28.06.2012

Insider-Informationen: Auch Zwischenschritt kann "präzise Information" sein (hier: Ausscheiden von Daimler-Chef Schrempp)

Ein Zwischenschritt, der einer Entscheidung eines börsennotierten Unternehmens vorausgeht, kann eine Insider-Information darstellen, über die die Finanzmärkte informiert werden müssen. Denn ein Zwischenschritt eines zeitlich gestreckten Vorgangs kann selbst eine Reihe von Umständen oder ein Ereignis in dem diesen Begriffen im Allgemeinen zugeschriebenen Sinn darstellen.

EuGH 28.6.2012, C-452/10 P
Hintergrund:
Um die Integrität der Finanzmärkte der EU sicherzustellen und das Vertrauen der Anleger in diese Märkte zu stärken, verbietet die EU-Richtlinie 2003/61 Insider-Geschäfte und verpflichtet Emittenten von Finanzinstrumenten, Insider-Informationen, die sie unmittelbar betreffen, so bald als möglich der Öffentlichkeit bekannt zu geben. Eine "Insider-Information" wird definiert als eine (i) präzise und (ii) nicht öffentlich bekannte Information, (iii) die direkt oder indirekt ein oder mehrere Finanzinstrumente oder deren Emittenten betrifft und (iv) geeignet wäre, wenn sie öffentlich bekannt würde, den Kurs dieser Finanzinstrumente oder den Kurs sich darauf beziehender derivativer Finanzinstrumente erheblich zu beeinflussen.

In der Richtlinie 2003/1242 wird der Begriff "präzise Information" genauer definiert. Demnach muss mit der Information insbes. eine Reihe von Umständen gemeint sein, die bereits existieren oder bei denen man mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen kann, dass sie in Zukunft existieren werden, oder ein Ereignis, das bereits eingetreten ist oder mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in Zukunft eintreten wird.

Der Sachverhalt:
Der BGH ersucht vorliegend den EuGH, den Begriff "präzise Information" näher zu erläutern. Der BGH ist mit einem Rechtsstreit zwischen dem Kläger, Herrn Geltl, und der beklagten Daimler AG befasst. Das Verfahren betrifft den Schaden, der dem Kläger dadurch entstanden sein soll, dass die Beklagte Informationen über das vorzeitige Ausscheiden ihres Vorstandsvorsitzenden, Jürgen Schrempp, verspätet veröffentlicht habe.

Am 28.7.2005 stieg nämlich nach der Veröffentlichung der an diesem Tag getroffenen Entscheidung des Aufsichtsrats von Daimler, wonach Schrempp zum Jahresende aus seinem Amt ausscheiden und Dieter Zetsche seinen Posten übernehmen sollte, der Kurs der Aktien von Daimler stark an. Der Kläger hatte seine Aktien dieses Unternehmens jedoch bereits zuvor verkauft.

Der BGH wirft insbes. die Frage auf, ob eine präzise Information bzgl. des Ausscheidens von Jürgen Schrempp aus dem Amt schon vor der Entscheidung des Aufsichtsrats vom 28.7.2005 bestehen konnte. Am 17.5.2005 hatte Schrempp nämlich seine Absicht, aus dem Amt zu scheiden, bereits mit dem Vorsitzenden des Aufsichtsrats erörtert, und im Anschluss daran wurden weitere Mitglieder des Aufsichtsrats und des Vorstands ebenfalls darüber informiert.

Die Gründe:
Bei einem zeitlich gestreckten Vorgang, bei dem ein bestimmter Umstand verwirklicht oder ein bestimmtes Ereignis herbeigeführt werden soll, können nicht nur dieser Umstand oder dieses Ereignis präzise Informationen i.S.d. genannten Bestimmungen sein, sondern auch die mit der Verwirklichung des Umstands oder Ereignisses verknüpften Zwischenschritte dieses Vorgangs. Denn ein Zwischenschritt eines zeitlich gestreckten Vorgangs kann selbst eine Reihe von Umständen oder ein Ereignis in dem diesen Begriffen im Allgemeinen zugeschriebenen Sinn darstellen. Diese Auslegung gilt nicht nur für Schritte, die bereits existieren oder eingetreten sind, sondern betrifft auch Schritte, bei denen man mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen kann, dass sie in Zukunft existieren oder eintreten werden.

Bei jeder anderen Auslegung bestünde die Gefahr einer Beeinträchtigung der Ziele der Richtlinie, die darin bestehen, die Integrität der Finanzmärkte der Union sicherzustellen und das Vertrauen der Anleger in diese Märkte zu stärken. Wäre nämlich ausgeschlossen, dass eine Information, die einen Zwischenschritt eines zeitlich gestreckten Vorgangs betrifft, präziser Natur sein kann, würde die Verpflichtung, diese Information der Öffentlichkeit bekannt zu geben, entfallen, auch wenn sie ganz spezifischen Charakter hätte und die übrigen Tatbestandsmerkmale einer Insider-Information ebenfalls vorlägen. In einer solchen Situation könnten sich bestimmte Inhaber dieser Information in einer günstigeren Position als die anderen Anleger befinden und daraus zum Nachteil derjenigen, die die Information nicht kennen, Nutzen ziehen.

Wenn in der Richtlinie von einer Reihe von Umständen oder einem Ereignis die Rede ist, bei denen man mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen kann, dass sie in Zukunft existieren oder eintreten werden, sind damit künftige Umstände oder Ereignisse gemeint, bei denen eine umfassende Würdigung der bereits verfügbaren Anhaltspunkte ergibt, dass tatsächlich erwartet werden kann, dass sie in Zukunft existieren oder eintreten werden. Der Nachweis einer hohen Wahrscheinlichkeit der in Rede stehenden Umstände oder Ereignisse ist daher nicht erforderlich. Auch muss das Ausmaß der Auswirkung auf den Kurs der betroffenen Finanzinstrumente bei der Auslegung dieser Wendung nicht berücksichtigt werden.

Linkhinweis:

Für den auf den Webseiten des EuGH veröffentlichten Volltext der Entscheidung klicken Sie bitte hier.

EuGH PM Nr. 90 vom 28.6.2012
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