12.01.2016

Irreführende Werbung: Zur Relevanz der hervorgerufenen Fehlvorstellung für die geschäftliche Entscheidung

Auch eine unzutreffende Blickfangangabe in einer Werbeanzeige führt nicht zu einer relevanten Irreführung, wenn sie den Werbeadressaten zwar zu einer weiteren Befassung mit der Anzeige veranlasst, dieser sich jedoch vor einer "geschäftlichen Entscheidung" mit dem weiteren Anzeigeninhalt befasst und den wahren Sachverhalt erkennt. Ein derartiger Fall kann auch vorliegen, wenn die Blickfangangabe allein noch keine konkrete Vorstellung von dem beworbenen Produkt vermittelt und aus diesem Grund vor einer "geschäftlichen Entscheidung" eine weitere Befassung mit dem Anzeigeninhalt erforderlich ist.

OLG Frankfurt a.M. 23.11.2015, 6 W 99/15
Der Sachverhalt:
Die Parteien gehören zu den führenden Wettbewerbern im Bereich der Telekommunikation. Die Antragstellerin bietet unter der Bezeichnung "Magenta Eins" ihren Kunden die Möglichkeit an, Festnetz- und Mobilfunkdienstleistungen durch den Abschluss von Paketverträgen mit entsprechenden Preisvorteilen zu kombinieren. Seit September 2015 bietet die Antragsgegnerin ein neues Produkt mit dem Namen "Family Card Start" an, das als Zweitkarte zu einem bestehenden Telekom Mobilfunklaufzeitvertrag hinzugebucht werden kann. Dieses Angebot, das u.a. eine Flatrate für Telefonate ins Mobilfunknetz der Antragsgegnerin und eine Flatrate zu einer persönlichen Zielfunknummer enthält, richtet sich an Eltern, deren Kinder neu in die Mobilfunkwelt einsteigen.

Die Antragsgegnerin hat diesen neuen Tarif durch Printanzeigen, Internetwerbung und in einem TV Spot beworben. Die mehrseitigen Werbeanzeigen sind auf der ersten Seite mit der Überschrift "Eins für den Start" und der Angabe "Wir begleiten den mobilen Start ihres Kindes", auf der zweiten Seite mit der Angabe "Kann mein Kind mich ohne Handyguthaben erreichen?" und auf der dritten Seite wie nachfolgend ausgestaltet: Die Angabe "Bei Magenta Eins inclusive" befindet sich in einem blauen Feld mit weißer Schrift. Hinter den in der nächsten Überschriftzeile am Ende enthaltenen Worten "die mitwächst" befindet sich eine Fußnote 1, die am unteren Rand der Anzeige u.a. mit folgendem Text aufgelöst wird:

1) Einmaliger Kartenpreis: 9,95 €. Monatlicher Grundpreis Family Card Start: 2,95 €, die Family Card Start (buchbar zu einem bestehenden Telekom Mobilfunk Laufzeitvertrag von mind. 29,95 €/Monat) ist für Magenta Eins Kunden inklusive. Magenta Eins setzt das Bestehen eines Festnetz- und Mobilfunklaufzeitvertrages voraus. Gespräche und SMS ins dt. Festnetz und andere deutsche Mobilfunknetze kosten 0,09 €/Minute bzw. 0,09 €/SMS.

Die Antragstellerin wirft der Antragsgegnerin vor, mit der dargestellten Printwerbung und mit ihrer Internet- und TV - Werbung dem angesprochenen Publikum vorzuspiegeln, dass "Magenta Eins" das beworbene Produkt "Family Card Start" beinhalte und dass ein Magenta Eins - Kunde dieses Produkt mithin automatisch und ohne zusätzliche Kosten erhalte. Tatsächlich müsse auch ein Magenta Eins - Kunde die Aktivierungsgebühr und die zusätzlichen Verbindungsentgelte zahlen; sein einziger Vorteil sei der Erlass der mtl. Grundgebühr i.H.v. 2,95 €.

Das LG untersagte durch einstweilige Verfügung die Internet- und die TV-Werbung und wies den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung im Übrigen zurück. Die im Blickfang stehende Aussage "Bei Magenta Eins inclusive" werde durch den Hinweis in der Fußnote hinreichend erläutert. Die Beschwerde der Antragstellerin hatte vor dem OLG keinen Erfolg.

Die Gründe:
Der Antragstellerin stehen keine weitergehenden Unterlassungsansprüche gegen die Antragsgegnerin zu, weil die in den Werbeanzeigen angegriffene Aussage "Bei Magenta Eins inklusive" nicht zu einer Irreführung führt.

Der BGH hat bereits entschieden (BGH 18.12.2014, I ZR 129/13), dass eine objektiv unzutreffende Aussage, die blickfangmäßig herausgestellt ist, auch ohne einen Sternchenhinweis aufgeklärt werden kann, wenn sich der Verbraucher vor einer geschäftlichen Entscheidung mit dem gesamten Text befassen wird. Die Entscheidung des Verbrauchers, sich mit einem beworbenen Angebot in einer Werbeanzeige überhaupt näher zu befassen, ist für sich gesehen noch keine geschäftliche Entscheidung, weil ihr der unmittelbare Zusammenhang mit einem Erwerbsvorgang fehlt.

Demzufolge müssen vorliegend sämtliche Angaben der Werbeanzeige einschließlich der Erläuterungen in der Fußnote bei der Ermittlung der Verkehrserwartung berücksichtigt werden. Die Werbeanzeigen sind so gestaltet, dass der Verbraucher durch die blickfangmäßig hervorgehobene Aussage bzw. durch den vorangestellten oder in der Nähe des Blickfangs dargestellten Text noch gar keine Vorstellung davon erhält, welches Produkt überhaupt beworben wird und sich deshalb mit der kurzen und übersichtlich gestalteten Werbeanzeige beschäftigen wird. Ein Interessent, der durch die Vorderseiten des Angebots und/oder durch die blickfangmäßig hervorgehobene Aussage "Bei Magenta Eins inklusive" angelockt wird, weiß zunächst noch gar nicht, was bei "Magenta Eins" inklusive sein soll. Er muss erst weiter lesen, um sich überhaupt eine Vorstellung von dem Angebot machen zu können.

Wenn sich der Interessent mit der Werbeanzeige beschäftigt, so stößt er unmittelbar auf die unter dem Blickfang angebrachte Überschrift "Mit der Handykarte, die mitwächst", unter der verschiedene Leistungen dieser Karte aufgeführt sind. Die hinter dem Wort "mitwächst" angebrachte Fußnote stellt sich erkennbar als Auflösung des Angebots der bis dahin nicht konkret bezeichneten "Handykarte" dar. Ein Verbraucher wird unter diesen Umständen eine geschäftliche Entscheidung erst dann treffen können, wenn er den gesamten Text der Werbeanzeige einschließlich des Fußnotentextes zur Kenntnis genommen hat. Im Fußnotentext wird erstmals der Produktname "Family Card Start" genannt und zugleich hinreichend klargestellt, dass "Magenta Eins - Kunden" lediglich von der mtl. Grundgebühr, nicht aber von der Aktivierungsgebühr und von weiteren Telefonkosten befreit sind.

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