06.05.2025

Kein Schadensersatz für Kaufhausketten wegen Corona-Lockdown

Das LG Stuttgart hat die Schadensersatzklage zweier großer Kaufhausketten gegen das Land Baden-Württemberg im Zusammenhang mit den Corona-Lockdowns abgewiesen. Mit der Klage macht die Muttergesellschaft der Kaufhausketten Schadensersatzansprüche für ausgefallenen Gewinn in Höhe von über 32 Mio. € geltend. Laut LG waren die mehrmonatigen Geschäftsschließungen jedoch rechtmäßig und vereinbar mit dem Grundgesetz. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig.

LG Stuttgart v. 15.4.2025 - 7 O 224/23
Der Sachverhalt:
Mit der Klage macht die Muttergesellschaft zweier großer Kaufhausketten Schadensersatzansprüche gegen das Land Baden-Württemberg in Höhe von über 32 Mio. € geltend. Sie fordert für die teilweise mehrmonatigen Geschäftsschließungen aufgrund Corona-Lockdowns vom 18.3.2020 bis 3.5.2020 (Lockdown I) und vom 16.12.2020 bis 22.4.2021 (Lockdown II) Schadensersatz für ausgefallenen Gewinn.

Die Klägerin ist der Auffassung, die Rechtsverordnungen zu den Lockdowns verletzten die Kaufhausketten jeweils in ihren Grundrechten. Die Betriebsschließungen seien rechtswidrig, da sie ohne in sich stimmiges, durchdachtes epidemiologisches Konzept und ohne vollständige und sachlich richtige Entscheidungsgrundlage getroffen worden seien. Es sei unterlassen worden, die Effektivität von Maßnahmen aus wissenschaftlicher Sicht zu evaluieren und es habe keine systematische Analyse oder Aufarbeitung von relevanten Ausbruchsuntersuchungen im Einzelhandel vorgelegen. Die erlassenen Rechtsverordnungen seien daher zur Erreichung des Infektionsschutzziels nicht verhältnismäßig gewesen.

Zudem hätten Lebensmitteleinzelhändler und einige weitere privilegierte Einzelhandelsunternehmen in der Zeit der Lockdowns öffnen und dabei nicht nur Lebensmittel, sondern auch die gesamten Non-Food-Sortimente ohne relevante Beschränkung verkaufen dürfen, während das Land dem reinen sog. "Non-Food"-Einzelhandel die Öffnung seiner Geschäfte für den Publikumsverkehr vollständig untersagt habe. Eine Ungleichbehandlung liege auch vor, soweit bestimmte andere Non-Food-Händler, wie zum Beispiel Baumärkte, hätten öffnen dürfen. Dies verstoße gegen das Gleichheitsgebot des Grundgesetzes.

Gleichartige Klagen gegen andere Bundesländer wurden bei anderen Landgerichten anhängig gemacht. Das LG wies die Klage ab. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig.

Die Gründe:
Den Kaufhausketten stehen keine Entschädigungsansprüche zu. Rechtsgrundlage für die Betriebsschließungen und -beschränkungen im Einzelhandel anordnenden Rechtsverordnungen war § 28 Abs. 1 IfSG bzw. § 28a IfSG in Verbindung mit § 32 IfSG.

Die weltweite Ausbreitung von Covid-19 wurde am 11.3.2020 von der WHO zu einer Pandemie erklärt. In den streitgegenständlichen Zeiträumen gab es in der Bundesrepublik Deutschland und im Land Baden-Württemberg, wie sich aus den Lageberichten des Robert-Kochs-Instituts (RKI) ergibt, zahlreiche mit SARS-CoV- 2 infizierte Menschen und damit eine hohe Anzahl Krankheits- und Ansteckungsverdächtiger. Der BGH hat dementsprechend in seinen Entscheidungen vom 3.8.2023 (Az. III ZR 54/22) und 11.2.2024 (Az. III ZR 134/22) ausführlich dargelegt und begründet, dass im Zeitraum von März 2020 bis Oktober 2021 die Voraussetzungen des Infektionsschutzgesetzes vorlagen. Dieser Rechtsprechung schließt sich die Kammer an.

Die Verordnungen waren rechtmäßig und vereinbar mit dem Grundgesetz. Durch die Anordnung von Betriebsschließungen und -beschränkungen griff das beklagte Land zwar in die Substanz der Grundrechte der Kaufhausketten ein. Die Maßnahmen waren jedoch verhältnismäßig.

Denn die Verhältnismäßigkeit einer Regelung, der prognostische Entscheidungen zugrunde liegen, ist nicht nach der tatsächlichen späteren Entwicklung, sondern danach zu beurteilen, ob der Verordnungsgeber zum Zeitpunkt der Maßnahme davon ausgehen durfte, dass die Maßnahme zur Erreichung des gesetzten Ziels geeignet, erforderlich und angemessen war, ob seine Prognose also sachgerecht und vertretbar war. Die Verhältnismäßigkeit setzt somit nicht voraus, dass es zweifelsfreie empirische Nachweise hinsichtlich der Wirksamkeit der Maßnahmen gibt. Erfolgt ein Grundrechtseingriff zum Schutz gewichtiger verfassungsrechtlicher Güter und ist es aufgrund tatsächlicher Unsicherheiten nur begrenzt möglich, sich ein hinreichend sicheres Bild zu machen, ist die Prüfung auf die Vertretbarkeit der Prognose beschränkt.

Infektionsschutzrechtliche Entscheidungen, die im Zuge einer Pandemie mit einer neuartigen Krankheit und mit einem dynamischen Infektionsgeschehen getroffen werden, müssen typischerweise auf einer nicht gesicherten Erkenntnislage ergehen, was zwangsläufig Ungewissheiten sowie Spielräume bei den Handlungsoptionen mit sich bringt. Dem Verordnungsgeber stand daher bei der Wahl der Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung sowohl hinsichtlich der Geeignetheit und Erforderlichkeit als auch der Angemessenheit ein weiter Beurteilungsspielraum zu, den er vorliegend nicht überschritten hat.

Die landesrechtlichen Regelungen, die Schließungen und Beschränkungen des Einzelhandels anordneten, zielten darauf ab, durch die Reduzierung zwischenmenschlicher Kontakte die weitere Verbreitung des Virus zu verlangsamen und das exponentielle Wachstum der Infektionen zu durchbrechen, um eine Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden und die medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen.

Es liegt auch kein Verstoß gegen das Gleichheitsgebot vor. Die Entscheidung der Landesregierung, Einzelhandelsbetriebe, welche der Grundversorgung dienen, von den grundsätzlichen Schließungsanordnungen auszunehmen, steht mit dem Gleichheitsgrundsatz in Einklang. Die Privilegierung des den Grundbedürfnissen der Bevölkerung dienenden Einzelhandels, der für das tägliche Leben nicht verzichtbare Produkte verkauft, ist durch gewichtige Belange des Gemeinwohls gerechtfertigt.

Wenn sich die Landesregierung dafür entscheidet, bestimmte Branchen von Betriebsschließungen auszunehmen, ist sie bei der Ausgestaltung der hierzu getroffenen Regelungen an den allgemeinen Gleichheitssatz des Grundgesetzes gebunden. Dieser gebietet dem Normgeber, wesentlich Gleiches gleich zu behandeln.

Bei der Regelung eines dynamischen Infektionsgeschehens und der Notwendigkeit, schnelle, effektive Entscheidungen in einer sich ständig verändernden Lage zur Gefahrenabwehr zu treffen, sind die sich aus dem Gleichheitssatz ergebenden Grenzen weniger streng. Dem Einschätzungsspielraum hinsichtlich der zu ergreifenden Maßnahmen wohnen notwendigerweise Generalisierungen inne. In diesem Zusammenhang sind auch gewisse Benachteiligungen in besonders gelagerten Einzelfällen hinzunehmen, solange sich für das insgesamt gefundene Regelungsergebnis ein plausibler, sachlich vertretbarer Grund anführen lässt. Dies ist in dem zur Entscheidung stehenden Sachverhalt der Fall. Betrieben, welche für das tägliche Leben der Bevölkerung nicht verzichtbare Produkte verkaufen, kommt nämlich zur Aufrechterhaltung der Grundversorgung der Bevölkerung eine besondere Bedeutung zu, sodass deren Privilegierung durch gewichtige Gemeinwohlbelange gerechtfertigt ist. Dass dies nicht nur Lebensmitteleinzelhandel umfasst, sondern auch ausgewählte andere Non-Food-Händler wie Baumärkte, die ebenfalls für die Grundversorgung erforderlich eingeordnet wurden, ist sachlich gerechtfertigt.

Der Umstand, dass dem privilegierten Einzelhandel mit Mischsortiment auch der Verkauf von Waren erlaubt wurde, die nicht der Grundversorgung dienen, obwohl anderen Betrieben die Betriebsöffnung untersagt war, ist ebenfalls durch sachliche Gründe gerechtfertigt. Das Land konnte im Rahmen des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums davon ausgehen, dass der Verkauf von anderen Produkten in der Grundversorgung dienenden Geschäften jedenfalls dann, wenn sie nur einen untergeordneten Umfang annehmen, zu keinem zusätzlichen Anstieg der durch die Öffnung des Einzelhandels ohnehin geschaffenen Infektionsquellen führen würde. Gleichzeitig konnte es im Rahmen seines Beurteilungsspielraums davon ausgehen, dass eine Öffnung des nicht bereits aus anderen Gründen zu öffnenden Einzelhandels voraussichtlich einen erheblichen Anstieg dieser Infektionsquellen nach sich ziehen würde.

Mehr zum Thema:

Rechtsprechung:
Staatshaftung für Einnahmeausfälle eines Hotels wegen Corona-bedingter Beherbergungs- und Veranstaltungsverbote sowie Gaststättenschließungen
BGH vom 11.4.2024 - III ZR 134/22
MDR 2024, 897

Aufsatz:
Die Entwicklungen im Amts‑, Staatshaftungs- und Entschädigungsrecht
Peter Itzel, MDR 2025, 212

Aufsatz enthalten im
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LG Stuttgart PM vom 15.4.2025