30.08.2022

Klageänderung in der Revisionsinstanz?

Der BGH hat sich vorliegend mit der Frage der Zulässigkeit einer Klageänderung in der Revisionsinstanz in einem sog. Dieselfall befasst. Konkret ging es dabei um einen beantragten Übergang von Feststellungsklage zur Leistungsklage.

BGH v. 4.8.2022 - III ZR 228/20
Der Sachverhalt:
Der Kläger macht - in dritter Instanz nur noch - gegen die Beklagte zu 2) Ansprüche im Zusammenhang mit dem sog. Dieselskandal geltend. Im März 2017 erwarb der Kläger von der A. GmbH, der vormaligen Beklagten zu 1), ein gebrauchtes Fahrzeug des Typs Audi Q 5 zum Preis von 41.000 €. Das Fahrzeug wies zu diesem Zeitpunkt einen Kilometerstand von 29.850 km aus. Es verfügt werksseitig über einen mit Dieselkraftstoff betriebenen Motor 3,0 l V6 Diesel (Euro 5). Der Kläger trug in den Tatsacheninstanzen im Wesentlichen vor, das Fahrzeug sei von dem Dieselskandal betroffen. In den von der Beklagten zu 2) hergestellten Dieselmotor seien drei unzulässige Abschalteinrichtungen eingebaut worden (Aufheizstrategie, Getriebemanipulation/Schalteinstellung, Thermofenster). Die Beklagten stellten in Abrede, dass in dem Fahrzeug unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut seien.

Das LG wies die Klage ab. Mit der Berufung verfolgte der Kläger sein erstinstanzlich geltend gemachtes Klagebegehren weiter und beantragte hinsichtlich der Beklagten zu 2) u.a.,

"2. festzustellen, dass die Beklagte zu 2) verpflichtet ist, ihm Schadensersatz für Schäden zu bezahlen, die daraus resultieren, dass die Beklagte zu 2) das Fahrzeug Audi Q 5 dahingehend beeinflusst hat, dass dieses hinsichtlich der Abgasstoffmenge im Prüfstandbetrieb einen geringeren Ausstoß aufweist als im regulären Betrieb im Straßenverkehr,
4. die beklagten Parteien jeweils getrennt, nicht gesamtschuldnerisch zu verurteilen, [ihn von den] durch die Beauftragung seiner Prozessbevollmächtigten entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten i.H.v. von jeweils rd. 2.600 € freizustellen."

Das OLG wies die Berufung des Klägers zurück. Es erkannte in der Sache dahingehend, dass dem Kläger die gegen die Beklagte zu 2) geltend gemachten Schadensersatzansprüche unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zustünden. Mit seiner Revision stellte der Kläger das Berufungsurteil "zur vollen Überprüfung" durch den Senat und begehrte bzgl. der Beklagten zu 2) - der Sache nach wie in erster Instanz - in der Hauptsache zunächst ausschließlich die Feststellung, dass diese "verpflichtet ist, ihm Schadensersatz für die Schäden zu bezahlen, die aus der Manipulation des streitgegenständlichen Fahrzeugs resultieren". Nach einem Hinweis des Senats auf Bedenken gegen die Zulässigkeit des Feststellungsantrags änderte der Kläger sein Feststellungsbegehren in einen Leistungsantrag wie folgt:

"1. Die Beklagte zu 2) wird verurteilt, an den Kläger rd. 32.000 € nebst Zinsen ... zu bezahlen, Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Pkw Audi Q 5.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte zu 2) mit der Rücknahme des im Klageantrag Ziffer 1 genannten Pkw im Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte zu 2) wird verurteilt, den Kläger von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten des Klägers entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten i.H.v. rd. 2.600 € freizustellen."

In tatsächlicher Hinsicht trug der Kläger hierzu ergänzend vor, dass der Kilometerstand des Fahrzeugs im Mai 2022 "ca. 98.000 km" betragen habe und der Berechnung der Nutzungsentschädigung eine übliche Laufleistung von 350.000 km zugrunde gelegt sei. In rechtlicher Hinsicht sei eine Ausnahme von der Regel, nach der eine Klageänderung in der Revisionsinstanz grundsätzlich unzulässig sei, anzunehmen. Zulässig sei nach der Rechtsprechung des BGH die Beschränkung oder Modifikation eines früheren Antrags, soweit sich dies auf einen Sachverhalt stütze, der vom Tatrichter bereits gewürdigt worden sei. Ausgehend hiervon sei die Umstellung des Sachantrags nicht ausgeschlossen. Der Kläger stütze den geltend gemachten Leistungsanspruch nicht auf einen neuen Sachverhalt. In dem Übergang vom Feststellungs- zum Leistungsantrag bei unverändertem Sachverhalt liege lediglich eine qualitative Beschränkung des Klageantrags ohne Änderung des Klagegrundes i.S.d. § 264 Nr. 2 ZPO. Gehe der Kläger von der positiven Klage auf Feststellung einer Schadensersatzpflicht zu einer deckungsgleichen Leistungsklage über, handele es sich um eine ohne weiteres zulässige Klageerweiterung nach § 264 Nr. 2 ZPO. Ein Kläger könne von der Feststellungsklage auf die Leistungsklage oder umgekehrt wechseln, wobei es sich um eine Klageerweiterung bzw. -beschränkung (§ 264 Nr. 2 ZPO) und nicht um eine Klageänderung (§ 263 ZPO) handele.

Die Revision des Klägers hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Der vom Kläger begehrte Schadensersatz in Höhe des für das Fahrzeug aufgewandten Kaufpreises abzgl. eines Vorteilsausgleichs für die von ihm gezogenen Nutzungen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs an die Beklagte zu 2) kann nicht zugesprochen und die Feststellung eines etwaigen Annahmeverzuges der Beklagten zu 2) nicht ausgesprochen werden, weil die hierauf gerichteten Anträge vom Kläger erstmals mit Schriftsatz vom 7.6.2022 im Revisionsverfahren anhängig gemacht worden sind und es sich hierbei um eine in der Revisionsinstanz unzulässige Klageänderung handelt.

Eine Klageänderung in der Revisionsinstanz ist grundsätzlich unzulässig, insbesondere ein Übergang von der erhobenen Feststellungsklage auf eine Leistungsklage. Anders verhält es sich ausnahmsweise dann, wenn es nur um eine Klarstellung, Beschränkung oder Modifikation des früheren Antrags auf der Grundlage eines Sachverhalts geht, der vom Berufungsgericht bereits gewürdigt worden ist. Eine Veränderung der Anträge in der Revisionsinstanz darf somit nicht zur Folge haben, dass die Würdigung eines Sachverhalts erforderlich wird, welcher der Beurteilung durch den Tatrichter noch nicht unterlag. Neu gestellte Anträge sind daher nicht schon deswegen zulässig, weil sie sich im Rahmen des § 264 Nr. 2 ZPO halten.

Dies zugrunde gelegt, kann bzgl. der vom Kläger mit Schriftsatz vom 7.6.2022 gestellten Klageanträge zu 1) und 2) ein Ausnahmefall nicht angenommen werden. Denn sie lassen sich nicht ausschließlich auf den Sachverhalt stützen, der vom Berufungsgericht gewürdigt worden ist, sondern nur auf einen hiervon abgewandelten Lebenssachverhalt. Das ergibt sich bereits daraus, dass der Kläger in den Tatsacheninstanzen nicht vorgetragen hatte, (Zug um Zug) zur Übergabe und Übereignung des im März 2017 erworbenen Fahrzeugs an die Beklagte zu 2) bereit zu sein. Diesen neuen Sachverhalt hat er vielmehr erst durch Prozesshandlungen während respektive in der Revisionsinstanz geschaffen, nämlich zum einen durch die mit Schriftsatz vom 28.1.2021 erklärte Rücknahme der Nichtzulassungsbeschwerde gegen die vormalige Beklagte zu 1), von der er in den Vorinstanzen die Zahlung von Schadensersatz Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs verlangt hatte, und zum anderen durch den Klageantrag zu 1) im Schriftsatz vom 7.6.2022.

Darüber hinaus hat der Kläger in diesem Schriftsatz zumindest mit den Angaben, dass der Kilometerstand des Fahrzeugs am 18.5.2022 "ca. 98.000 km" betragen und er bei der Berechnung der Nutzungsentschädigung eine Laufleistung von 350.000 km zugrunde gelegt habe, neue tatsächliche Umstände vorgebracht, mit denen sich das Berufungsgericht noch nicht befassen konnte. Die Bemessung der Höhe des Schadensersatzanspruchs ist mit Blick auf die vom Kläger gezogenen Nutzungen in erster Linie Sache des nach § 287 ZPO besonders freigestellten Tatrichters. Das Revisionsgericht kann eine solche Schätzung nicht selbst vornehmen und unter Einbeziehung des im Revisionsrechtszug neu vorgetragenen Prozessstoffs darüber befinden, ob die Beklagte zu 2) in Annahmeverzug geraten ist oder nicht. Ist die Klageänderung unzulässig, ist auf der Grundlage der bisherigen Klageanträge zu entscheiden. Danach bleibt die Revision ebenfalls ohne Erfolg.

Mehr zum Thema:

Kommentierung | ZPO
§ 559 Beschränkte Nachprüfung tatsächlicher Feststellungen
Heßler in Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022

Rechtsprechung:
Keine Klageänderung durch Geltendmachung des VVG-Absonderungsrechts
BGH vom 08.04.2021 - III ZR 62/20
MDR 2021, 1154

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