Kein Nachtrag zum Prospekt bei Kapitalanlage in nachrangige Schuldverschreibungen
LG Stuttgart v. 8.12.2025 - 12 O 43/25
Der Sachverhalt:
Der Beklage war 2021 ein Mitgeschäftsführer der P-GmbH ("Emittentin"). Alleinige Gründungsgesellschafterin der Emittentin war die O-GmbH (Mitgeschäftsführer war der Beklage), die zu 85 % der OG-GmbH gehörte. Die OG-GmbH (Geschäftsführer war der Beklagte) stand im alleinigen Eigentum der S-GmbH (Mitgeschäftsführer war der Beklagte), gemäß dem Organigramm im Prospekt. Der Unternehmensgegenstand der Emittentin ist der Erwerb, das Halten, Verwalten und Verwerten von Beteiligungen und die Vergabe von Finanzierungen jeweils im Bereich der Projektentwicklungen von Immobilien. Die Emittentin erstellte den Prospekt für den Vertrieb einer nachrangigen Schuldverschreibung, den der Beklagte am 8.6.2021 unterschrieb.
Mit Darlehensvertrag vom 23.6.2021 gewährte die Emittentin der S 4-GmbH, jetzt SC 4-GmbH, ein Darlehen von bis zu 260 Mio. €, das in Teilbeträgen abhängig vom Verlauf der Einwerbung des Emissionsvolumens auszuzahlen sein sollte. Zu diesem Zeitpunkt war der Beklagte ein Mitgeschäftsführer der SC 4-GmbH, die im alleinigen Eigentum der S-GmbH stand. Im Hinblick auf den Darlehensvertragsschluss wurde kein Nachtrag zum Prospekt vom 8.6.2021 veröffentlicht. Am 18.10.2021 zeichnete der Kläger auf der Grundlage des Prospekts mit 10.000 € die nachrangigen Schuldverschreibungen der Emittentin. Am 8.7.2024 wurde über das Vermögen der SC-GmbH das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung eröffnet.
Der Kläger behauptete, bei Unterzeichnung des Prospekts sei dem Beklagten bereits bekannt gewesen, dass durch den Darlehensvertrag vom 23.6.2021 sämtliche mit den nachrangigen Schuldverschreibungen einzuwerbenden Anlagebeträge an die SC-GmbH hätten weitergereicht werden sollen. Damit sei der Prospekt, der von einem "Blindpool" bei der Emittentin ausgegangen sei, falsch gewesen. Aus Sicht der Emittentin sei dadurch bereits entschieden gewesen, wie die noch einzuwerbenden Anlagebeträge verwendet werden sollten. Jedenfalls sei es notwendig gewesen, den Darlehensvertragsschluss vom 8.6.2021 als Nachtrag zum Prospekt zu veröffentlichen, weil dadurch der Charakter eines "Blindpools" verloren gegangen und die Emittentin mit der alleinigen Darlehensnehmerin mit einem Stammkapital von 25.000,00 € ein erhebliches Klumpenrisiko eingegangen sei.
Der Kläger verlangte vom Beklagten Zahlung von 8.811 € Zug-um-Zug gegen die Übertragung aller Ansprüche und Rechte des Klägers aus der nachrangigen Schuldverschreibung. Das LG hat der Klage stattgegeben.
Die Gründe:
Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Übernahme der nachrangigen Namensschuldverschreibungen der Emittentin gegen Erstattung des Erwerbspreises abzüglich der zwischenzeitlich erhaltenen Zinsen von noch 8.811 € gem. §§ 20, 7, 11 VermAnlG, weil der Beklagte nicht für die erforderliche nachträgliche Bekanntmachung des Darlehensvertragsabschlusses der Emittentin mit der SC 4-GmbH vom 23.6.2021 gesorgt hat, nachdem dadurch der "Blindpool"-Charakter der Mittelverwendung aus Sicht der Emittentin verloren gegangen war.
Wird in einem Prospekt bezüglich einer Kapitalanlage in nachrangige Schuldverschreibungen die Mittelverwendung für den Aufbau eines zukünftigen diversifizierten Portfolios (Blindpool) angekündigt, muss die Weitergabe aller zukünftig einzuwerbenden Anlagegelder durch die Emittentin in Form eines Darlehens an eine "Schwester"-Gesellschaft innerhalb der gleichen Firmengruppe unverzüglich in einem Nachtrag zum Prospekt veröffentlicht werden. Denn dadurch trifft die Emittentin die Entscheidung über die Verwendung sämtlicher Anlagegelder und der "Blindpool" entfällt.
Die Darlehensvergabe am 23.6.2021 war infolge der grundlegenden Veränderung des Anlagekonzepts so wesentlich, dass er jedenfalls durch einen Nachtrag gem. § 11 Abs. 1 VermAnlG hätte bekannt gemacht werden müssen. Unerheblich war, dass die Darlehensvergabe an die SC 4-GmbH als "Schwester- oder Tochterunternehmen" im Verbund der S-GmbH als eine Möglichkeit der Mittelverwendung im Prospekt ausdrücklich aufgeführt war. Entscheidend war vielmehr, dass das Management der Emittentin mit dem Darlehensvertragsschluss über sämtliche zukünftigen Anlagemittel der Emittentin verfügt hatte.
Das hatte wiederum zur Folge, dass - wie bereits dargelegt - tatsächlich kein "Blindpool" mehr gegeben war. Das hatte weiter zur Folge, dass die Anlagemittel durch den Abschluss eines Darlehensvertrages mit einer anderen Gesellschaft aus dem Verbund der S-GmbH aus Sicht der Emittentin vollständig aufgebraucht waren. Die Emittentin hatte dadurch keinen Einfluss mehr auf die weitere Mittelverwendung. Entgegen der Ankündigung im Prospekt hinsichtlich einer breiten Mittelstreuung zur Reduzierung des Risikos setzte die Emittentin mit dem Darlehensvertrag "alles auf eine Karte", was einem extremen Klumpenrisiko entsprach. Das muss ein Anleger und damit auch der Kläger wissen, wenn der Prospekt ein diversifiziertes Portfolio verspricht.
Mehr zum Thema:
Aufsatz
Sebastian Sieder / Lukas Messner
Prospekterstellung mittels KI: rechtliches Umfeld und Praxisversuch
WM 2025, 2205
Beratermodul WM / WuB Wirtschafts- und Bankrecht
WM und WuB in einem Modul: Die WM Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht informiert wöchentlich aktuell und umfassend im Rechtsprechungsteil über Urteile und Beschlüsse der Gerichte. Die WuB Entscheidungsanmerkungen zum Wirtschafts- und Bankrecht informieren monatlich aktuell und praxisbezogen kommentiert über alle wichtigen wirtschafts- und bankrechtlichen Entscheidungen
Landesrechtsprechung Baden-Württemberg
Der Beklage war 2021 ein Mitgeschäftsführer der P-GmbH ("Emittentin"). Alleinige Gründungsgesellschafterin der Emittentin war die O-GmbH (Mitgeschäftsführer war der Beklage), die zu 85 % der OG-GmbH gehörte. Die OG-GmbH (Geschäftsführer war der Beklagte) stand im alleinigen Eigentum der S-GmbH (Mitgeschäftsführer war der Beklagte), gemäß dem Organigramm im Prospekt. Der Unternehmensgegenstand der Emittentin ist der Erwerb, das Halten, Verwalten und Verwerten von Beteiligungen und die Vergabe von Finanzierungen jeweils im Bereich der Projektentwicklungen von Immobilien. Die Emittentin erstellte den Prospekt für den Vertrieb einer nachrangigen Schuldverschreibung, den der Beklagte am 8.6.2021 unterschrieb.
Mit Darlehensvertrag vom 23.6.2021 gewährte die Emittentin der S 4-GmbH, jetzt SC 4-GmbH, ein Darlehen von bis zu 260 Mio. €, das in Teilbeträgen abhängig vom Verlauf der Einwerbung des Emissionsvolumens auszuzahlen sein sollte. Zu diesem Zeitpunkt war der Beklagte ein Mitgeschäftsführer der SC 4-GmbH, die im alleinigen Eigentum der S-GmbH stand. Im Hinblick auf den Darlehensvertragsschluss wurde kein Nachtrag zum Prospekt vom 8.6.2021 veröffentlicht. Am 18.10.2021 zeichnete der Kläger auf der Grundlage des Prospekts mit 10.000 € die nachrangigen Schuldverschreibungen der Emittentin. Am 8.7.2024 wurde über das Vermögen der SC-GmbH das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung eröffnet.
Der Kläger behauptete, bei Unterzeichnung des Prospekts sei dem Beklagten bereits bekannt gewesen, dass durch den Darlehensvertrag vom 23.6.2021 sämtliche mit den nachrangigen Schuldverschreibungen einzuwerbenden Anlagebeträge an die SC-GmbH hätten weitergereicht werden sollen. Damit sei der Prospekt, der von einem "Blindpool" bei der Emittentin ausgegangen sei, falsch gewesen. Aus Sicht der Emittentin sei dadurch bereits entschieden gewesen, wie die noch einzuwerbenden Anlagebeträge verwendet werden sollten. Jedenfalls sei es notwendig gewesen, den Darlehensvertragsschluss vom 8.6.2021 als Nachtrag zum Prospekt zu veröffentlichen, weil dadurch der Charakter eines "Blindpools" verloren gegangen und die Emittentin mit der alleinigen Darlehensnehmerin mit einem Stammkapital von 25.000,00 € ein erhebliches Klumpenrisiko eingegangen sei.
Der Kläger verlangte vom Beklagten Zahlung von 8.811 € Zug-um-Zug gegen die Übertragung aller Ansprüche und Rechte des Klägers aus der nachrangigen Schuldverschreibung. Das LG hat der Klage stattgegeben.
Die Gründe:
Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Übernahme der nachrangigen Namensschuldverschreibungen der Emittentin gegen Erstattung des Erwerbspreises abzüglich der zwischenzeitlich erhaltenen Zinsen von noch 8.811 € gem. §§ 20, 7, 11 VermAnlG, weil der Beklagte nicht für die erforderliche nachträgliche Bekanntmachung des Darlehensvertragsabschlusses der Emittentin mit der SC 4-GmbH vom 23.6.2021 gesorgt hat, nachdem dadurch der "Blindpool"-Charakter der Mittelverwendung aus Sicht der Emittentin verloren gegangen war.
Wird in einem Prospekt bezüglich einer Kapitalanlage in nachrangige Schuldverschreibungen die Mittelverwendung für den Aufbau eines zukünftigen diversifizierten Portfolios (Blindpool) angekündigt, muss die Weitergabe aller zukünftig einzuwerbenden Anlagegelder durch die Emittentin in Form eines Darlehens an eine "Schwester"-Gesellschaft innerhalb der gleichen Firmengruppe unverzüglich in einem Nachtrag zum Prospekt veröffentlicht werden. Denn dadurch trifft die Emittentin die Entscheidung über die Verwendung sämtlicher Anlagegelder und der "Blindpool" entfällt.
Die Darlehensvergabe am 23.6.2021 war infolge der grundlegenden Veränderung des Anlagekonzepts so wesentlich, dass er jedenfalls durch einen Nachtrag gem. § 11 Abs. 1 VermAnlG hätte bekannt gemacht werden müssen. Unerheblich war, dass die Darlehensvergabe an die SC 4-GmbH als "Schwester- oder Tochterunternehmen" im Verbund der S-GmbH als eine Möglichkeit der Mittelverwendung im Prospekt ausdrücklich aufgeführt war. Entscheidend war vielmehr, dass das Management der Emittentin mit dem Darlehensvertragsschluss über sämtliche zukünftigen Anlagemittel der Emittentin verfügt hatte.
Das hatte wiederum zur Folge, dass - wie bereits dargelegt - tatsächlich kein "Blindpool" mehr gegeben war. Das hatte weiter zur Folge, dass die Anlagemittel durch den Abschluss eines Darlehensvertrages mit einer anderen Gesellschaft aus dem Verbund der S-GmbH aus Sicht der Emittentin vollständig aufgebraucht waren. Die Emittentin hatte dadurch keinen Einfluss mehr auf die weitere Mittelverwendung. Entgegen der Ankündigung im Prospekt hinsichtlich einer breiten Mittelstreuung zur Reduzierung des Risikos setzte die Emittentin mit dem Darlehensvertrag "alles auf eine Karte", was einem extremen Klumpenrisiko entsprach. Das muss ein Anleger und damit auch der Kläger wissen, wenn der Prospekt ein diversifiziertes Portfolio verspricht.
Aufsatz
Sebastian Sieder / Lukas Messner
Prospekterstellung mittels KI: rechtliches Umfeld und Praxisversuch
WM 2025, 2205
Beratermodul WM / WuB Wirtschafts- und Bankrecht
WM und WuB in einem Modul: Die WM Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht informiert wöchentlich aktuell und umfassend im Rechtsprechungsteil über Urteile und Beschlüsse der Gerichte. Die WuB Entscheidungsanmerkungen zum Wirtschafts- und Bankrecht informieren monatlich aktuell und praxisbezogen kommentiert über alle wichtigen wirtschafts- und bankrechtlichen Entscheidungen