Inkongruente Deckung bei Zahlungsaufforderung in "freundlichem" Ton
BGH v. 22.5.2025 - IX ZR 80/24Das Insolvenzgericht eröffnete auf einen Eigenantrag vom 5.6.2020 am 1.8.2020 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der D. GmbH (Schuldnerin) und bestellte den Kläger zum Insolvenzverwalter. Die Schuldnerin war mit der Zahlung ihrer mtl. - jeweils am drittletzten Bankarbeitstag - fälligen Sozialversicherungsbeiträge für den Monat Februar 2020 bei der Beklagten in Rückstand geraten. Am 3.3.2020 erließ die Beklagte einen Beitragsbescheid mit dem Betreff "Bitte denken Sie an Ihre Beitragszahlung". Dieser enthielt eine Aufforderung zur Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge für Februar 2020 nebst Säumniszuschlag und Mahngebühren i.H.v. insgesamt rd. 29.100 € bis zum 12.3.2020 und ging der Schuldnerin am 5.3.2020 zu. In dem formularmäßigen Schreiben hieß es auszugsweise:
"[...] die Sozialversicherungsbeiträge für Ihr Beitragskonto sind bisher nicht oder nicht vollständig bei uns eingegangen. Bitte überweisen Sie den Gesamtbetrag bis zum 12.3.2020 auf unser folgendes Konto und geben Sie dabei unbedingt den Verwendungszweck an. Andernfalls müssten wir die Beiträge im Rahmen der Zwangsvollstreckung einziehen lassen. Dies wäre mit weiteren Kosten für Sie verbunden. Sollten Sie die Beiträge bereits gezahlt haben, gleichen Sie bitte noch die Säumniszuschläge und die Mahngebühren aus. [...] Unsere Übersicht vom 3.3.2020 zeigt Ihnen, welche Beiträge noch offen sind. [...] Die monatlichen Beiträge gelten dann als rechtzeitig gezahlt, wenn sie unserem Konto spätestens am drittletzten Bankarbeitstag des laufenden Monats gutgeschrieben sind. [...] Gehen Ihre Beiträge verspätet bei uns ein, sind wir verpflichtet, einen Zuschlag zu erheben. Dieser beträgt für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Prozent der auf volle 50 EUR nach unten abgerundeten ausstehenden Beiträge. [...] Gern bieten wir Ihnen an, die Beiträge von Ihrem Konto abzubuchen. So versäumen Sie keinen Termin und eventuelle Beitragsänderungen berücksichtigen wir automatisch. [...] Wenn Sie mit diesem Bescheid nicht einverstanden sind, beachten Sie bitte unseren Hinweis am Ende des Schreibens. [...]" Der anschließende Hinweis enthielt eine Rechtsmittelbelehrung zum Widerspruch.
Die Schuldnerin zahlte am 17.3.2020 einen Betrag i.H.v. insgesamt rd. 30.400 € auf den Monatsbeitrag für Februar 2020 an die Beklagte. Der Kläger nimmt die Beklagte im Wege der Deckungsanfechtung wegen Inkongruenz auf Rückerstattung dieses Betrags nebst Zinsen an die Masse in Anspruch.
LG und OLG wiesen die Klage ab. Auf die Revision des Klägers hob der BGH den Beschluss des OLG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Mit der Begründung des OLG können die Voraussetzungen einer Anfechtung gem. § 129 Abs. 1, § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO nicht verneint werden. Danach ist eine die Gläubiger benachteiligende Rechtshandlung anfechtbar, die einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht hat, die er nicht oder nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte, wenn die Handlung innerhalb des zweiten oder dritten Monats vor dem Eröffnungsantrag vorgenommen worden ist und der Schuldner zur Zeit der Handlung zahlungsunfähig war.
Zu der zwischen den Parteien umstrittenen Frage, ob die Schuldnerin im Zeitpunkt der Zahlung zahlungsunfähig war, hat das OLG keine Feststellungen getroffen. Davon ist revisionsrechtlich mithin auszugehen. Die zeitlichen Voraussetzungen einer Anfechtung nach § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO stehen außer Frage. Entgegen der Annahme des OLG erfolgte die Zahlung der Schuldnerin an die Beklagte aufgrund des Bescheids vom 3.3.2020 auch unter unmittelbarem Vollstreckungsdruck und ist daher nach der Rechtsprechung des BGH als inkongruent einzuordnen.
Denn eine Zahlung des Schuldners an einen Sozialversicherungsträger in dem Zeitraum von drei Monaten vor Insolvenzantragstellung erfolgt nach seiner objektivierten Sicht unter dem Druck einer unmittelbar bevorstehenden Zwangsvollstreckung und ist damit inkongruent, wenn der Gläubiger zuvor eine Frist zur Zahlung des fälligen Beitrags gesetzt und für den Fall nicht fristgemäßer Zahlung die ohne weiteres mögliche Zwangsvollstreckung angekündigt hat. Daran ändert vorliegend auch die "freundliche" Formulierung des Bescheids einschließlich des Betreffs, der zunächst an eine bloße erste Zahlungserinnerung denken lassen mag, ebenso wenig etwas wie der Umstand, dass Fristsetzung und Vollstreckungsandrohung in einen längeren Text eingekleidet sind.
Kommentierung | InsO
§ 131 Inkongruente Deckung
Thole in Kayser/Thole, Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung, 11. Aufl. 2023
Rechtsprechung
Berücksichtigung einer im zweiten oder dritten Monat vor Antragstellung in inkongruenter Weise befriedigten Forderung bei Prüfung der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners
BGH vom 09.01.2025 - IX ZR 41/23
Julian Spruytenburg / Matthias Klefisch, ZIP 2025, 948
ZIP0077927
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