20.09.2016

Nichtigkeits- und Schadensersatzklagen in Bezug auf die Umstrukturierung des zyprischen Bankensektors

Der EuGH bestätigt die Abweisung der Nichtigkeitsklagen und weist die Schadensersatzklagen in Bezug auf die Umstrukturierung des zyprischen Bankensektors in der Sache ab. Er hebt zwar die Beschlüsse des EuG über die Schadensersatzklagen auf, weist diese Klagen aber dennoch ab, weil die Kommission nicht zu einer Verletzung des durch die Charta der Grundrechte der EU garantierten Eigentumsrechts der Personen, die diese Klagen erhoben haben, beigetragen hat.

EuGH 20.9.2016, C-8/15 P u.a.
Der Sachverhalt:
In den ersten Monaten des Jahres 2012 gerieten mehrere in Zypern ansässige Banken, darunter "Laïki" und "Bank of Cyprus" (BoC), in finanzielle Schwierigkeiten. Die zyprische Regierung bat deshalb die aus den Finanzministern der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets bestehende Euro-Gruppe um finanzielle Unterstützung. Diese antwortete darauf, dass die gewünschte finanzielle Unterstützung vom ESM (Europäischer Stabilitätsmechanismus) im Rahmen eines makroökonomischen Anpassungsprogramms gewährt werde, das in einem Memorandum of Understanding (MoU) zu konkretisieren sei. Die Verhandlungen über dieses Protokoll wurden von der Kommission zusammen mit der EZB und dem IWF auf der einen und den zyprischen Behörden auf der anderen Seite geführt.

Am 25.3.2013 gab die Euro-Gruppe bekannt, dass die Verhandlungen zu einem Entwurf eines MoU über die Umstrukturierung der BoC und der Laïki geführt hätten. Das MoU wurde daraufhin von der Kommission (im Namen des ESM) und Zypern unterzeichnet, und der ESM gewährte Zypern eine finanzielle Unterstützung. Mehrere zyprische Einzelpersonen sowie eine Gesellschaft mit Sitz in Zypern waren Inhaber von Einlagen bei der BoC oder der Laïki. Die Durchführung der mit den zyprischen Behörden vereinbarten Maßnahmen führte zu einem erheblichen Wertverlust dieser Einlagen. Daraufhin erhoben die betroffenen Einzelpersonen und die genannte Gesellschaft Klagen u.a. auf Ersatz des Wertverlustes, den ihre Einlagen durch den Abschluss des MoU erlitten haben sollen, und auf Nichtigerklärung der einschlägigen Punkte dieses MoU. Außerdem erhoben sieben zyprische Einzelpersonen Klagen auf Nichtigerklärung der Erklärung der Euro-Gruppe vom 25.3.2013 zur Umstrukturierung des zyprischen Bankensektors.

Das EuG wies mit Beschlüssen vom 16.10.2014 die gegen die Erklärung vom 25.3.2013 gerichteten Nichtigkeitsklagen als unzulässig ab. Es entschied, dass der ESM nicht zu den Unionsorganen gehöre und dass die Erklärung der Euro-Gruppe weder der Kommission und der EZB zugerechnet werden noch Rechtswirkungen gegenüber Dritten erzeugen könne. Mit Beschlüssen vom 10.11.2014 wies es die Nichtigkeits- und Schadensersatzklagen im Zusammenhang mit dem Abschluss des MoU mit der Begründung ab, dass sie teilweise unzulässig und teilweise unbegründet seien. Es stellte u.a. fest, dass die Kommission das MoU nur im Namen des ESM unterzeichne und dass die von der Kommission und der EZB im Rahmen des ESM ausgeübten Tätigkeiten nur diesen verpflichte. Daraufhin beantragten die Einzelpersonen und die Gesellschaft beim EuGH die Aufhebung der Beschlüsse des EuG.

Der EuGH bestätigte nun die Beschlüsse des EuG vom 16.10.2014 über die Nichtigkeitsklagen gegen die Erklärung der Euro-Gruppe vom 25.3.2013. Die Beschlüsse des EuG vom 10.11.2014 über die Schadensersatzklagen hob der EuGH zwar auf, gab diesen Klagen jedoch in der Sache nicht statt.

Die Gründe:
In Bezug auf die Rechtsmittel, die die gegen die Erklärung der Euro-Gruppe vom 25.3.2013 gerichteten Nichtigkeitsklagen betreffen, hat das EuG zutreffend entschieden, dass die Erklärung der Euro-Gruppe nicht als ein gemeinsamer Beschluss der Kommission und der EZB angesehen werden kann. Die der Kommission und der EZB im Rahmen des ESM-Vertrags übertragenen Funktionen umfassen nämlich keine Entscheidungsbefugnis im eigentlichen Sinne, zumal die Tätigkeiten dieser beiden Organe im Rahmen des ESM-Vertrags nur den ESM verpflichten.

Der Umstand, dass die Kommission und die EZB an den Sitzungen der Euro-Gruppe teilnehmen, ändert nichts an der Natur der Erklärungen der Euro-Gruppe, so dass ihre Erklärung vom März 2013 nicht als Ausdruck einer Entscheidungsbefugnis dieser beiden Unionsorgane angesehen werden kann. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass den zyprischen Behörden der Erlass des für die Umstrukturierung der Kreditinstitute erforderlichen rechtlichen Rahmens durch einen vermeintlichen gemeinsamen Beschluss der Kommission und der EZB, der in der Erklärung der Euro-Gruppe vom März 2013 verkörpert sein soll, vorgeschrieben worden wäre. Die Rechtsmittel waren daher zurückzuweisen und die Beschlüsse des Gerichts vom 16.10.2014 zu bestätigen.

In Bezug auf die Rechtsmittel, die die Schadensersatzklagen betreffen, schließt es der Umstand, dass die der Kommission und der EZB im Rahmen des ESM-Vertrags übertragenen Funktionen keine Entscheidungsbefugnis im eigentlichen Sinne umfassen und nur den ESM verpflichten, nicht aus, von der Kommission und der EZB Schadensersatz wegen ihres vermeintlich rechtswidrigen Verhaltens beim Abschluss eines MoU im Namen des ESM zu fordern. Die der Kommission und der EZB im Rahmen des ESM übertragenen Aufgaben verfälschen nämlich nicht die Befugnisse, die ihnen der EU-Vertrag und der AEU-Vertrag übertragen. Somit behält die Kommission im Rahmen des ESM-Vertrags ihre Rolle als Hüterin der Verträge, wie sie sich aus Art. 17 Abs. 1 EUV ergibt, so dass sie davon Abstand nehmen muss, ein MoU zu unterzeichnen, dessen Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht sie bezweifelt. Daraus ist zu schließen, dass das EuG rechtsfehlerhaft festgestellt hat, dass es nicht befugt sei, die auf die Rechtswidrigkeit einiger Bestimmungen des MoU gestützten Schadensersatzklagen zu prüfen. Die Beschlüsse vom 10.11.2014 waren daher aufzuheben.

Die außervertragliche Haftung der Union hängt vom Vorliegen einer Reihe von Voraussetzungen ab. Zunächst muss ein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen eine Rechtsnorm nachgewiesen werden, die dem Einzelnen Rechte verleihen soll. Dies Rechtsnorm ist im vorliegenden Fall Art. 17 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der EU, in dem es heißt, dass jede Person das Recht hat, ihr rechtmäßig erworbenes Eigentum zu besitzen. Zwar führen die Mitgliedstaaten im Rahmen des ESM-Vertrags nicht das Unionsrecht durch, so dass die Charta in diesem Rahmen nicht für sie gilt; für die Unionsorgane gilt die Charta jedoch auch dann, wenn sie außerhalb des EU-Rechtsrahmens handeln. Die Kommission muss sich daher vergewissern, dass ein solches MoU mit den in der Charta verbürgten Grundrechten vereinbar ist.

Dennoch ist diese Voraussetzung für die Begründung der außervertraglichen Haftung der Union im vorliegenden Fall nicht erfüllt: Die Annahme des fraglichen MoU entspricht einem dem Gemeinwohl dienenden Ziel der Union, und zwar dem, die Stabilität des Bankensystems der Euro-Währungsgebiets insgesamt sicherzustellen. Unter Berücksichtigung dieses Ziels und der Art der geprüften Maßnahmen und in Anbetracht der den Einlegern drohenden Gefahr finanzieller Verluste stellen diese Maßnahmen keinen unverhältnismäßigen und nicht tragbaren Eingriff dar, der das durch Art. 17 Abs. 1 der Charta gewährleistete Eigentumsrecht der Einleger in seinem Wesensgehalt antastet. Sie können daher nicht als ungerechtfertigte Beschränkungen dieses Rechts angesehen werden. Die Kommission hat demnach nicht zu einer Verletzung des Eigentumsrechts der Personen, die die Klagen erhoben haben, beigetragen. Die Schadensersatzklagen waren daher abzuweisen.

Linkhinweis:

  • Für den auf den Webseiten des EuGH veröffentlichten Volltext der Entscheidung der verbundenen Rechtssachen C-8/15 P bis C-10/15 P klicken Sie bitte hier.
  • Für den Volltext der Entscheidung der verbundenen Rechtssachen C-105/15 P bis C-109/15 P klicken Sie bitte hier.
EuGH PM Nr. 102 vom 20.9.2016
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