVO schon nicht anwendbar, weil die in Kapitel II der DSGVO geregelten Grundsätze der Datenverarbeitung und die in Kapitel III der DSGVO geregelten Rechte der betroffenen Person aufgrund der Bereichsausnahme des Art. 85 DSGVO für den vorliegenden Fall nicht anwendbar sind.
Da sich die Veröffentlichung des Namens nach nationalem Recht aufgrund der Wahrnehmung berechtigter Interessen als gerechtfertigt darstellt, kommt auch ein Anspruch auf Zahlung einer Geldentschädigung nach § 823 Abs. 1 BGB nicht in Betracht.
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