12.09.2022

Kapitalanleger-Musterverfahren: Vorrang der spezialgesetzlichen Prospekthaftung - Zuständigkeit des XI. Senats

Zum Vorrang der spezialgesetzlichen Prospekthaftung und zur Zuständigkeit des XI. Senats, hierüber zu entscheiden.

BGH v. 19.7.2022 - XI ZB 32/21
Der Sachverhalt:
Die Parteien streiten im Rahmen eines Verfahrens nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) darüber, ob der bei der Emission des Fonds H. im April 2009 aufgestellte Prospekt fehlerhaft ist und ob die Musterbeklagten hierfür aufgrund sog. bürgerlich-rechtlicher Prospekthaftung im weiteren Sinne in Anspruch genommen werden können.

Gegenstand des Fonds ist die Beteiligung an vier Kommanditgesellschaften (E. GmbH & Co. KG; im Folgenden: Schiffsgesellschaften), die jeweils in den Neubau eines Massengutschiffs investieren sollten.

Seit dem Jahr 2018 haben zahlreiche Anleger Klagen gegen die Musterbeklagten erhoben. In diesen Klageverfahren verlangen sie von den Musterbeklagten Schadensersatz wegen vorvertraglicher Aufklärungspflichtverletzungen im Zusammenhang mit der Beteiligung an den Schiffsgesellschaften nach den Grundsätzen der Prospekthaftung im weiteren Sinne.

Das LG legte dem OLG Feststellungsziele zum Zweck der Herbeiführung eines Musterentscheids vor. Mit ihnen wird geltend gemacht, dass der Prospekt in mehrfacher Hinsicht fehlerhaft sei (Feststellungsziel I) und dass die Musterbeklagten für die Richtigkeit und Vollständigkeit des Emissionsprospekts im Wege der Prospekthaftung im weiteren Sinne verantwortlich seien; insoweit sei hierfür nicht Voraussetzung, dass sie mit den Anlageinteressenten bei Vertragsanbahnung in sozialen Kontakt getreten seien oder ihnen auch nur namentlich bekannt gewesen sein müssten (Feststellungsziel II).

Das OLG wies das Feststellungsziel II als unbegründet zurück und stellte fest, dass die Feststellungsziele I gegenstandslos sind. Die dagegen eingelegte Rechtsbeschwerde hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das OLG hat zu Recht das Feststellungsziel II wegen des Vorrangs der spezialgesetzlichen Prospekthaftung als unbegründet zurückgewiesen und den Vorlagebeschluss hinsichtlich der Feststellungsziele I für gegenstandslos gehalten.

Durch das Feststellungsziel II sollte nur eine Haftung der Musterbeklagten nach den Grundsätzen der "Prospekthaftung im weiteren Sinne" durch Verwenden eines unrichtigen oder unvollständigen Verkaufsprospekts als Mittel der schriftlichen Aufklärung festgestellt werden. Denn das Feststellungsziel II hat ausdrücklich und ausschließlich eine Aufklärungspflicht der Musterbeklagten nach den Grundsätzen der "Prospekthaftung im weiteren Sinne" betreffend die in den Feststellungszielen I genannten Prospektfehler zum Gegenstand. Dies ergibt sich auch aus dem Vorlagebeschluss.

Die begehrte Feststellung ist nicht zu treffen, weil eine Haftung der Musterbeklagten zum Zeitpunkt der Prospektherausgabe aus § 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1 BGB nicht auf die Verwendung eines Prospekts als solche gestützt werden kann. Ein Anspruch auf dieser Grundlage wird vielmehr durch die Regelungen der spezialgesetzlichen Prospekthaftung verdrängt (vgl. BGH v. 19.1.2021 - XI ZB 35/18).

Auf den im April 2009 aufgestellten Prospekt findet die Regelung des § 8g VerkProspG in der vom 1.7.2005 bis zum 31.5.2012 geltenden Fassung (im Folgenden: aF) i.V.m. § 32 Abs. 2 Satz 1 VermAnlG Anwendung. Damit ist auch der Anwendungsbereich der § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG in der bis zum 31.5.2012 geltenden Fassung (im Folgenden: aF) eröffnet.

Die Musterbeklagten hafteten als Prospektverantwortliche bzw. als Prospektveranlasserin für unrichtige oder unvollständige wesentliche Angaben nach den Grundsätzen der spezialgesetzlichen Prospekthaftung aus § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG aF. Neben dieser ist eine Haftung der Musterbeklagten unter dem Aspekt einer vorvertraglichen Pflichtverletzung aufgrund der Verwendung eines unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Prospekts als Mittel der schriftlichen Aufklärung ausgeschlossen (vgl. BGH v. 19.1.2021 - XI ZB 35/18).

Da der Antrag zu dem Feststellungsziel II in der Sache unbegründet ist, ist der Vorlagebeschluss hinsichtlich der Feststellungsziele I gegenstandslos:
Der Vorlagebeschluss ist dahin auszulegen, dass die Prospektfehler ausschließlich als anspruchsbegründende Voraussetzung einer Haftung der Musterbeklagten unter dem Aspekt einer vorvertraglichen Pflichtverletzung aufgrund der Verwendung eines unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Prospekts als Mittel der schriftlichen Aufklärung festgestellt werden sollen. Im Vorlagebeschluss ist ausgeführt, dass die Parteien sämtlicher Musterverfahrensanträge um Schadensersatzansprüche aus Prospekthaftung im weiteren Sinne streiten würden. Da eine solche Haftung aus Rechtsgründen nicht gegeben ist, kommt es auf Feststellungen zu Prospektfehlern nicht mehr an.

Die Rechtsbeschwerde rügt zu Unrecht die Zuständigkeit des Senats:
Der XI. Zivilsenat ist nach A. I. XI. Zivilsenat 1.c) des Geschäftsverteilungsplans des BGH für das Geschäftsjahr 2021 ausschließlich zuständig für Rechtsstreitigkeiten über Prospekthaftungsansprüche nach §§ 13, 13a VerkProspG. Die Zuständigkeit für spezialgesetzliche Prospekthaftungsansprüche besteht seit dem Jahr 1996.

Der Senat ist damit auch zuständig, über das Konkurrenzverhältnis zwischen gesetzlicher Prospekthaftung nach § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG aF und bürgerlich-rechtlicher Prospekthaftung zu entscheiden. Denn ob letztere im Anwendungsbereich der spezialgesetzlichen Prospekthaftung anwendbar ist, ist keine Frage der bürgerlich-rechtlichen Prospekthaftung, sondern eine Frage nach der Reichweite der Rechtsfolgen der gesetzlichen Prospekthaftung (vgl. Schulz, EWiR 2022, 133).

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