16.03.2016

Fristgebundene Schriftsätze: Unzureichende Einzelanweisung des Rechtsanwalts

Eine Einzelanweisung, die das Fehlen allgemeiner organisatorischer Regelungen zur Ausgangskontrolle fristgebundener Schriftsätze ausgleichen kann, setzt voraus, dass der Rechtsanwalt für einen bestimmten Fall genaue Anweisungen erteilt, die eine Fristwahrung sicherstellen. Erschöpft sich die Einzelanweisung lediglich darin, die Art und Weise, den Zeitpunkt sowie den Adressaten der Übermittlung zu bestimmen, genügt dies nicht.

BGH 25.2.2016, III ZB 42/15
Der Sachverhalt:
Die Klägerin verlangt von dem Beklagten Schadensersatz wegen fehlerhafter Kapitalanlageberatung. Das LG wies die Klage ab. Gegen das am 19.9.2014 zugestellte Urteil legte die Klägerin mit Schriftsatz vom 18.11.2014, eingegangen beim OLG am selben Tag, Berufung ein. Zugleich begründete sie das Rechtsmittel und beantragte, ihr gegen die Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags führte die Klägerin unter Vorlage einer anwaltlichen Versicherung ihres Prozessbevollmächtigen und einer eidesstattlichen Versicherung der Rechtsanwaltsfachangestellten S im Wesentlichen Folgendes aus:

Ihr Prozessbevollmächtigter habe die Berufungsschrift am 18.10.2014 (Samstag) verfasst, vollständig ausgefertigt (Original, beglaubigte Ablichtung, Abschrift) und unterzeichnet. Sodann habe er die Handakte zusammen mit der angeklammerten Rechtsmittelschrift in den sog. "Eiltkorb" auf dem Schreibtisch der S gelegt. Da er am Tag des Fristablaufs (Montag, 20.10.2014) ganztägig büroabwesend gewesen sei, habe er auf der für die Handakte bestimmten Abschrift der Berufungsschrift handschriftlich verfügt, den Schriftsatz am 20.10.2014 an das OLG F. zu faxen und im Original per Post zu übersenden, anschließend die Frist zu streichen und schließlich die Akte zur nächsten Vorfrist wieder vorzulegen. Im "Eiltkorb" abgelegte Vorgänge genössen in der Kanzlei Vorrang vor allen anderen Arbeiten; der Korb müsse vor Arbeitsende der letzten Büroangestellten erledigt - also leer - sein. Nur die Rechtsanwälte der Sozietät dürften dort fristgebundene Einzelweisungen ablegen. Es entspreche der einheitlich geübten Büroorganisation, eine Frist erst nach erfolgter fristgemäßer Versendung des Schriftsatzes zu streichen.

Am Nachmittag des 20.10.2014 habe der Prozessbevollmächtigte mit S telefoniert und dabei auch die von ihm stammende Verfügung im "Eiltkorb" angesprochen. S habe bestätigt, diese zur Kenntnis genommen zu haben, und erklärt, dass dies bereits erledigt sei oder erledigt werde. Trotz der eindeutigen und für das Kanzleipersonal auch erkennbaren Verfügung habe die Büroangestellte die im Fristenkalender eingetragene Berufungsfrist zwar gestrichen und die für den 12.11.2014 verfügte Wiedervorlage in den Kalender eingetragen, jedoch versäumt, die ihr vorliegende Berufungsschrift zunächst per Telefax und sodann postalisch an das OLG zu senden. Stattdessen habe sie die Berufungsschrift in die Aktenlasche der Handakte gesteckt.

Bei S handele es sich um eine ausgebildete, geschulte und zuverlässige Kraft, die seit mehr als 15 Jahren als Rechtsanwaltsfachangestellte beruflich tätig sei und bislang an diversen Schulungs- und Fortbildungsveranstaltungen teilgenommen habe. In der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten erfolgten regelmäßig Kontrollen und Stichproben sowohl zur Fristenkontrolle als auch hinsichtlich des ordnungsgemäßen Postausgangs und der Umsetzung sämtlicher anwaltlicher Verfügungen. Diese hätten eine fehlerlose Ausführung sämtlicher anwaltlicher Verfügungen durch S ergeben.

Das OLG wies den Wiedereinsetzungsantrag zurück und verwarf die Berufung als unzulässig. Die Rechtsbeschwerde der Klägerin hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Die Klägerin hat nicht dargelegt und glaubhaft gemacht, dass im Büro ihres Rechtsanwalts hinreichende organisatorische Vorkehrungen getroffen wurden, die eine effektive Ausgangskontrolle gewährleisteten.

Den Darlegungen im Wiedereinsetzungsantrag lässt sich nicht entnehmen, dass eine Kanzleianweisung bestand, nach Übersendung eines fristgebundenen Schriftsatzes per Telefax die entsprechende Frist erst nach vorheriger Überprüfung des Sendeprotokolls zu streichen. Ebenso wenig ist eine Anordnung des Prozessbevollmächtigten dargetan, die sicherstellte, dass die Erledigung fristgebundener Sachen am Abend eines jeden Arbeitstags anhand des Fristenkalenders von einer dazu beauftragten Bürokraft überprüft wurde.

Es liegt auch keine hinreichend konkrete anwaltliche Einzelanweisung vor, die das Fehlen allgemeiner organisatorischer Regelungen ausgleichen könnte. Nur dann, wenn ein Rechtsanwalt für einen bestimmten Fall genaue Anweisungen erteilt, die eine Fristwahrung gewährleisten, sind diese allein maßgeblich und kommt es auf allgemeine organisatorische Vorkehrungen nicht mehr an. So ersetzt zum Beispiel die Anweisung, einen Schriftsatz sofort per Telefax zu übermitteln und sich beim Empfänger durch einen Telefonanruf über den dortigen Eingang des vollständigen Schriftsatzes zu vergewissern, alle allgemein getroffenen Regelungen einer Ausgangskontrolle, so dass sich etwa hier bestehende Defizite nicht auswirken.

Eine solche Weisung hat die Klägerin im Wiedereinsetzungsverfahren nicht behauptet. Ihr Vortrag hat sich vielmehr darin erschöpft, dass ihr Prozessbevollmächtigter auf der für die Handakte bestimmten Abschrift der Berufungsschrift verfügt habe, den Schriftsatz noch am 20.10.2014 an das OLG zu faxen, im Original per Post zu übersenden und anschließend die Frist zu streichen. Konkrete Anweisungen, die an die Stelle einer allgemeinen Ausgangskontrolle hätten treten können, wurden nicht gegeben, auch nicht bei dem Telefonat am Nachmittag des 20.10.2014, als der Prozessbevollmächtigte seine Büro-angestellte lediglich auf die Verfügung im "Eiltkorb" hinwies.

Die Einzelweisung bestand somit lediglich darin, die Art und Weise, den Zeitpunkt sowie den Adressaten der Übermittlung zu bestimmen. Sie machte eine allgemeine organisatorische Regelung zur Kontrolle der Übersendung per Telefax und die allabendliche Ausgangskontrolle fristgebundener Schriftsätze nicht entbehrlich und war nicht geeignet, etwa bestehende Kontrollmechanismen, wie die Mitarbeiter eine vollständige Übermittlung per Telefax sicherzustellen haben und unter welchen Voraussetzungen sie eine Frist als erledigt vermerken dürfen, außer Kraft zu setzen. Es entlastet den Anwalt auch nicht, wenn derartige Kontrollmechanismen nicht bestehen und er sich im konkreten Einzelfall darauf beschränkt, eine Übermittlung per Telefax anzuordnen.

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