18.12.2013

Gemeinden müssen Konzessionär für Stromnetz in diskriminierungsfreiem und transparentem Verfahren auswählen

Gemeinden müssen den Konzessionär für ihr Stromnetz in einem diskriminierungsfreien und transparenten Verfahren auswählen. Das gilt auch im Fall der Übertragung an einen Eigenbetrieb.

BGH 17.12.2013, KZR 65/12 u.a.
Der Sachverhalt:
Die Parteien streiten über Ansprüche auf Übereignung der Stromversorgungsnetze in schleswig-holsteinischen Gemeinden. Aufgrund Ende 2008 bis Ende 2012 ausgelaufener Konzessionsverträge war die Beklagte in diesen Gemeinden Netzbetreiber. Ihre Bewerbung um Abschluss neuer Konzessionsverträge hatte jeweils keinen Erfolg.

+++ KZR 65/12 +++
Die Klägerin dieses Verfahrens, die Stadt Heiligenhafen, entschied sich dafür, den Netzbetrieb durch einen Eigenbetrieb selbst zu übernehmen. Sie verlangt, gestützt auf § 46 Abs. 2 S. 2 EnWG a.F. sowie eine Regelung des abgelaufenen Konzessionsvertrags (Endschaftsbestimmung), von der Beklagten die Übereignung des örtlichen Stromversorgungsnetzes der allgemeinen Versorgung.

+++ KZR 66/12 +++
In diesem Verfahren haben die 36 Gemeinden der Ämter Sandesneben-Nusse und Berkenthin einen neuen Konzessionsvertrag mit der Klägerin abgeschlossen, bei der es sich um eine mittelbare Tochtergesellschaft dreier anderer Gemeinden handelt. Die Klägerin verlangt aus § 46 Abs. 2 S. 2 EnWG a.F. sowie aus abgetretenem Recht der Gemeinden die Übereignung des Netzes.

LG und OLG wiesen die Klagen ab. Das OLG verneinte die Ansprüche auf Übertragung des Netzes, weil die Neuvergaben der Konzessionen jeweils gegen § 46 EnWG a.F. und § 20 Abs. 1 GWB a.F. verstießen. Die Gemeinden hätten in einer diskriminierungsfreien Vergabeentscheidung vorrangig die Ziele des § 1 EnWG a.F. und somit in erster Linie das Niveau der erreichbaren Netzentgelte sowie die Effizienz des Bewerbers berücksichtigen müssen. Erst in zweiter Linie könnten die fiskalischen Interessen der Kommune eine Rolle spielen. Die Entscheidungen der Gemeinden für eine Rekommunalisierung genügten diesen Anforderungen nicht. Dies könne die Beklagte den Übertragungsansprüchen entgegenhalten.

Die Revisionen der Kläger hatten vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:

+++ KZR 65/12 +++
Die Beklagte kann den Überlassungsansprüchen entgegenhalten, dass die Klägerin bei der Neuvergabe des Wegerechts gegen § 46 Abs. 1 EnWG verstoßen und dadurch die Beklagte i.S.v. § 20 Abs. 1 GWB a.F. unbillig behindert hat. Die Klägerin hat das Transparenzgebot nicht beachtet, das bei der Vergabe von Wegerechten für den Netzbetrieb aus dem Diskriminierungsverbot des § 46 Abs. 1 S. 1 EnWG folgt.

Das Transparenzgebot verlangt, dass den am Netzbetrieb interessierten Unternehmen die Entscheidungskriterien der Gemeinde und deren Gewichtung rechtzeitig vor Angebotsabgabe mitgeteilt werden. Das gilt auch dann, wenn die Gemeinde den Netzbetrieb einem Eigenbetrieb übertragen will. Gemeinden können sich in diesem Zusammenhang weder auf ein "Konzernprivileg" noch auf die Grundsätze des im Vergaberecht anerkannten "In-house-Geschäfts" berufen. Das verfassungsrechtlich geschützte kommunale Selbstverwaltungsrecht wird dadurch nicht verletzt.

+++ KZR 66/12 +++
In diesem Verfahren stehen der Klägerin keine Ansprüche auf Überlassung der Netze zu, weil sie nicht "neues Energieversorgungsunternehmen" i.S.v. § 46 Abs. 2 EnWG a.F. geworden ist. Voraussetzung dafür wäre jeweils ein wirksamer Konzessionsvertrag mit den Gemeinden. Die abgeschlossenen Verträge sind jedoch nach § 134 BGB nichtig, weil die Gemeinden bei ihrer Auswahlentscheidung gegen § 20 Abs. 1 GWB a.F. verstoßen haben. Zwar haben die Gemeinden in diesem Fall das Transparenzgebot beachtet. Die bei der Auswahlentscheidung angewandten Kriterien und ihre Gewichtung müssen aber auch inhaltlich mit dem Diskriminierungsverbot des § 46 Abs. 1 EnWG in Einklang stehen. Danach ist die Auswahl vorrangig an den Zielen des § 1 EnWG (Effizienz, Verbraucherfreundlichkeit, preisgünstige und sichere Versorgung, Umweltverträglichkeit) auszurichten.

Im Übrigen bleibt der Gemeinde überlassen, sachgerechte Auswahlkriterien zu finden und zu gewichten, die einen Bezug zum Gegenstand des Konzessionsvertrags aufweisen, was eine zulässige wirtschaftliche Verwertung des Wegerechts umfasst. Diesem Maßstab genügen die Auswahlentscheidungen zugunsten der Klägerin nicht. Zwar hat das OLG einige Auswahlkriterien wie etwa den Gemeinderabatt oder eine Folgekostenübernahme zu Unrecht für unzulässig gehalten. Es hat jedoch zu Recht beanstandet, dass 70 von 170 bei der Angebotsbewertung höchstens erreichbaren Punkten auf Kriterien zum Geschäftsmodell entfielen, und zwar im Sinne von Möglichkeiten zur Ausgestaltung einer kommunalen Beteiligung an der Netzgesellschaft. Außerdem haben die Gemeinden die Ziele des § 1 EnWG nicht hinreichend berücksichtigt.

Die Zuwiderhandlung gegen § 20 Abs. 1 GWB a.F. hat die Nichtigkeit der Konzessionsverträge zur Folge, da andernfalls der vom Gesetzgeber bezweckte Wettbewerb um das Wegerecht ausgeschlossen wäre. Darauf kann sich die Beklagte berufen, weil nicht davon ausgegangen werden kann, dass sich die Klägerin auch bei einer ordnungsgemäßen Bewertung der Angebote gegenüber ihren Mitbewerbern durchgesetzt hätte. Ansprüche der Klägerin aufgrund der ihr von den Gemeinden abgetretenen Rechte aus den vertraglichen Endschaftsbestimmungen scheitern daran, dass die Beklagte ihnen nach § 404 BGB entgegenhalten kann, von den Gemeinden diskriminiert (§ 46 Abs. 1 EnWG) und unbillig behindert (§ 20 Abs. 1 GWB aF) worden zu sein.

Linkhinweis:

  • Der Volltext der Entscheidung wird demnächst auf den Webseiten des BGH veröffentlicht.
  • Für die Pressemitteilung des BGH klicken Sie bitte hier.
BGH PM Nr. 207 vom 18.12.2013
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