06.12.2022

Freigegebene selbständige Tätigkeit des Schuldners: Keine Restschuldbefreiung nach Verstoß gegen § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO a.F.

Hat der Insolvenzverwalter die selbständige Tätigkeit des Schuldners freigegeben und erzielt der Schuldner zusätzlich Einkünfte aus abhängiger Beschäftigung, kann das Insolvenzgericht nicht anordnen, dass der unpfändbare Betrag in erster Linie den Einkünften des Schuldners aus seiner selbständigen Tätigkeit oder den fiktiven Einkünften aus dem angemessenen Dienstverhältnis zu entnehmen ist.

BGH v. 29.9.2022 - IX ZB 48/21
Der Sachverhalt:
Über das Vermögen des Schuldners wurde am 1.1.2010 das Insolvenzverfahren eröffnet und der weitere Beteiligte zu 2) zum Insolvenzverwalter bestellt. Seitdem übt der am 16.1.1948 geborene Schuldner eine selbständige Tätigkeit als freier Mitarbeiter aus. Am 5.3.2010 gab der Beteiligte zu 2) die selbständige Tätigkeit des Schuldners frei und wies den Schuldner darauf hin, dass er die Insolvenzmasse gem. § 295 Abs. 2 InsO a.F. so stellen müsse, als ob er ein vergleichbares Dienstverhältnis eingegangen wäre. Der Schuldner erzielte aus seiner selbständigen Tätigkeit einen Gewinn, führte jedoch keine Beträge an die Insolvenzmasse ab.

Seit Juni 2010 bezog der Schuldner zusätzlich zwei Hinterbliebenenrenten i.H.v. mtl. rd. 1.000 € und 850 €, für die der Beteiligte zu 2) keine pfändbaren Beträge errechnete. Im März 2015 forderte er den Schuldner auf, seine Einkünfte aus der selbständigen Tätigkeit nachzuweisen. Nach Erteilung der Auskunft machte der Beteiligte zu 2) für den Zeitraum von Juni 2010 bis Dezember 2012 einen im Hinblick auf die freigegebene selbständige Tätigkeit mtl. abzuführenden Betrag von 493 € geltend und forderte den Schuldner vergeblich zu einer Nachzahlung von rd. 15.000 € auf.

Nachdem am 31.12.2015 die Laufzeit der Abtretungserklärung endete, das Insolvenzverfahren aber fortdauerte, hörte das AG - Insolvenzgericht - mit veröffentlichtem Beschluss vom 11.3.2016 die Insolvenzgläubiger (so auch die weitere Beteiligte zu 1)) zu dem von dem Schuldner gestellten Antrag auf Erteilung der Restschuldbefreiung an. Die Beteiligte zu 1) beantragte unter Bezugnahme auf die Berichte des Beteiligten zu 2), dem Schuldner die Restschuldbefreiung wegen eines Verstoßes gegen § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO a.F. zu versagen.

Das AG versagte dem Schuldner die Restschuldbefreiung. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Schuldners blieb vor dem LG ebenso ohne Erfolg wie die vorliegende Rechtsbeschwerde vor dem BGH.

Die Gründe:
Auf den Streitfall finden die Vorschriften der InsO in der bis zum 1.7.2014 geltenden Fassung Anwendung, weil das Insolvenzverfahren vor diesem Zeitpunkt beantragt worden ist (Art. 103h Satz 1 EGInsO). Rechtsfehlerfrei bejaht das LG die Voraussetzungen für eine Versagung der Rechtsschuldbefreiung nach § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO.

Gem. § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO ist dem Schuldner auf den von einem Insolvenzgläubiger im Schlusstermin gestellten Antrag die Restschuldbefreiung zu versagen, wenn er während des Insolvenzverfahrens Auskunfts- und Mitwirkungspflichten vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt hat. Dabei kann die Restschuldbefreiung wegen der Verletzung von Auskunfts- und Mitwirkungspflichten des Schuldners nur versagt werden, wenn die Pflichtverletzung ihrer Art nach geeignet ist, die Befriedigung der Gläubiger zu gefährden, während es nicht darauf ankommt, ob die Befriedigungsaussichten tatsächlich geschmälert werden. Im Streitfall liegen die Voraussetzungen vor.

Gibt der Insolvenzverwalter die selbständige Tätigkeit des Schuldners aus der Insolvenzmasse frei, ist dieser nach § 35 Abs. 2 Satz 2, § 295 Abs. 2 InsO verpflichtet, die Insolvenzgläubiger durch Zahlungen an den Verwalter so zu stellen, als wenn er ein angemessenes Dienstverhältnis eingegangen wäre. Dabei handelt es sich um eine eigenständige Abführungspflicht, auf deren Einhaltung der Insolvenzverwalter einen unmittelbaren Anspruch hat und die im Regelfall zumindest eine jährliche Zahlung gebietet. Leistet der Schuldner diese Zahlungen nicht, verletzt er die ihm nach § 97 Abs. 2 InsO obliegende Mitwirkungspflicht und verwirklicht den Versagungstatbestand des § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO. Nach den Feststellungen des LG hat der Schuldner gegen die ihm obliegende Pflicht zur Abführung der gem. § 35 Abs. 2 Satz 2, § 295 Abs. 2 InsO zu zahlenden Beträge in der Zeit von Mitte 2010 bis einschließlich Dezember 2012 objektiv verstoßen.

Die Frage, ob der Annahme einer Verletzung der Mitwirkungspflicht entgegensteht, dass der Insolvenzverwalter die gem. § 35 Abs. 2 Satz 2, § 295 Abs. 2 InsO geschuldeten Beträge aufgrund anderer Einkünfte, auf die sich die Abtretungserklärung bezieht, hätte einziehen können, stellt sich nicht. Der Beteiligte zu 2) hatte keinen Zugriff auf die Einkünfte des Schuldners aus der freigegebenen selbständigen Tätigkeit. Diese Einkünfte fallen wegen der Freigabe nicht in die Insolvenzmasse. Ebensowenig erlaubten weder diese Einkünfte noch die Verpflichtung des Schuldners, die Masse gem. § 35 Abs. 2 Satz 2, § 295 Abs. 2 InsO a.F. so zu stellen, wie wenn er ein angemessenes Dienstverhältnis eingegangen wäre, einen erweiterten Zugriff auf die Hinterbliebenenrenten.

Zwar kann der vom selbständig tätigen Schuldner an die Masse abzuführende Betrag dadurch berechnet werden, dass sowohl das fiktive Einkommen des Schuldners aus einem angemessenen Dienstverhältnis gem. § 35 Abs. 2 Satz 2, § 295 Abs. 2 InsO a.F. als auch tatsächlich erzielte Arbeitseinkommen oder Renten entsprechend § 850e Nr. 2 ZPO zusammengerechnet werden (§ 36 Abs. 1 Satz 2 InsO). Der Schuldner muss die der Masse zufließenden Einkünfte dann um den entsprechenden Betrag aufstocken. Dies hat jedoch auf den pfändbaren Betrag der Einkünfte aus abhängiger Beschäftigung oder Rentenzahlungen keinen Einfluss. Insbesondere besteht keine Möglichkeit, entsprechend § 850e Nr. 2 Satz 2 ZPO anzuordnen, dass der unpfändbare Betrag in erster Linie den Einkünften des Schuldners aus seiner selbständigen Tätigkeit oder den fiktiven Einkünften aus einem angemessenen Dienstverhältnis zu entnehmen ist. Insoweit findet eine Zusammenrechnung mit Einkünften aus selbständiger Tätigkeit bei § 850e ZPO nicht statt. Dies gilt auch für die fiktiven Einkünfte aus § 35 Abs. 2, § 295 Abs. 2 InsO a.F.

Mehr zum Thema:

Rechtsprechung:
Zum Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung bei Masseunzulänglichkeit
BGH vom 24.03.2022 - IX ZB 35/21
ZIP 2022, 1121

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