14.11.2011

Infrastrukturentgelte für Schienennetze unterliegen der Billigkeitskontrolle

Eisenbahninfrastrukturunternehmen müssen die Entgelte für die Benutzung ihrer Schienennetze durch Eisenbahnverkehrsunternehmen - bei Beachtung der eisenbahnrechtlichen Entgeltgrundsätze - nach billigem Ermessen i.S.d. § 315 BGB festsetzen. Die Darlegungs- und Beweislast für die tatsächlichen Voraussetzungen der Billigkeit trägt derjenige, dem das Leistungsbestimmungsrecht eingeräumt ist, also das Eisenbahninfrastrukturunternehmen.

BGH 18.10.2011, KZR 18/10
Der Sachverhalt:
Bei der Beklagten handelt es sich um die DB Netz AG, eine Tochtergesellschaft der Deutsche Bahn AG. Sie ist ein Eisenbahninfrastrukturunternehmen i.S.d. § 2 Abs. 1 AEG und unterhält nahezu das gesamte Schienennetz in Deutschland. Die Bedingungen des Netzzugangs einschließlich der Entgeltgrundsätze legt die DB Netz gem. § 4 EIBV in ihren Schienennetz-Benutzungsbedingungen fest. Auf deren Grundlage schließt sie mit den an einem Netzzugang interessierten Eisenbahnverkehrsunternehmen, zu denen auch die Klägerin gehört, Infrastrukturnutzungsverträge.

Diese Verträge sind wiederum Grundlage für die über die konkrete Trassennutzung abzuschließenden Einzelnutzungsverträge. Die Entgelte für ihre Leistungen setzt die DB Netz in Trassenpreislisten i.S.d. § 4 Abs. 2 S. 2, § 21 Abs. 7 EIBV fest, die jeweils für eine Netzfahrplanperiode gelten. Im Dezember 2007 erhöhte die DB Netz die Entgelte, die ein Eisenbahnverkehrsunternehmen für eine Stornierung einer Trassenbestellung zahlen muss. Die Klägerin widersprach der Erhöhung.

LG und OLG gaben der Klage auf Feststellung, dass die Erhöhung der Stornierungsentgelte unbillig ist und auf das Vertragsverhältnis der Parteien keine Auswirkungen hat, statt. Die Revision der Beklagten vor dem BGH blieb erfolglos.

Die Gründe:
Der von der Beklagten verlangte Preis für Stornierungen ist gem. § 315 Abs. 3 BGB für die Klägerin unverbindlich.

Der § 315 BGB ist auch in Fällen wie hier anwendbar, in denen sich die Parteien bei Vertragsschluss über den Preis nicht einigen konnten, den Vertrag aber dennoch durchgeführt haben, weil keine oder keine zumutbare Alternative zur Verfügung stand. Die Anwendung des § 315 BGB ist durch die Regelungen des AEG und der EIBV nicht ausgeschlossen. Die Maßstäbe des eisenbahnrechtlichen Regulierungsrechts decken sich nicht vollständig mit dem Begriff der Billigkeit in § 315 BGB.

Der Zweck des Regelungssystems besteht nach § 1 Abs. 1 S. 1, § 14 Abs. 1 S. 1 AEG darin, den Eisenbahnverkehrsunternehmen einen diskriminierungsfreien Zugang zur Eisenbahninfrastruktur zu ermöglichen und auf diese Weise ein betriebssicheres, attraktives und wettbewerbskonformes Verkehrsangebot auf der Schiene zu gewährleisten. Der Maßstab der Billigkeit in § 315 BGB bezieht sich dagegen auf die Interessenlage der Parteien unter Berücksichtigung des Vertragszwecks und der Bedeutung der Leistung, deren angemessener Gegenwert zu ermitteln ist. Dieser Maßstab wird zwar durch die eisenbahnrechtlichen Entgeltbemessungsgrundsätze konkretisiert. Dennoch verbleibt ein eigenständiger Anwendungsbereich für § 315 BGB, der es geboten erscheinen lässt, diese Norm neben dem öffentlich-rechtlichen Eisenbahnrecht anzuwenden.

Somit waren die Entgelte für die Benutzung der Eisenbahninfrastruktur gem. § 315 Abs. 1 BGB nach billigem Ermessen festzusetzen. Die Darlegungs- und Beweislast für die tatsächlichen Voraussetzungen der Billigkeit trägt derjenige, dem das Leistungsbestimmungsrecht eingeräumt ist, hier also die DB Netz. Und diesbezüglich hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die DB Netz die Tatsachen, aus denen sich die Billigkeit der Stornierungsentgelte ergeben soll, nicht in ausreichender Weise dargelegt hatte. Der Sachvortrag war nicht geeignet, eine Überprüfung der von der Beklagten festgesetzten Stornierungsentgelte anhand des Merkmals des billigen Ermessens zu ermöglichen. Es fehlten Angaben zu dem Umfang der Weitervermarktung stornierter Trassen und den daraus erzielten Umsätzen wie auch zu den infolge der Stornierung ersparten Aufwendungen und einem damit verbundenen Verwaltungsmehraufwand. Dazu hätte die Beklagte ihre Preiskalkulation insoweit offenlegen müssen.

Linkhinweis:

  • Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des BGH veröffentlicht.
  • Um direkt zum Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.
BGH online
Zurück