19.08.2025

Online-Dauerpublikation als Auslöser reaktiver Prüfpflicht - Unterlassungsanspruch bei nachträglich persönlichkeitsrechtswidriger Berichterstattung

Halten die Medien ihre Berichterstattung über den Erstveröffentlichungstag hinaus weiterhin als Dauerpublikation online zugänglich, trifft sie eine reaktive Prüfpflicht. Der Betroffene einer weiterhin online zugänglichen Berichterstattung kann von den Medien deren Unterlassung wegen Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts auch dann verlangen, wenn die Berichterstattung noch zum Zeitpunkt ihrer Erstveröffentlichung auf wahren Tatsachen beruht hat und sich erst im Nachhinein aufgrund nachträglicher Entwicklungen als tatsächlich unwahr oder unvollständig erweist. Der Unterlassungsanspruch gegen eine erst durch nachträgliche Entwicklungen persönlichkeitsrechtswidrig gewordene und dauerhaft online zugängliche Berichterstattung kann vom Betroffenen im einstweiligen Verfügungsverfahren geltend gemacht werden. Der Betroffene ist nicht auf das Hauptsacheverfahren beschränkt.

LG Berlin II v. 17.6.2025 - 27 O 165/25 eV
Der Sachverhalt:
Die Parteien streiten im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens über die Zulässigkeit einer Wortberichterstattung durch die Antragsgegnerin im Internet. Die Antragstellerin ist ein in ... ansässiges Bauunternehmen.

Im April 2025 erließ das AG ... auf Antrag zweier Gläubiger der Antragstellerin als Vollstreckungsgericht einen Haftbefehl gegen den Geschäftsführer der Antragstellerin. Darüber berichtete die Antragsgegnerin in einem online gestellten Artikel. Im Kern streiten die Parteien über diesen Artikel und dabei insbesondere den Umstand, dass der Artikel weiterhin online abrufbar ist, ohne dass die zwischenzeitliche Aufhebung des Haftbefehls am 21.5.2025 dort erwähnt bzw. um diese Information ergänzt wurde. Die Antragsgegnerin sieht sich nicht als verpflichtet an, eine im Veröffentlichungszeitpunkt richtige Tatsachenberichterstattung durch spätere Änderungen des Sachverhalts zurückzunehmen.

Dagegen stellte die Antragstellerin erfolgreich einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung.

Die Gründe:
Der Antragstellerin steht gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 2 analog, § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 19 Abs. 3 GG der geltend gemachte Unterlassungsanspruch zu.

Die Äußerungen greifen in den Schutzbereich des allgemeinen (Unternehmens-)Persönlichkeitsrechts der Antragstellerin ein. Betroffen ist der durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleistete soziale Geltungsanspruch der Klägerin als Wirtschaftsunternehmen. Die Behauptung, gegen den Geschäftsführer der Antragstellerin sei im Zusammenhang mit von der Antragstellerin nicht befriedigten Forderungen ein Haftbefehl erlassen worden, ist geeignet, ihr unternehmerisches Ansehen in der Öffentlichkeit erheblich zu beeinträchtigen. Da die angegriffenen Äußerungen weiterhin im Internet abrufbar sind, wirkt die Rufbeeinträchtigung fort.

Dem Unterlassungsanspruch der Antragstellerin steht es nicht entgegen, dass der Haftbefehl gegen ihren Geschäftsführer erlassen wurde. Denn sie ist gleichwohl durch die Berichterstattung über den Haftbefehl hinreichend selbst betroffen. Erscheint neben namentlich genannten Personen auch die Persönlichkeitssphäre eines Dritten selbst als zum Thema des Berichts zugehörig, so ist diese auch dann im hier maßgeblichen Sinne berührt, wenn eine andere Person im Mittelpunkt der Berichterstattung steht (vgl. BGH v. 17. Dezember 2024 - VI ZR 311/23).

Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Für das Verständnis der angegriffenen Äußerungen sind deren jeweiliger Gesamtzusammenhang und die für den Rezipienten erkennbaren Begleitumstände zu berücksichtigen. Danach steht die Antragstellerin, die in dem streitgegenständlichen Artikel namentlich erwähnt wird ("X-Gruppe"), selbst im Zentrum. Für den verständigen und durchschnittlichen Leser ist der Name des Geschäftsführers untrennbar mit der Antragstellerin und den schon aufgrund ihrer Namensgleichheit zugehörigen Partnergesellschaften verbunden, so dass der Ruf der Antragstellerin mit dem Ruf ihres Geschäftsführers steht und fällt.

Der Eingriff in das Unternehmenspersönlichkeitsrecht der Antragstellerin ist rechtswidrig.

Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt. Diese Abwägung fällt hier zu Lasten der Antragsgegnerin aus, auch wenn es sich bei den mit den Verfügungsanträgen angegriffenen Äußerungen zunächst um wahre Tatsachenbehauptungen handelt.

Die angegriffenen Äußerungen sind zwar im Ausgangspunkt wahr, da gegen den Geschäftsführer der Antragstellerin im April 2025 tatsächlich ein Vollstreckungshaftbefehl erlassen wurde. Gleichwohl sind die über das Erstveröffentlichungsdatum am 23.4.2025 hinaus auch weiterhin über den online-Auftritt der Antragsgegnerin im Internet bereit gehaltenen Tatsachenbehauptungen mittlerweile rechtswidrig. Denn durch die Aufhebung des Haftbefehls am 21.5.2025 sind neue Tatsachen hinzugetreten, die die Antragsgegnerin in ihrer Berichterstattung über den Erlass des Haftbefehls ohnehin hätte erwähnen müssen, wenn sie zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung bereits vorgelegen hätten. Nachdem die Antragstellerin die Antragsgegnerin am 4.6.2025 über die Veränderungen informiert hat, trifft sie diese Pflicht zur vollständigen Berichterstattung nunmehr auch nach der Erstveröffentlichung.

Die im allgemeinen Persönlichkeitsrecht begründete Pflicht eines Mediums zur vollständigen Berichterstattung kann deshalb auch dann bestehen, wenn solche Tatsachen, die geeignet sind, dem Vorgang, der Gegenstand der Berichterstattung war, ein anders Gewicht zu geben, erst nach der Veröffentlichung eintreten.

Eine reaktive Prüfpflicht ist den Medien bei Online-Dauerpublikationen auch unter Berücksichtigung der besonderen Schutzfunktion der Meinungs- und Pressefreiheit zumutbar. Diese Zumutbarkeit wird bei Online-Dauerpublikationen - nicht anders als bei Online-Archiven - schon dadurch gewahrt, dass ein Medium erst auf substantiierten Hinweis einer nachträglich entstandenen Persönlichkeitsrechtsverletzung zur Anpassung einer Berichterstattung verpflichtet sein kann.

Nach diesen Maßstäben darf die Antragsgegnerin die Berichterstattung vom 23.4.2025, gegen den Geschäftsführer der Antragstellerin sei ein Vollstreckungshaftbefehl erlassen, nicht mehr ohne die zusätzliche Mitteilung seiner zwischenzeitlichen Aufhebung weiter veröffentlichen. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, aus welchen Gründen der Haftbefehl aufgehoben wurde.

Der Anspruch auf Unterlassung folgt hier bereits daraus, dass eine bewusst unvollständige Tatsachenberichterstattung wie eine unwahre Tatsachenberichterstattung zu behandeln ist.

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Link zum Volltext der Entscheidung des LG Berlin II

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