18.10.2011

Kein patentrechtlicher Schutz für - die Verwendung menschlicher Embryonen voraussetzende - wissenschaftliche Forschung

Ein Verfahren, das durch die Entnahme von Stammzellen, die aus einem menschlichen Embryo im Blastozystenstadium gewonnen werden, die Zerstörung des Embryos nach sich zieht, ist von der Patentierung auszuschließen. Die Verwendung zu therapeutischen oder diagnostischen Zwecken, die auf den menschlichen Embryo zu dessen Nutzen anwendbar ist, kann Gegenstand eines Patents sein; seine Verwendung zu Zwecken der wissenschaftlichen Forschung ist hingegen nicht patentierbar.

EuGH 18.10.2010, C-34/10
Der Sachverhalt:
Der Beklagte ist Inhaber eines im Dezember 1997 angemeldeten Patents, das isolierte und gereinigte neurale Vorläuferzellen betrifft, die aus menschlichen embryonalen Stammzellen hergestellt und zur Behandlung neurologischer Erkrankungen verwendet werden. Neurale Zellen werden definiert als unreife Zellen, die die Fähigkeit haben, reife Zellen des Nervensystems zu bilden. Unter Vorläuferzellen sind unreife Körperzellen zu verstehen, die sich noch vermehren können. Vorläuferzellen haben die Fähigkeit, sich zu bestimmten ausgereiften Körperzellen weiterzuentwickeln und auszudifferenzieren.

Nach Angaben des Beklagten gibt es bereits klinische Anwendungen, u.a. bei Patienten, die an Parkinson erkrankt sind. Auf die Klage von Greenpeace e.V. erklärte das BPatG das Patent des Beklagten für nichtig, soweit es sich auf Verfahren bezieht, die es ermöglichen, Vorläuferzellen aus Stammzellen menschlicher Embryonen zu gewinnen. Hiergegen legte der Beklagte beim BGH Berufung ein. Dieser setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH verschiedene Fragen zur Vorabentscheidung vor.

Insbes. fragt der BGH nach der Auslegung des Begriffs "menschlicher Embryo", der in der Richtlinie 98/44/EG über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen nicht definiert wird. Es geht um die Frage, ob der Ausschluss von der Patentierbarkeit des menschlichen Embryos alle Stadien des Lebens von der Befruchtung der Eizelle an umfasst oder ob zusätzliche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, z.B. dass ein bestimmtes Entwicklungsstadium erreicht ist.

Die Gründe:
Der Zusammenhang und das Ziel der Richtlinie lassen erkennen, dass der Unionsgesetzgeber jede Möglichkeit der Patentierung ausschließen wollte, sobald die der Menschenwürde geschuldete Achtung dadurch beeinträchtigt werden könnte. Daraus folgt, dass der Begriff des menschlichen Embryos weit auszulegen ist. Insofern ist jede menschliche Eizelle vom Stadium ihrer Befruchtung an als "menschlicher Embryo" anzusehen, da die Befruchtung geeignet ist, den Prozess der Entwicklung eines Menschen in Gang zu setzen. Das Gleiche gilt für die unbefruchtete menschliche Eizelle, in die ein Zellkern aus einer ausgereiften menschlichen Zelle transplantiert worden ist oder die durch Parthenogenese zur Teilung und Weiterentwicklung angeregt worden ist.

Die Verwendung menschlicher Embryonen zur wissenschaftlichen Forschung, die Gegenstand einer Patentanmeldung ist, kann nicht von einer industriellen und kommerziellen Verwertung getrennt werden und dadurch dem Ausschluss von der Patentierung entgehen. Wissenschaftliche Forschung, die die Verwendung menschlicher Embryonen voraussetzt, kann daher keinen patentrechtlichen Schutz erlangen. Die Patentierbarkeit der Verwendung von menschlichen Embryonen zu industriellen oder kommerziellen Zwecken ist nach der Richtlinie allerdings nicht verboten, wenn sie die Verwendung zu therapeutischen oder diagnostischen Zwecken betrifft, die auf den menschlichen Embryo zu dessen Nutzen anwendbar ist - z.B. um eine Missbildung zu beheben und die Überlebenschancen des Embryos zu verbessern.

Hinsichtlich der Patentierbarkeit einer Erfindung, die die Herstellung neuraler Vorläuferzellen betrifft, stellt der EuGH fest, dass diese zum einen die Verwendung von Stammzellen voraussetzt, die aus einem menschlichen Embryo im Blastozystenstadium (späteres Stadium der embryonalen Entwicklung zu einem bestimmten Zeitpunkt, d.h. ungefähr fünf Tage nach der Befruchtung) gewonnen werden, und dass zum anderen die Entnahme die Zerstörung dieses Embryos nach sich zieht. Würde eine solche beanspruchte Erfindung nicht von der Patentierung ausgeschlossen, hätte dies zur Folge, dass der Patentanmelder den Ausschluss von der Patentierung durch eine geschickte Abfassung des Anspruchs umgehen könnte. Folglich ist eine Erfindung nicht patentierbar, wenn die Anwendung des Verfahrens die vorhergehende Zerstörung menschlicher Embryonen oder deren Verwendung als Ausgangsmaterial erfordert.

Linkhinweis:

Für den auf den Webseiten des EuGH veröffentlichten Volltext der Entscheidung klicken Sie bitte hier.

EuGH PM Nr. 112 vom 18.10.2011
Zurück