06.04.2016

Gasversorger müssen die eigenen Bezugskosten im Interesse der Tarifkunden niedrig halten

Gasgrundversorger sind insoweit verpflichtet, die eigenen Bezugskosten im Interesse der Kunden niedrig zu halten und nach Möglichkeit die günstigste Beschaffungsalternative zu wählen. Eine erneute Vorlage an den EuGH zur Vorabentscheidung über die Auslegung der in Art. 3 Abs. 3 i.V.m. Anhang A der Gas-Richtlinie 2003/55/EG zum Schutz der Gas-Haushaltskunden enthaltenen Transparenzanforderungen ist nicht erforderlich ist, da die insoweit entscheidungserheblichen Fragen durch das EuGH-Urteil vom 23.10.2014 (Schulz und Egbringhoff) bereits geklärt sind.

BGH 6.4.2016, VIII ZR 71/10
Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist ein regionales Energie- und Wasserversorgungsunternehmen. Sie verlangte von der Beklagten, die sie als Tarifkundin (Grundversorgungskundin) leitungsgebunden mit Erdgas beliefert, die Zahlung restlichen Entgelts i.H.v. rund 2.733 € für Erdgaslieferungen in den Jahren 2005 bis 2007. Den damals von der Klägerin vorgenommenen Erhöhungen des Arbeitspreises hatte die Beklagte widersprochen - erstmals mit Schreiben aus Februar 2006. Die Klägerin machte geltend, Grund für die Preisänderungen seien jeweils Änderungen ihrer Bezugskosten gewesen. Sie habe mit den Preiserhöhungen ihre gestiegenen Bezugspreise noch nicht einmal in vollem Umfang weitergegeben.

Die Beklagte hatte die Bezugskostensteigerungen bestritten und zusätzlich geltend gemacht, die Klägerin habe diese u.a. durch die besondere Gestaltung der Vertriebsform verursacht. Die Klägerin sei an ihren Vorlieferanten als Gesellschafterin bzw. als Mitglied beteiligt; aufgrund dieser Vertriebsform würden die eigenen Bezugspreise - u.a. durch die Berechnung einer Handelsspanne - künstlich in die Höhe getrieben, während die Klägerin auf der anderen Seite an den Gewinnen der Vorlieferanten beteiligt sei. Die Klägerin bestritt eine solche Vorgehensweise. Sie habe sich lediglich mit anderen Stadtwerken zu einer Einkaufsgemeinschaft zusammengeschlossen, um - auch im Interesse ihrer Kunden - günstige Bezugspreise zu erreichen; die hierbei anfallende Handelsspanne an den Bezugskosten der Klägerin bewege sich in einer Größenordnung von lediglich rund 0,1 bis 0,2 %.

AG und LG gaben der Klage statt. Auf die Revision der Beklagten setzte der BGH das vorliegende Verfahren zunächst mit Beschluss vom 18.5.2011 aus und legte dem EuGH die Sache zur Vorabentscheidung über die Auslegung des Art. 3 Abs. 3 i.V.m. Anhang A Buchst. b und/oder c der Gas-Richtlinie 2003/55/EG vor. Dieser entschied am 23.10.2014 (C-359/11 u. C-400/11 - Schulz und Egbringhoff).

Der BGH hat daraufhin durch Urteile vom 28.10.2015 (Az.: VIII ZR 158/11 u. VIII ZR 13/12) seine Rechtsprechung zum Preisanpassungsrecht der Energieversorgungsunternehmen im Bereich der Erdgasversorgung von Tarifkunden (Gasgrundversorgung) geändert und entschieden, dass § 4 Abs. 1 u. 2 AVBGasV und der Nachfolgeregelung in § 5 Abs. 2 GasGVV a.F. ein gesetzliches Preisanpassungsrecht des Energieversorgers für die Zeit ab Juli 2004 - dem Ablauf der Umsetzungsfrist der Gas-Richtlinie 2003/55/EG - nicht (mehr) entnommen werden kann, da eine solche Auslegung nicht mit den Transparenzanforderungen der genannten Richtlinie vereinbar wäre.

Der BGH stellte zudem fest, dass sich aus der gebotenen ergänzenden Vertragsauslegung des Gaslieferungsvertrages ergibt, dass der Grundversorger Preiserhöhungen zwar nicht mehr in dem bisher nach § 4 Abs. 1, 2 AVBGasV bzw. § 5 Abs. 2 GasGVV a.F. für möglich erachteten Umfang vornehmen, aber eigene (Bezugs-)Kostensteigerungen an den Kunden weitergeben darf, soweit diese nicht durch Kostensenkungen in anderen Bereichen ausgeglichen werden, und er verpflichtet ist, bei einer Tarifanpassung Kostensenkungen ebenso zu berücksichtigen wie Kostenerhöhungen. Für Gaspreiserhöhungen, die vor dem Ablauf der oben genannten Frist zur Umsetzung der Gas-Richtlinie 2003/55/EG vorgenommen wurden, soll es hingegen bei der bisherigen Rechtsprechung bleiben, wonach im Tarifkundenverhältnis der Vorschrift des § 4 Abs. 1 u. 2 AVBGasV ein Preisänderungsrecht des Gasversorgers nach billigem Ermessen gem. § 315 BGB zu entnehmen ist.

Der BGH hat infolgedessen im vorliegenden Fall das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LG zurückverwiesen.

Die Gründe:
Der Klägerin steht für die hier streitgegenständlichen Preiserhöhungen der Jahre 2005 bis 2007 ein Recht zur Weitergabe von (Bezugs-)Kostensteigerungen zwar nicht (mehr) - wie vom LG angenommen - aus § 4 Abs. 1 u. 2 AVBGasV, aber aufgrund der gebotenen ergänzenden Auslegung des Gaslieferungsvertrages zu.

Der Senat hat in diesem Zusammenhang auch - in Fortführung seiner bereits den oben genannten Urteilen vom 28.10.2015 zugrunde liegenden Auffassung - ausdrücklich und mit eingehender Begründung entschieden, dass es entgegen der von der Beklagten vertretenen Auffassung - die von Gaskunden auch in weiteren anhängigen Verfahren vertreten wird - hinsichtlich der ergänzenden Vertragsauslegung keiner nochmaligen EuGH-Vorlage zur Vorabentscheidung über die Auslegung des Art. 3 Abs. 3 i.V.m. Anhang A der Gas-Richtlinie 2003/55/EG bedarf. Die insoweit entscheidungserheblichen Fragen sind durch die auf Vorlage des Senats ergangenen EuGH-Urteile vom 21.3.2013 (C-92/11 - RWE Vertrieb AG) und 23.10.2014 (s.o.) bereits - i.S.d. acte eclairé - eindeutig geklärt.

Das LG hatte aber keine ausreichenden Feststellungen dazu getroffen, dass die streitgegenständlichen Preiserhöhungen auf Steigerungen der (Bezugs-)Kosten der Klägerin beruhten. Es hatte das hierauf bezogene Bestreiten der Beklagten vielmehr rechtsfehlerhaft als unsubstantiiert angesehen und darüber hinaus zu Unrecht das Vorbringen der Beklagten zur Beeinflussung der Bezugskosten der Klägerin durch die Gestaltung der Vertriebsform für unerheblich gehalten. Der Klage hätte mithin nicht ohne Beweisaufnahme über die von der Klägerin behaupteten Bezugskostensteigerungen stattgegeben werden dürfen. Diese Beweiserhebung muss das LG noch nachholen.

Auch im - hier gegebenen - Fall der ergänzenden Vertragsauslegung des Tarifkundenvertrages (Grundversorgungsvertrages) gilt der Grundsatz, dass der Gasversorger verpflichtet ist, die eigenen Bezugskosten im Interesse der Kunden niedrig zu halten und nach Möglichkeit die günstigste Beschaffungsalternative zu wählen. Das Preisänderungsrecht des Gasgrundversorgers umfasst deshalb nicht die Weitergabe solcher Preiserhöhungen, die der Versorger auch unter Berücksichtigung des ihm zuzubilligenden unternehmerischen Entscheidungsspielraums ohne die Möglichkeit einer Weitergabe der Preiserhöhung an den Kunden aus betriebswirtschaftlichen Gründen vermieden hätte.

Linkhinweise:

  • Der Volltext dieser Entscheidung wird demnächst auf den Webseiten des BGH veröffentlicht.
  • Für die Pressemitteilung des BGH klicken Sie bitte hier.
BGH PM Nr. 67 vom 6.4.2016
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