03.05.2011

Kein rechtliches Interesse i.S.v. § 66 ZPO allein wegen der Möglichkeit einer faktischen Präzedenzwirkung eines Urteils

Allein die Möglichkeit, dass ein Urteil in einem ersten Prozess für nachfolgende Prozesse eine faktische Präzedenzwirkung entfaltet und zu erwarten ist, dass sich die Gerichte in den nachfolgenden Verfahren an der im ersten Prozess ergangenen Entscheidung orientieren werden, vermag ein rechtliches Interesse i.S.v. § 66 Abs. 1 ZPO nicht zu begründen. Das gilt auch im Fall der Nebenintervention von "Parallelverwendern" inhaltsgleicher AGB.

BGH 10.2.2011, I ZB 63/09
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist ein eingetragener Verein deutschsprachiger Schauspieler, die vornehmlich als Synchronsprecher tätig sind. Er nimmt nach seiner Satzung die Interessen dieser sog. Synchronschauspieler wahr. Die Beklagte stellt deutsche Synchronfassungen insbes. von Spielfilmen her. Dazu engagiert sie Synchronschauspieler unter Verwendung vorformulierter Vertragsbedingungen. Der Kläger ist der Ansicht, einige Klauseln dieser AGB seien mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelungen der §§ 88 ff. UrhG nicht zu vereinbaren und daher gem. § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam. Er hat die Beklagte deshalb nach § 1 UKlaG auf Unterlassung der Verwendung dieser Klauseln in Anspruch genommen.

Die Beklagte hat 28 anderen Synchronunternehmen den Streit verkündet, von denen sechs dem Rechtsstreit auf ihrer Seite als Nebenintervenienten beigetreten sind. Die Nebenintervenienten verwenden AGB, die mit den vom Kläger beanstandeten AGB der Beklagten teilweise inhaltsgleich sind. Sie haben ihr rechtliches Interesse an einer Unterstützung der Beklagten (§ 66 Abs. 1 ZPO) damit begründet, dass sie im Falle eines Unterliegens der Beklagten damit rechnen müssten, von der Beklagten wegen der Verwendung inhaltsgleicher AGB nach §§ 3, 4 Nr. 11, § 8 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 1, § 9 S. 1 UWG auf Unterlassung und Schadensersatz in Anspruch genommen zu werden. Der Kläger ist der Ansicht, die Nebeninterventionen seien nicht zulässig, weil die Nebenintervenienten kein rechtliches Interesse an einem Beitritt zum Rechtsstreit hätten. Er hat beantragt, die Nebeninterventionen zurückzuweisen.

LG und KG erklärten die Beitritte der Nebenintervenienten durch Zwischenurteil für zulässig. Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers hob der BGH den Beschluss des KG auf und änderte die Entscheidung LG ab. Er erklärte die Beitritte der Streithelferinnen für unzulässig und verurteilte sie, die Kosten des Zwischenstreits über die Zulässigkeit der Beitritte sowie die durch die Nebenintervention verursachten Kosten zu tragen.

Die Gründe:
Entgegen der Ansicht des KG sind die Nebenintervenienten nicht nach § 71 Abs. 1 S. 2 ZPO zuzulassen. Sie haben nicht glaubhaft gemacht, ein rechtliches Interesse i.S.d. § 66 Abs. 1 ZPO daran zu haben, dass die Beklagte in dem zwischen dem Kläger und der Beklagten anhängigen Rechtsstreit obsiegt.

Der Begriff des rechtlichen Interesses in § 66 Abs. 1 ZPO ist weit auszulegen. Aus dem Erfordernis eines rechtlichen Interesses folgt jedoch, dass ein rein wirtschaftliches oder tatsächliches Interesse für die Zulässigkeit einer Nebenintervention nicht ausreicht. Der Begriff des rechtlichen Interesses erfordert vielmehr, dass der Nebenintervenient zu der unterstützten Partei oder dem Gegenstand des Rechtsstreits in einem Rechtsverhältnis steht, auf das die Entscheidung des Rechtsstreits durch ihren Inhalt oder ihre Vollstreckung unmittelbar oder auch nur mittelbar rechtlich einwirkt.

Entgegen der Ansicht des KG war danach im vorliegenden Fall ein rechtliches Interesse der Nebenintervenienten zu verneinen. Der bloße Wunsch der Nebenintervenienten, der vorliegende Rechtsstreit möge zugunsten der Beklagten entschieden werden, und die damit verbundene Erwartung, dass die mit einer nachfolgenden Klage der Beklagten gegen sie auf Unterlassung der Verwendung inhaltsgleicher Klauseln befassten Gerichte gleichfalls den Standpunkt einnehmen, dass die in Rede stehenden AGB nicht wegen einer Unvereinbarkeit mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelungen der §§ 88 ff. UrhG gem. § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam sind, begründet nur ein tatsächliches Interesse der Nebenintervenienten am Obsiegen der Beklagten.

Allein die Möglichkeit, dass ein Urteil im Hauptprozess für nachfolgende Prozesse eine faktische Präzedenzwirkung entfaltet und die befassten Gerichte sich an der Entscheidung im Hauptprozess orientieren, vermag ein rechtliches Interesse i.S.v. § 66 Abs. 1 ZPO nicht zu begründen. Das gilt auch im - hier gegebenen - Fall der Nebenintervention von "Parallelverwendern" inhaltsgleicher AGB. Die Entscheidung des KG stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar. Entgegen der Ansicht der Beklagten vermag allein die Tatsache der Streitverkündung nach § 72 Abs. 1 ZPO das nach § 66 Abs. 1 ZPO erforderliche rechtliche Interesse nicht zu begründen. Dies ergibt sich bereits aus dem Regelungszusammenhang der maßgeblichen Bestimmungen.

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