16.06.2025

Puzzle von Da Vincis "Vitruvianischen Menschen" darf weiter vertrieben werden

Ein großer deutscher Hersteller von Puzzeln darf auch künftig eines der berühmtesten Werke Leonardo Da Vincis, den "Vitruvianischen Menschen", als Puzzlevorlage außerhalb Italiens weltweit verwenden und vertreiben. Die Vorschriften des italienischen Gesetzes zum Schutz des kulturellen Erbes sind als Anspruchsgrundlage nicht dazu geeignet, dem deutschen Hersteller außerhalb des Staatsgebiets Italiens die Nutzung des Werkes zu verbieten, weil sie nur für das italienische Staatsgebiet Anwendung finden.

OLG Stuttgart v. 11.6.2025 - 4 U 136/24
Der Sachverhalt:
Die um 1490 entstandene Proportionsstudie "Studio di proporzioni del corpo umano", bekannt als der "Vitruvianische Mensch" ist eines der bekanntesten Kunstwerke Leonardo Da Vincis. Die Klägerinnen - Unternehmen einer weltweit tätigen Unternehmensgruppe und international für das Angebot von Gesellschaftsspielen, Puzzles sowie von Kinder- und Jugendbüchern bekannt - verwendet den "Vitruvianischen Menschen" seit längerem als Vorlage für von ihr vertriebene Puzzles.

Im Jahr 2019 verlangte die beklagte Gallerie dell'Accademia di Venezia - ein Museum in Venedig, in dessen Besitz sich das Originalwerk Leonardo Da Vincis seit 1822 befindet - von dem Puzzlehersteller den Abschluss eines Lizenzvertrages und knüpfte daran die Erlaubnis, das Werk auch künftig nutzen zu dürfen. Das Museum stützte sein Verlangen auf Bestimmungen des italienischen Codice dei beni culturali e del paesaggio ("Gesetz zum Schutz des kulturellen Erbes"). Nachdem Verhandlungen zwischen den Parteien zu keinem Ergebnis gelangten, erwirkten das Museum und das ebenfalls beklagte italienische Kulturministerium (Ministero della Cultura) vor einem Zivilgericht in Venedig eine einstweilige Verfügung (vorläufiges Eilverfahren), mit welcher den Klägerinnen die kommerzielle Nutzung des Werkes in Italien und im Ausland untersagt wurde.

Hierauf erhoben die Klägerinnen gegen die Beklagten Klage in der Hauptsache, mit der sie festgestellt haben wollen, dass die Beklagten ihnen die Nutzung des Werkes zumindest außerhalb Italiens nicht verbieten können. Die Beklagten stützen ihr Unterlassungsverlangen weiterhin auf Bestimmungen des italienischen Gesetzes zum Schutz des kulturellen Erbes. Deutsche Gerichte dürften nicht über die Anwendung von Normen entscheiden, deren Erlass Ausdruck der Souveränität des italienischen Staates sei. Die Vorschriften hätten außerdem weltweit Gültigkeit. Ein Festhalten am sterilen Konzept der territorialen Grenzen sei angesichts der technischen Entwicklungen einer Einmischung in die Souveränität des Staates bzgl. des Schutzes seiner Kulturgüter gleichzusetzen. Zudem seien deutsche Gerichte wegen der vorangegangenen Anrufung eines italienischen Gerichts für eine Entscheidung nicht zuständig und vor allem nicht berechtigt, die von einem italienischen Gericht getroffene Entscheidung inhaltlich auf ihre Richtigkeit zu überprüfen.

Das LG gab der Klage statt und entschied, dass die Beklagten keinen globalen Unterlassungsanspruch auf Grundlage des italienischen Kulturgüterschutzgesetzes haben. Die Berufung der Beklagten hatte lediglich insoweit Erfolg, als das OLG für eine der Klägerinnen - eine italienische Tochtergesellschaft der Unternehmensgruppe - die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte verneint hat. Die Revision zum BGH wurde nicht zugelassen.

Die Gründe:
Die Beklagten haben gegen die Klägerin keinen globalen Unterlassungsanspruch.

Deutsche Gerichte sind an die vorangegangene Entscheidung des italienischen Gerichts nicht gebunden und auch nicht an einer eigenen Entscheidung in der Sache gehindert. Das in Italien geführte Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz (vorläufiges Eilverfahren) ist mit dem nunmehr in Deutschland anhängigen Hauptsacheverfahren nicht identisch. Im Gegensatz zu der Hauptsacheentscheidung wird im Rahmen des einstweiligen Verfügungsverfahrens nicht mit Rechtskraftwirkung über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Anspruchs entschieden. Sondern Zweck des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens ist allein die vorläufige Sicherung eines Anspruchs oder Regelung eines Rechtsverhältnisses bis zu einer späteren rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache. Wegen dieses unterschiedlichen Zwecks greift weder die Sperrwirkung des europäischen Rechts (Art. 29 EuGVVO) ein, noch erfolgt eine inhaltliche Prüfung der von dem italienischen Gericht getroffenen Entscheidung.

Die Beklagten können den Klägerinnen jedenfalls außerhalb des Staatsgebiets Italiens die Nutzung des Werkes nicht verbieten. Die Vorschriften des italienischen Gesetzes zum Schutz des kulturellen Erbes sind dazu als Anspruchsgrundlage nicht geeignet, weil sie nur für das italienische Staatsgebiet Anwendung finden. Denn das völkerrechtlich geschützte Territorialitätsprinzip beschränkt die Geltung von Rechtsnormen auf das Territorium des jeweiligen Staates. Dieses basiert auf der Gebietshoheit eines Staates und erlaubt den Erlass, die Anwendung und Durchsetzung von Normen grundsätzlich nur innerhalb des jeweiligen Staatsgebiets. Außerhalb Italiens ist für die rechtliche Beurteilung vielmehr die jeweils in den einzelnen Staaten geltende Rechtslage maßgeblich.

Andere Anspruchsgrundlagen als das italienische Gesetz zum Schutz des kulturellen Erbes werden von den Beklagten nicht geltend gemacht und sind auch nicht ersichtlich. Ein globaler Unterlassungsanspruch besteht danach nicht.

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OLG Stuttgart PM vom 11.6.2025