14.01.2015

Generalanwalt: OMT-Programm der Europäischen Zentralbank grundsätzlich mit dem AEUV vereinbar

Nach Auffassung des Generalanwalts Cruz Villalón ist das Programm der EZB für geldpolitische Outright-Geschäfte (Outright Monetary Transactions) grundsätzlich mit dem AEUV vereinbar. Diese Vereinbarkeit setzt aber voraus, dass das Programm, wenn es zur Anwendung gelangen sollte, bestimmte Bedingungen einhält.

EuGH-Generalanwalt 14.1.2015, C-62/14
Der Sachverhalt:
Nachdem sich aus der 2008 eingetretenen internationalen Wirtschaftskrise 2010 eine Staatsschuldenkrise verschiedener Staaten der Euro-Zone entwickelt hatte, führte dies im Sommer 2012 zu einem drastischen Anstieg der Risikoprämien für die Staatsanleihen dieser Staaten und so zu einer kritischen finanziellen Gesamtlage. Diese brachte die Gefahr mit sich, dass die Europäische Zentralbank (EZB) nicht länger in der Lage sein würde, die ihr obliegende Währungspolitik ordnungsgemäß durchzuführen. Infolgedessen gab die EZB bekannt, dass sie ein Programm für den Erwerb von Staatsanleihen der Staaten der Euro-Zone beschlossen habe. Dieses Programm wird abgekürzt als "OMT-Programm" bezeichnet. Allerdings wurden die Rechtsakte zur Regelung des OMT-Programms bisher nicht erlassen.

Mittels des Programms erklärte sich die EZB dazu bereit, Staatsanleihen von Staaten der Euro-Zone auf den Sekundärmärkten zu erwerben, sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind:

  • (1) Die betroffen en Staaten müssen einem Finanzhilfeprogramm der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) oder des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) unterliegen, wobei dieses Finanzhilfeprogramm die Möglichkeit vorsehen muss, dass die EFSF oder der ESM Ankäufe auf dem Primärmarkt vornehmen.
  • (2) Geschäfte im Rahmen des OMT-Programms müssen sich auf das kürzere Ende der Zinsstrukturkurve konzentrieren.
  • (3) Es gibt keine im Voraus festgelegten quantitativen Grenzen.
  • (4) Die EZB erfährt die gleiche Behandlung wie private Gläubiger.
  • (5) Die EZB verpflichtet sich zur vollständigen Sterilisierung der erzeugten Liquidität.

In Deutschland waren verschiedene Personen der Ansicht, ihre Grundrechte seien dadurch verletzt worden, dass es die Bundesregierung unterlassen habe, beim EuGH eine Nichtigkeitsklage gegen die Ankündigung des OMT-Programms einzureichen. Zudem leitete die Die Linke beim BVerfG ein Organstreitverfahren mit dem Antrag ein, den Bundestag dazu zu verpflichten, auf die Aufhebung des OMT-Programms hinzuwirken.

Um die Rechtmäßigkeit des OMT-Programms zu klären, richtete das BVerfG zum ersten Mal in seiner Geschichte ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH. Es warf darin die Frage auf, ob das OMT-Programm nicht statt einer währungspolitischen Maßnahme in Wirklichkeit eine wirtschaftspolitische Maßnahme darstelle, die außerhalb des Mandats der EZB läge. Außerdem äußerte es Zweifel daran, dass diese Maßnahme das im AEUV festgelegte Verbot der monetären Haushaltsfinanzierung von Mitgliedstaaten einhalte. So stelle es sich besorgt die Frage, welche Grenzen den Befugnissen der EZB in außergewöhnlichen Situationen wie der des Sommers 2012 gezogen seien.

Der Generalanwalt Cruz Villalón gelangte in seinem Schlussantrag zu dem Ergebnis, dass das OMT-Programm mit dem AEUV vereinbar ist, vorausgesetzt, dass dieses Programm, wenn es zur Anwendung gelangen sollte, unter zeitlichen Umständen durchgeführt wird, die tatsächlich die Bildung eines Marktpreises für die Staatsschuldtitel ermöglichen.

Gründe:
Die Konzipierung und Durchführung der Währungspolitik liegen in der ausschließlichen Zuständigkeit der EZB. Zur Erfüllung ihrer Aufgabe verfügt die EZB über technische Kenntnisse und wertvolle Informationen, die es ihr, im Zusammenwirken mit ihrem Ansehen und ihrer Kommunikationspolitik, ermöglichen, mit vorhandenen Erwartungen der Marktteilnehmer so umzugehen, dass die geldpolitischen Impulse tatsächlich die Wirtschaft erreichen. Zu diesem Zweck muss die EZB über ein weites Ermessen verfügen und die Gerichte haben ihre Kontrolle der Tätigkeit der EZB mit einem erheblichen Maß an Zurückhaltung vorzunehmen.

Das OMT-Programm stellt bislang eine unvollendete Maßnahme ist, da sein formaler Erlass noch aussteht und es auch noch in keinem konkreten Fall angewandt wurde. Die Prüfung des OMT-Programms muss daher auf dieser Grundlage erfolgen. Da man angesichts der bedeutenden Rolle der EZB unter bestimmten Umständen zu dem Schluss gelangen könnte, dass ihr Handeln über eine bloße "Unterstützung" der Wirtschaftspolitik hinausgeht, muss sich die EZB im Fall einer Anwendung des OMT-Programms, damit dieses seinen Charakter als eine währungspolitische Maßnahme wahrt, jeder direkten Beteiligung an dem für den betroffenen Staat geltenden Finanzhilfeprogramm enthalten.

Außerdem muss die EZB den Erlass einer unkonventionellen Maßnahme wie des OMT-Programms angemessen begründen. Hierfür muss sie mit Klarheit und Genauigkeit die außergewöhnlichen Umstände darlegen, die diese Maßnahme rechtfertigen. Da eine solche Begründung bisher nicht vorliegt, müssen, wenn das OMT-Programm zur Anwendung gelangen sollte, sowohl der ihm seine Form gebende Rechtsakt als auch seine Durchführung die genannten Anforderungen an die Begründungspflicht erfüllen.

Das OMT-Programm verletzt, so wie es sich aus den in der bisher vorliegenden Pressemitteilung dargelegten technischen Merkmalen ergibt, nicht den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und kann als rechtmäßig angesehen werden. Voraussetzung ist auch hier, dass die EZB, wenn das Programm zur Anwendung gelangen sollte, die Begründungspflicht und die Erfordernisse, die sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergeben, streng einhält.

Hinsichtlich der zweiten zur Vorabentscheidung vorgelegten Frage - betreffend das im AEUV enthaltene Verbot der monetären Haushaltsfinanzierung - war geprüft worden, ob das OMT-Programm damit, dass es der EZB Ankäufe von Anleihen der Mitgliedstaaten der Euro-Zone auf dem Sekundärmarkt gestattet, das im AEUV festgelegte Verbot verletzt, unmittelbar Schuldtitel von den Mitgliedstaaten zu erwerben. Dieses Verbot bildet eine fundamentale Regel des "Verfassungsrahmens" der Wirtschafts- und Währungsunion, deren Ausnahmen daher restriktiv auszulegen sind. Der AEUV verbietet Geschäfte auf dem Sekundärmarkt nicht (weil andernfalls dem Eurosystem ein unverzichtbares Werkzeug für die ordnungsgemäße Durchführung der Währungspolitik genommen würde), aber er verlangt, dass die EZB, wenn sie auf diesem Markt tätig wird, dies mit hinreichenden Garantien verbindet, durch die sichergestellt wird, dass ihre Intervention mit dem Verbot der monetären Finanzierung vereinbar bleibt.

Die EZB wird, obgleich eine Durchführung des OMT-Programms Investoren in gewissem Umfang zum Kauf von Anleihen auf dem Primärmarkt veranlassen wird, bei ihrer Intervention auf dem Sekundärmarkt mit besonderer Vorsicht vorgehen, um Spekulationsgeschäften vorzubeugen, durch die die Wirksamkeit des OMT-Programms vereitelt würde. Wesentlich ist, dass dieser Anreiz zu Anleihekäufen im Hinblick auf die Ziele der Maßnahme nicht unverhältnismäßig ist. Das OMT-Programm ist, um das Verbot der monetären Finanzierung einzuhalten, gegebenenfalls so durchzuführen, dass sich für die Staatsanleihen ein Marktpreis bildet, so dass die tatsächliche Unterscheidung zwischen einem Anleihekauf auf dem Primärmarkt und einem Erwerb auf dem Sekundärmarkt erhalten bleibt (da ein Erwerb auf dem Sekundärmarkt nur Sekunden nach der Emission einer Staatsanleihe auf dem Primärmarkt die Grenze zwischen beiden Märkten verwischen könnte).

Linkhinweis:

Für den auf den Webseiten des EuGH veröffentlichten Volltexte der Schlussanträge klicken Sie bitte hier.

EuGH PM Nr. 2 v. 14.1.2015
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