18.09.2025

Meinungsfreiheit - Russland: Russische Aggression gegen die Ukraine

Der EGMR macht Russland für weit verbreitete und eklatante, die EMRK verletzende Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit dem Konflikt in der Ukraine seit 2014 verantwortlich. (Ukraine und Niederlande gegen Russland - Az. 8019/16, 43800/14, 28525/20 und 11055/22)

EGMR v. 9.7.2025 - 8019/16 u.a.
Der Sachverhalt:
Die Staatenbeschwerde der Ukraine und der Niederlande gegen Russland gem. Art. 33 EMRK hat insbesondere den Abschuss des Fluges MH17 am 17.7.2014 und russische Aggressionen und Angriffshandlungen gegen die Ukraine sowie Maßnahmen gegenüber der Bevölkerung dort in den Jahren 2014 bis 2022 zum Gegenstand. Sie betrifft eine Vielzahl von Gewährleistungen aus der EMRK und ihren Zusatzprotokollen, darunter Art. 10 EMRK.

In diesem Zusammenhang betraf die Beschwerde folgende Handlungen: gezieltes Vorgehen gegen unabhängige Journalisten internationaler und ukrainischer Medien durch russischen Behörden und die Streitkräfte der separatistischen Verwaltung in der Ostukraine; Androhung von Gewalt, um Vorschriften durchzusetzen, wie über aktuelle Ereignisse zu berichten sei; Hinderung, in Konfliktgebieten zu berichten; Einschüchterung und Verhaftung von den Separatisten kritisch gegenüberstehenden Journalisten; Registrierungs- und Akkreditierungszwang sowie Verweigerung von Akkreditierungen aus unklaren Gründen; Verurteilung von Journalisten zu langjährigen Haftstrafen wegen angeblicher Spionage, terroristischer Straftaten oder Extremismus; Sperrung ukrainischer und ausländischer Rundfunkanstalten und Websites; Erlass neuer Gesetze, die die Verbreitung von Informationen zur Unterstützung der Ukraine verbieten und unter Strafe stellen; Ersetzung ukrainischer durch russische Medien in besetzten Gebieten und Beschränkung des Zugangs dort auf letztere.

Die Gründe:
Der Gerichtshof befand, dass eindeutige Beweise für die beschwerdegegenständlichen Handlungen vorlägen. Die vorliegenden Beweise ließen keinen Zweifel an den allgemeinen Auswirkungen dieser Praktiken auf die Meinungsfreiheit der Presse und den Zugang der lokalen Bevölkerung zu Informationen, insbesondere an der abschreckenden Wirkung der Inhaftierung und Misshandlung von Journalisten.

Die unrechtmäßige Freiheitsberaubung, Misshandlung und außergerichtliche Tötung von Zivilisten, darunter auch Journalisten, aufgrund der Äußerung von Informationen und Ideen könne eindeutig nicht nach Art. 10 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt werden.

Rechtsakte der Separatistenrepubliken in der Ostukraine sowie der russischen Besatzungsverwaltungen hätten keine Rechtsgrundlage für die anderen beschwerdegegenständlichen Maßnahmen darstellen können. Auch im humanitären Völkerrecht sei für diese keine Rechtsgrundlage zu erkennen gewesen. Daher seien diese Maßnahmen nicht gesetzlich vorgesehen gewesen.

Es sei unwahrscheinlich, dass die Maßnahmen, die in den besetzten Gebieten der Ukraine durch Rechtsakte zur Bekämpfung von Extremismus ergriffen worden waren, Anforderungen an die Qualität des Rechts erfüllten, die für die Gesetzmäßigkeit erforderlich sind, da es an Schutzvorkehrungen gegen eine übermäßig weit gefasste Auslegung des Begriffs "Extremismus" durch die Separatistenrepubliken und andere Besatzungsbehörden gefehlt habe. Überdies gebe es keine Anhaltspunkte für Schutzvorkehrungen, die Einzelpersonen vor den offensichtlich übermäßigen und willkürlichen Auswirkungen der Maßnahmen zum Blockieren des Zugangs zu Websites und Rundfunkanstalten schützen könnten.

Der EGMR verwies auf sein Urteil in der Rechtssache Ukraine gegen Russland (Krim) [Große Kammer] (EGMR v. 16.12.2020 - 20958/14 und 38334/18), in welchem er eine vergleichbare Praxis der Unterdrückung nichtrussischer Medien auf der Krim als nicht nur rechtswidrig, sondern in jedem Fall auch als in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendig angesehen hatte. Es gebe keinen Grund, im vorliegenden Fall zu einer anderen Schlussfolgerung zu gelangen.

Der EGMR bejahte einstimmig eine Verletzung von Art. 10 EMRK und allen anderen beschwerdegegenständlichen Rechten aus der EMRK und ihren Zusatzprotokollen.
Sebastian Ramelli, LL.M. (Institut für Europäisches Medienrecht e.V. Saarbrücken)