29.04.2020

Interpretation mehrdeutiger Äußerungen muss kenntlich gemacht werden

Kann eine Äußerung unterschiedlich gedeutet werden, ist derjenige, der die Äußerung in einer Veröffentlichung wiedergibt, verpflichtet, die eigene Deutung der Äußerung durch einen Interpretationsvorbehalt kenntlich zu machen. Wenn dies nicht geschieht, ist er zum Unterlassen verpflichtet.

OLG Frankfurt a.M. v. 16.4.2020 - 16 U 9/20
Der Sachverhalt:
Die Klägerin (Renate Künast) ist Mitglied des Deutschen Bundestags. Sie nimmt den Beklagten auf Unterlassung in Anspruch. Der Beklagte hatte eine Werbeanzeige in Form eines sog. SharePic auf Facebook gepostet. Das SharePic zeigte den Kopf der Klägerin in sprechender Pose mit dem Text: "Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist, ist Sex mit Kindern doch ganz o. k. Ist mal gut jetzt."

Das LG gab der Klage statt und verurteilte den Beklagten, es zu unterlassen, durch diese Darstellung den Eindruck zu erwecken, dass die Klägerin den dort angegebenen Text wörtlich gesagt habe. Die Berufung des Beklagten hatte vor dem OLG keinen Erfolg. Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.

Die Gründe:
Wenn - wie hier - unterschiedliche Deutungen möglich sind, ist der Zitierende verpflichtet, die eigene Deutung einer Äußerung durch einen Interpretationsvorbehalt als solche kenntlich zu machen. Dies ist vorliegend nicht geschehen.

Es handelt sich vorliegend um eine Tatsachenbehauptung und nicht allein eine Meinungsäußerung. Der Beklagte hat den Eindruck erweckt, dass er die Klägerin wörtlich zitiert. So sei die Klägerin mit ihrem Kopf und einem zum Sprechen geöffneten Mund dargestellt worden; auch der Beginn des Textes mit dem Wort "Komma" und die umgangssprachliche Ausdrucksweise unterstrichen diesen Eindruck. Der oberhalb des SharePic vorhandene Verweis auf einen Artikel in der "Welt" ist angesichts der Plakativität und Auffälligkeit der Darstellung nicht geeignet, der Darstellung ein abweichendes Verständnis zu geben.

Diese Darstellung beeinträchtigt das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin. Der Eindruck, es handele sich um ein Zitat, ist tatsächlich unzutreffend. Dabei wirkt der grundrechtliche Schutz auch gegenüber unrichtigen, verfälschten oder entstellten Wiedergaben einer Äußerung - wie hier. Mit einem Zitat wird nicht eine subjektive Meinung des Kritikers zur Diskussion gestellt, sondern eine objektive Tatsache über den Kritisierten behauptet. Deswegen ist das Zitat, das als Belegkritik verwendet wird, eine besonders scharfe Waffe im Meinungskampf. Hier ist der Eindruck, es handele sich um ein Zitat der Klägerin, bereits deshalb unzutreffend, da die Klägerin die angegriffene Äußerung in der dargestellten Form nicht getätigt hat. Sie hat lediglich die Worte "Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist" geäußert.

Ohne Erfolg verweist der Beklagte darauf, dass er den Einwurf der Kläger in einer öffentlichen Debatte so wiedergebe, wie er von der Öffentlichkeit wahrgenommen worden sei. Vielmehr liegt bereits dann eine unrichtige Wiedergabe vor, wenn der Eindruck erweckt wird, der Zitierte habe sich eindeutig in einem bestimmten Sinn geäußert, obwohl mehrere Interpretationen möglich sind und nicht kenntlich gemacht wird, dass es sich hier nur um eine Interpretation einer mehrdeutigen Aussage handelt. Maßgeblich ist dabei nicht das vertretbare Verständnis eines Durchschnittslesers. Es kommt vielmehr darauf an, was der Zitierte gemessen an seiner Wortwahl, dem Kontext seiner Gedankenführung und dem darin erkennbar gemachten Anliegen zum Ausdruck gebracht hat.

Hier hat die Klägerin lediglich die Worte "Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist" geäußert. Dies ist für sich gesehen inhaltsleer und kann allein im Zusammenhang einen Sinn erhalten. Die hier streitgegenständliche Äußerung sei im Rahmen einer Sitzung 1986 gefallen, in welcher die damalige Rednerin der Grünen von einem CDU-Abgeordneten gefragt worden ist, wie sie zu einem Beschluss der Grünen in NRW stehe, die Strafandrohung gegen sexuelle Handlungen an Kindern aufzuheben. Dies hat die Klägerin zu dem zitierten Einwurf veranlasst. Ihr Einwurf ist zumindest mehrdeutig. Zwar hat die "Welt" in dem verlinkten Artikel die Frage aufgeworfen, "klingt das nicht, als wäre Sex mit Kindern ohne Gewalt o.k.?" Der Einwurf kann aber auch dahingehend verstanden werden, dass die Klägerin lediglich den Inhalt des angesprochenen Beschlusses klarstellen wollte. Dafür spricht, dass sie mit der Formulierung "Komma" zu erkennen gab, an die Äußerung des CDU-Abgeordneten anschließen und sie vervollständigen zu wollen; eine inhaltliche Positionierung ist damit nicht zwangsläufig verbunden.
OLG Frankfurt a.M. PM Nr. 31 vom 28.48.2020
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