19.05.2025

Meinungsfreiheit - Bulgarien: Verwehrter Zugriff einer Journalistin zu Gerichtsurteil

Die Öffentlichkeit von Urteilen, einschließlich ihrer Begründung, ist in einer demokratischen Gesellschaft von grundsätzlicher Relevanz. (Girginova gegen Bulgarien)

EGMR v. 4.3.2025 - 4326/18
Der Sachverhalt:
Die Beschwerdeführerin ist Journalistin, die für eine Online-Medienorganisation, die über das Gerichtswesen berichtet, arbeitet.

Nach Vorwürfen der weit verbreiteten rechtswidrigen verdeckten Überwachung durch seine Mitarbeiter wurde ein ehemaliger bulgarischer Innenminister Anfang 2015 in einem Strafverfahren wegen wissentlicher Duldung von Amtsmissbrauch durch seine Untergebenen freigesprochen. Das Verfahren wurde unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt, die Begründung für den Freispruch daher nicht veröffentlicht. Daraufhin beantragte die Beschwerdeführerin Zugang zu den Urteilsgründen. Ihr Antrag wurde vom Gericht mit der Begründung abgelehnt, dass diese Gründe technische Details über den Einsatz von verdeckten Überwachungsmitteln enthielten, bei denen es sich um Verschlusssachen handele. Ihre Klage auf gerichtliche Überprüfung dieser Ablehnung wurde abgewiesen, Rechtsmittel blieben erfolglos.

Die Gründe:
Der EGMR befand, dass die Weigerung, der Beschwerdeführerin die Begründung des Strafgerichts für den Freispruch des ehemaligen Innenministers mitzuteilen, zwangsläufig ihre Rechte aus Art. 10 EMRK beeinträchtigt habe. Angesichts unklarer einschlägiger innerstaatlicher Rechtslage vermochte der Gerichtshof nicht zweifelsfrei feststellen, dass diese Beeinträchtigung auch gesetzlich vorgesehen war. Eine Antwort auf diese Frage konnte vorliegend jedoch offen bleiben, da die Beeinträchtigung jedenfalls nicht in einer demokratischen Gesellschaft notwendig gewesen sei: Zwar sei die Beeinträchtigung im Interesse der nationalen Sicherheit im Sinne von Art. 10 Abs. 2 EMRK erfolgt, womit ein legitimes Ziel vorgelegen habe. Allerdings sei die Öffentlichkeit von Urteilen, einschließlich ihrer Begründung, in einer demokratischen Gesellschaft von grundsätzlicher Relevanz. Dies gelte umso mehr für die Begründung des Freispruchs eines hochrangigen Amtsträgers von schweren strafrechtlichen Vorwürfen, da die Öffentlichkeit davon überzeugt werden müsse, dass das Strafrecht gleich und unparteiisch angewendet wird, auch wenn Anklage gegen Personen in Machtpositionen erhoben wird. Zudem sei der Gegenstand des Verfahrens in Bulgarien auf großes öffentliches Interesse gestoßen. Der EGMR verwies auf seine Rechtsprechung, wonach selbst in Fällen, die Fragen der nationalen Sicherheit betreffen und geheime Informationen beinhalten, eine vollständige Geheimhaltung des Urteils gegenüber der Öffentlichkeit nicht gerechtfertigt sein könne. Mildere Mittel, etwa die teilweise Geheimhaltung eines Urteils, dessen Veröffentlichung in redigierter Form oder zwei Urteilsfassungen - eine öffentliche sowie eine nicht-öffentliche - seien stattdessen, so auch im vorliegenden Fall, heranzuziehen.

Der EGMR bejahte einstimmig eine Verletzung von Art. 10 EMRK sowie von Art. 13 EMRK (Recht auf wirksame Beschwerde).
Sebastian Ramelli, LL.M. (Institut für Europäisches Medienrecht e.V. Saarbrücken)